Kapitel 48 • brennendes Licht

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>Do you need me, before I fade away<

"Stegi, ich wünsche euch ganz viel Spaß. Bis in einer Woche." Meine Mutter knuddelte mich nochmal durch und auch Mia nahm mich nochmal in den Arm. Ich würde die beiden jetzt eine Woche lang nicht sehen. Aber wir würden das alle drei schon überleben.

Tims Vater nahm mir meine Tasche ab und packte sie in den Kofferraum. Tim stieg kurz aus, um mich zu umarmen und ließ mich dann ins Auto einsteigen.

Ich saß in der Mitte der hinteren Sitzreihe. Links neben mir Max, der seine Stirn an die Fensterscheibe gelehnt hatte und rechts neben mir Tim, der ebenfalls den Kopf an seiner Scheibe hatte. Meinen Kopf hatte ich auf Tims Schuter gebettet. Dort war es gemütlich.

"Freust du dich schon, Stegi?", fragte Tims Mutter freundlich nach circa fünf Minuten des unangenehmen Schweigens. "Ja, ich kann es mir noch nicht richtig vorstellen. Aber es wird bestimmt schön." Durch den Spiegel der ausgeklappten Sonnenblende vor dem Gesicht von Tims Mutter konnte ich sehen, dass sie ein leichtes Lächeln auf den Lippen hatte. Das Lächeln erinnerte sehr an das von Tim. Auch die Augen sahen nahezu identisch aus. Ihr Lächeln war sanft und warm und ich fing an zu glauben, dass sie mich mochte. "Ich glaube, du kennnst meinen Namen gar nicht.", stellte Tims Mutter fest. "Ich bin Corinna." Ich nickte als Zeichen, dass ich verstanden hatte. "Ich bin Sven.", kam es vom Fahrersitz. Sie konnten ja nicht ahnen, dass ich mir ihre Namen vom Klingelschild eingeprägt hatte. Nun schwiegen wir uns wieder an. Als sei es ein Wettbewerb. Wer am längsten seine Klappe halten konnte.

"Tim, falls was passiert, mein Asthmaspray ist immer in meiner rechten Jackentasche und nachts in meinem Nachttisch.", brach ich flüsternd das Schweigen, was bald kein Schweigen mehr gewesen war, weil Sven irgendwann das Radio angestellt hatte. "Okay.", murmelte Tim zurück.

Wir fuhren gerade mal eine halbe Stunde. Im Siegerland bogen wir in einen Mischwald ein und fuhren circa einen Kilometer, bis wir an einer kleinen, unauffälligen Hütte ankamen. Von innen war die Hütte größer, als sie von außen ausgesehen hatte. Auf der kleinen überdachten Veranda stellten wir die Schuhe ab und Sven öffnete die Tür. Die Hütte war rustikal eingerichtet, aber es passte. "Es gibt drei Schlafzimmer. Zwei Doppelzimmer und ein Einzelzimmer. Ich denke, Max wird das Einzelzimmer nehmen. Um die Doppelzimmer können wir uns dann noch streiten.", erklärte Corinna. "Wir gehen in das Elchzimmer.", beschloss Tim einfach und zog mich direkt an meiner Hand in das Zimmer gegenüber von der Küche. Tims Eltern gingen in das Zimmer zwischen Bad und Wohnzimmer. Neben uns, richtung Tür, lag gegenüber vom Badezimmer, das Zimmer von Max. Das Bad lag neben der Küche.

Im Zimmer angekommen wusste ich, wieso Tim es 'Elchzimmer' genannt hatte. An der Wand über dem Doppelbett hing ein Plüsch-Elchkopf. Gegenüber vom Bett stand ein Wandschrank aus dunklem Holz. Der Schrank sah etwas instabil aus, obwohl das Holz bestimmt fünf Zentimerter dick war. Der alte Holzboden knarzte, wenn man über ihn lief. Mir gefiel es hier echt gut. Meiner Lunge tat die Waldluft gut. Tim stand am offenen Fenster und lehnte sich nach draußen. Dort war nichts als Wald. Wir waren bestimmt zweihundert Meter gefahren, ohne auch nur ein Haus zu sehen. "Schön hier, oder?", fragte Tim. Ich stellte mich neben ihn, lehnte mich auch raus. "Ich liebe es. Ich hör' mich vielleicht jetzt komisch an, aber ich freue mich richtig auf morgen. Dann kann ich endlich mehr von dem Wald hier sehen. Es wirkte so ruhig hier." "Weißt du, Stegi, wir gehen jetzt mal in den Wald. Ich zeig' dir mal was." Er griff mein Handgelenk und zog mich in den Flur. "Schuhe und Jacke an.", befahl er mir und ich gehorchte ihm, ein wenig verwundert. Kaum war ich aufgestanden zog er mich auch schon aus der Tür. Er schrie nur noch: "Wir sind irgendwann wieder da. Ihr wisst ja, wo wir hingehen!"

Nach einiger Zeit, die wir queer durch den Wald gelaufen waren, konnte ich nicht mehr und fing an zu hecheln. "Stegi, komm.", drängte Tim. "Wa-Warte!", keuchte ich. Er verdrehte nur die Augen und nahm mich hoch und trug mich. Ich sah die Sonne, die hoch am Himmer stand. Bald würde sie ihren Zenith* erreichen. "Ich hoffe, wir schaffen es noch." Er redete mehr mit sich selbst, als mit mir. Ich saß auf seinem Rücken und ließ mich tragen. Wir liefen immer weiter. Immer weiter.

Angels can fly • stexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt