Kapitel 42 • Amerikanische Idioten

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>Ein falscher Schritt und du fällst<

Elias.

Dort stand Elias. Ich hatte ihn tatsächlich letztens gesehen. "Elias?", fragte ich vorsichtig, aber doch laut genaug, dass er es hören konnte. "Woher kennst du mich?" Er drehte seinen Kopf zu mir. "Erkennst du mich nicht?" Das hatte mich jetzt ein wenig verletzt, aber wir waren ja älter geworden und ich hatte immer noch keine Haare auf dem Kopf. "Sorry, ich hab keine Ahnung." Er zuckt entschuldigend mit den Schultern. "Stegi. Der Kindergarten-Stegi?" Ich hoffte inständig, dass er es noch wusste. "Du verarscht mich." Er sah mich ungläubig an. "Nein, wieso sollte ich?", gab ich zurück. "Weiß nicht. Ist komisch." Diese Begegnung hatte ich mir anders vorgestellt. Bis ich eine Hand auf der Schulter spürte. "Darf ich dich denn trotzdem umarmen? Auch wenn das gerade ein wenig strange ist?" Ich stand auf und nahm ihn in den Arm. Es tat gut und dieses komiscche Gefühl fiel langsam von mir ab. "Wo ist Nina? Oder seid ihr gar nicht mehr befreundet?", fragte Eli nach der Umarmung. Er konnte es nicht wissen. Er war damals schon weggewesen. "Tot", war das einzige, was ich rausbrachte. "Autounfall." Das musste als Erklärung reichen. Alles war komisch. Nichts war, wie es sollte. Die Stimmung war komisch. So wollte ich das nicht. "Hier, meine Nummer. Wir können uns ja mal treffen." Elias drückte mir einen Zettel in die Hand, kaufte seine Brötchen und war dann auch wieder verschwunden. Er hatte sich verändert. Jeder veränderte sich, aber er war komisch geworden.

"Ich hatte ihn mir irgendwie netter vorgestellt." Mia klang skeptisch und ich war mir auch nicht ganz sicher. "Er war auch ein wenig überrumpelt von mir. Er hatte damit halt nicht gerechnet. Und mein Aussehen, naja. Dazu sag mich mal nichts. Ach, das ist einfach alles lächerlich." Ich schüttelte einfach meinen Kopf. "Lass uns nach Hause gehen. Vielleicht kannst du ihn mal anrufen und dann klärt ihr das." Sie sah mich zuversichtlich an. "Mia, du weißt doch, dass ich nicht sonderlich gerne telefoniere." Da war ich tatsächlich ein wenig enttäuscht, dass sie das nicht mehr wusste. Ich bekam beim telefonieren immer Herzrasen und aus diesem Grund war es nicht gerade eine meiner liebsten Beschäftigungen. "Dann schreibst du ihm halt." Sie verdrehte ihre Augen. Ich verzeihte ihr, denn sie hatte ihr Gedächnis verloren und vielleicht nicht jedes Detail wieder zurück bekommen.

Wir liefen wieder an dem Obdachlosen vorbei und legten ihm wieder ein belegtes Brötchen hin. Das war mittlerweile wie ein kleines Ritual von mir. Er lag da wie immer. Die Augen zu und den Kopf auf einem Arm. Mit dem anderen hielt er seinen Hund umklammert. Ich legte das Brötchen auf den Kaffebecher, der immer dort stand und auf die Spende von manchen netten Leuten wartete. Wir wollten gerade um die Ecke, als uns eine kratzige Stimme hinterher rief. "Hey, wartet mal!" Es klang nicht so als ob diese Stimme häufig benutzt wurde. Also drehten wir uns um und sahen, dass der Mann, der gerade noch geschlafen hatte, jetzt wach war. "Ist das Brötchen von euch?" Er klang ein wenig müde. Mia und ich nickten vorsichtig. "Sind die ganzen anderen Brötchen auch immer von euch?" Wieder ein Nicken von unserer Seite. "Danke. Aber, ihr müsst das nicht machen. Wirklich." Ich lächelte. "Das mache ich, also wir, sehr gerne. Den einen Euro für das Brötchen können wir opfern. Und sie brauchen das dringender." Er lächelte zurück. "Nennt mich doch bitte Reini. Oder Reinhardt. Das 'sie' passt nicht zu mir." "Ok, Reini.", grinste Mia und zog mich näher an Reinhardt heran. Dann ließ sie sich neben ihn nieder und zog mich mit nach unten. Sie kramte ihr Handy aus ihrer Hosentasche. "Was hören sie gerne für Musik?", fragte sie neugierig und Reini musste nicht lange überlegen. "Ich hab früher sehr viel und gerne 'Green Day' gehört." Seine Augen begannen zu leuchten und es dauerte nicht lange, da schien Mia was gefunden zu haben. Sie startete das Lied. Wir gingen ziemlich dazu ab. Schließlich mochten Mia und ich diese Musikrichtung auch. Zuerst lief Boulevard Of Broken Dreams. Das war schon gut. Nun lief 21 Guns und dieses Lied war einfach schön und emotional. Dann kam American Idiot und Reinhardt stiegen die Tränen in die Augen. "Was ist los?", fragte Mia ganz erschrocken und drehte die Musik leiser. "Es ist so schön.", flüsterte Reinhardt. "Warum, wenn ich fragen darf?" Ich hoffte, nicht zu aufdringlich gewesen zu sein. "Das war das Lied von meiner Frau und mir. Damit hatten wir schon einige Abende vor dem Kamin. Dieses Lied in Dauerschleife. Dieses Lied erinnert mich immer an sie." Jetzt verließ die erste Träne seine Augen, die verträumt in die Luft starrten. Mia werkelte an ihrem Handy rum und ich merkte, dass sie die Dauerschleife aktiviert hatte. So saßen wir da noch einige Zeit. Der Musik lauschend und dazu wippend. Reini hatte sich auch wieder gefangen. "Reini, das tut uns total leid, aber wir müssen nach Hause. Stegis Mutter wartet auf die Brötchen." Er nickte nur. "Ich hab dir meinen Namen gar nicht gesagt. Ich bin Mia.", stellte Mia sich vor. Wir versprachen noch, morgen wieder zu kommen.

"Er tut mir leid. Was wohl passiert ist, dass er auf der Straße gelandet ist." Ich hatte keine Ahnung. Wenn er mit seiner Frau vor dem Kamin gesessen hatte und dieses Lied gehört hatte, konnte es sein, dass er schon mehrere Jahre auf der Straße lebte. Es könnten schon zwölf Jahre oder soetwas in die Richtung sein. Das fänd ich ziemlich krass. "Vielleicht erzählt er es uns irgendwann. Weißt du, Stegi, ich würde ihm gerne irgendwas geben, damit er sich nicht so alleine fühlt. Ich hab noch einen alten Mp3-Player. Da könnten wir Musik drauf laden. Kopfhörer bekommt man schon für fünf Euro. Es muss ja nichts super tolles sein. Aber er muss auch etwas zur Beschäftigung haben. Vielleicht kann ich mit Rafi sprechen, damit er den Player nachts in der Bäckerei aufladen kann.", schlug Mia vor. "Ich weiß von Tim, dass sein Bruder eine alte Powerbank hat, die er nicht mehr benutzt, weil er eine neue hat, die besser ist. Hat er mal zwischendurch erwähnt. Die könnten wir ihm vielleicht für kleines Geld abkaufen. Ich hab auch noch eine kleine, die ich spenden würde. Dann könnte er immer eine laden und die andere benutzten." Den Rest des Weges redeten wir nicht und zuhause öffnete meine Mutter schnell die Tür. "Wo wart ihr denn? Ich hab mir sorgen gemacht!", tadelte sie uns. "Na aber kommt erstmal rein." Wir zogen die Schuhe aus und stellten, die mittlerweile kalten, Brötchen auf den Küchentisch, den meine Mutter schon gedekt hatte.

"Und ihr seid euch sicher, dass ihr das machen wollt? Ihr kennt ihn ja nicht mal richtig.", gab meine Mutter zu bedenken. "Ja, sind wir. Was sollen wir verlieren? Mia benutzt ihren Player seit der vierten Klasse nicht mehr, schleppt ihn trotzdem mit sich rum, falls sie ihn doch braucht und ich brauche diese Powerbank nicht mehr, weil ich jetzt eine viel bessere hab. Die Kopfhörer kosten auch nicht viel und Max' Powerbank wird auch nicht allzu teuer sein. Das mit Rafi kriegen wir schon geregelt." Meine Mutter schien immer noch nicht ganz überzeugt, stimmte jedoch zu. Mia und ich gaben uns high five.

Liedzeile: -Amazonkartons by Lukas, der Rapper-

*PS: song oben eingefügt*

Angels can fly • stexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt