Kapitel 25 • geteiltes Leid ist trotzdem kacke

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>I see those tears in your eyes I feel so helpless inside<

Als, die zu mir jetzt distanzierte, Melissa das Zimmer betrat,  um das Mittagessen rein zu bringen, sah sie mich mit einem kalten Blick an und lächelte Mia warm zu. Innerlich schrie ich danach, ihr ein "Bitch" an den Kopf zu werfen, aber das ließ ich dann doch lieber bleiben.

"Erstens: können wir die Betten zusammenschieben? Oder zumindest nur einen Nachttisch anstatt beiden dazwischen haben?", fragte Mia prompt aber lächelte nicht. Sie fand es unter alles Kanone, wie Melissa mit mir umgegangen war, als ich mich 'geoutet' hatte. Obwohl ich mich nie richtig geoutet hatte. Ich ging offen damit um. Keine geheimen Spielchen.

Melissa nickte nur kühl und half uns, die Betten näher aneinander zu schieben. Ich wollte ihre hilfe eigentlich nicht. Sie war mir zuwider.

"Und zweitens: ich bin Bi. Darfst jetzt auch angeekelt von mir sein." Sie verlieh einer Stimme eine gewisse Hochnäsigkeit. Sie war immer die offene von uns beiden gewesen und hatte alles, was mit Kontakt zu anderen Menschen verbunden war, übernommen. Zum Beispiel im Schwimmbad fragen, wann der Fünfmeterturm geöffnet werden würde. Auch die Kinokarten und das Knabberzeug besorgte immer sie. Und ich war ihr verdammt dankbar dafür. Bei ihr, so wie bei Tim und bei Elias und Nina damals, war ich ausgelsassen, konnte mich öffnen und das zeigen, was ich in meinem tiefsten Inneren immer war. Ein aufmüpfiger, kleiner Junge, der gerne lachte, die anderen beleidigte und einfach ausgelassen war. Aber nur zu vertrauten Menschen.

"Guten Hunger." So schnell wie möglich verschwand sie kopfschüttelnd aus dem Zimmer. Ich schüttelte auch meinen Kopf. Wie konnte man nur so sein?

"Na was gibt es denn leck- och näää!" Die Enttäuschung in ihrer angenehmen Stimme war nicht zu überhören. Und jetzt sah ich selber wieso.

Nudelauflauf.

Sie hasste Nudelauflauf. Mein Lieblingsessen war es nicht, aber ab und zu konnte man es essen. Sie verabscheute Nudelauflauf regelrecht. Das lag zum Teil vielleicht auch daran, dass sie mal fast an Nudelaulauf erstickt wäre, weil sie es so ekelig fand.

Das Essen würde vielleicht nicht lange drin bleiben, aber man fühlte sich doch besser, wenn der Magen, zumindest vor der Behandlung, gefüllt war.

Ich musste also nicht lange über meine nächste Handlung nachdenken. Kurzrhand griff ich in die Schublade meines Nachttisches und zog die Schokolade raus, die mir meine Mutter an meinem ersten Tag im Krankenhaus mitgebracht hatte. Sie flog in einem hohen Bogen auf Mias Bettdecke.

"Danke!" Sie sah mich liebevoll an und öffnete die Verpackung, um einfach hinein zu beißen. Sie schien tatsächlich Hunger zu haben.

Die ganze Schokolade fand den Weg in ihren Magen. Schade eigentlich, dass nicht sicher war, wo sie am Ende des heutigen Tages wieder raus kommen würde.

Tim kam pünktlich um drei Uhr. Auch wenn ich durch die letzten zwei Tage nicht besonders viele Nährstoffe bei mir behalten hatte und da durch ein wenig schwach war, sprang ich freudig auf und fiel ihm in die Arme.

"Hey, kleiner.", murmelte er und begrüßte Mia mit einem high five.

Er stellte seine Tasche ab. Er wollte ja hier mal heimlich schlafen. Tja, war dann wohl heute. War ja auch so abgesprochen gewesen. Ich Dummkopf. Ich war einfach zu aufgeregt. Im negativen Sinne. Ich hatte zu viel Angst. Um mich und um Mia.

Er grinste wie ein Honigkuchenpferd und mir war klar, dass irgendwas passiert sein musste. Denn er war nicht einfach so, ohne bestimmten Grund, glücklich.

"Was ist denn los?" Seine Aufregung hatte mich angesteckt und auch Mia kam zu mir und Tim aufs Bett.

"Rate mal, wer dank dem besten Nachhilfelehrer der Welt, eine drei in Mathe geschrieben hat?" Ich schrie auf und fiel ihm um den Hals. Wir hatten nur einmal geübt, aber scheinbar hatte es was gebracht. Er schien irgendwie mehr an sich geglaubt zu haben. Er hatte es geschafft.

Angels can fly • stexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt