„Oh...okay. Danke trotzdem.", murmle ich leise, nachdem mir die Pflegerin erklärt hat, dass Eric von der Mission noch nicht zurück ist. Sobald sie weg ist, setze ich mich auf und ziehe scharf die Luft ein, da mein Rücken extrem schmerzt. Ich versuche, die Schmerzen so gut es eben geht zu ignorieren und stehe auf. Langsam laufe ich zu Mias Bett und setze mich neben sie. Ich streiche über ihre Hand, an der ein Schlauch hängt, durch den sie eine Infusion bekommt.
„Komm schon, Mia. Gib nicht auf. Wach auf. Du schaffst das.", flüstere ich und meine Augen füllen sich mit Tränen.
„Lass mich doch nicht alleine." Ich schluchze, wische mir die Tränen aber so schnell wie möglich weg. Ich habe schon den ganzen Vormittag damit verbracht, zu weinen und ich bin es leid. Heulen bringt mich nicht weiter, es ist eine lästige Angewohnheit und hilft niemandem. Mia ist stark, stärker als sie aussieht und ich glaube fest daran, dass sie es schafft. Dass mein Rücken von nun an entstellt sein würde, damit werde ich leben müssen. Eigentlich bin ich ja selbst daran schuld. Ich hätte besser aufpassen müssen. Ich hätte besser kämpfen müssen. Meine Narben waren der Beweis dafür, dass ich versagt hatte. Das darf nie wieder vorkommen! Ich stehe wieder auf, versuche die Schmerzen zu ignorieren und beginne, mir langsam meine Klamotten anzuziehen, die über dem Stuhl neben meinem Bett hängen. Den Verband kann ich mir auch selbst wechseln, aber hier den ganzen Tag nur herum zu liegen, das halte ich nicht aus. Ich bedanke mich bei dem Personal, versichere ihnen, dass ich in der Lage bin, ohne Hilfe zurechtzukommen und verlasse die Krankenstation.
Als ich in der Wohnung ankomme, fällt mir sofort das Chaos auf. Vor allem die Blutflecken an der Stelle, wo Alec gelegen hatte, stechen mir sofort ins Auge. Ich seufze und mache mich daran, die Spuren zu beseitigen. Das Letzte was ich will ist ein zorniger Eric, wenn er nach Hause kommt und seine Wohnung total verwüstet vorfindet. Aber er wird ohnehin wütend sein. Er wird garantiert von meinem Aufenthalt in der Krankenstation erfahren und wohl oder übel meinen Rücken sehen. Ich stelle mir sein angewidertes Gesicht vor, womöglich bin ich ihm dann zu hässlich. Würde er die Verlobung auflösen?
Einerseits wäre mein Problem dann gelöst, ich könnte mein eigenes Leben führen und müsste ihn nicht heiraten. Aber aus irgendeinem Grund tut der Gedanke auch weh...
Ich schüttle verärgert den Kopf. Was ist nur los mit mir? Wenn er die Verlobung lösen würde, wäre es doch perfekt, oder? Warum habe ich dann plötzlich Angst davor? Das ist doch das, was ich von Anfang an wollte. In diesem Moment merke ich, dass ich mich schon viel zu sehr auf Eric eingelassen habe. Mein Widerstand lässt nach, ich gewöhne mich an ihn und ich beginne, mich in seiner Gegenwart geborgen zu fühlen. Wütend schlage ich mit dem Kopf gegen die Wand. Ich darf nicht nachgeben. Es geht immer noch ums Prinzip!
Nachdem ich die Wohnung wieder in Ordnung gebracht habe, ruhe ich mich etwas auf der Couch aus und schließe die Augen. Ich muss nach vorne blicken und aufhören, mich wie ein schwaches Mädchen aufzuführen.Ich bin wohl für ein paar Stunden eingeschlafen, denn als ich die Augen aufschlsge, ist es schon später Nachmittag. Langsam richte ich mich auf und atme tief ein. Entschlossen ziehe ich mir – wenn auch vorsichtig – meine Trainingsklamotten an und mache mich auf den Weg in die Trainingshalle. Zwar hat Eric auch einen Trainingsraum in seiner Wohnung, aber ich will hier raus.
Die nächste halbe Stunde verbringe ich damit, meine ganze Wut an einem der orangen Sandsäcke auszulassen, auf den ich unerbittlich einschlage und meine Schlagtechniken übe. Ich wollte trainieren, auch wenn mein Rücken schmerzt und nicht verheilt ist. Ich bin eine Ferox, ich muss über meine Grenzen hinausgehen. Als ich genug davon habe, den Sandsack zu bearbeiten, beginne ich, Liegestütze zu machen. Ich habe meine Armmuskeln ohnehin zu lange vernachlässigt, es wird Zeit, dass ich das ändere. Nach dem dreißigsten Liegestütz spüre ich plötzlich eine Hand an meiner Schulter und halte inne. Als ich über meine Schulter sehe, erblicke ich Eric.
„Hi.", gebe ich emotionslos von mir und will mit meinem Training fortfahren, doch er packt mich an meinem Oberarmen und zieht mich hoch.
„Hältst du das für eine gute Idee?" Während er die Frage stellt, sieht er mir ernst in die Augen.
Ich halte seinem Blick stand und nicke.
„Ich möchte trainieren, ja. Durch Däumchendrehen werde ich nicht stärker.", murmle ich.
„Elena, ich weiß was passiert ist.."
Ich antworte nicht darauf sondern winde mich geschickt aus seinem Griff.
„Du lenkst mich davon ab, zu trainieren. Geh bitte.", fahre ich ihn an und beginne wieder damit, auf den Sandsack einzuschlagen. Ich will nicht, dass er von meinem Rücken weiß. Ich will nicht, dass er ihn zu Gesicht bekommt. Ich schäme mich so sehr.
„Wir konnten die meisten Rebellen gefangen nehmen. Nach einem elend langen Verhör rückten sie auch damit raus, wer ihnen geholfen hat, bei den Ken einzubrechen. Wir haben die Idioten gefunden und sie werden sich wünschen, nie geboren worden zu sein. Ein Verrat an der eigenen Fraktion wird Hart bestraft.", erklärt Eric und obwohl ich ihn nicht ansehe, spüre ich seinen Blick auf mir ruhen.
„Schön.", knurre ich und keuche angestrengt auf. Einige Sekunden ist es still und ich denke, Eric ist gegangen, doch dann spüre ich, wie sich zwei starke Arme von hinten um meinen Oberkörper schlingen. Ich bin wie erstarrt, als ich seinen Atem an meinem Hals spüre.
„Ich weiß, dir wurde sehr wehgetan. Deswegen sage ich dir, was wir jetzt tun werden: Zuerst statten wir Tori einen Besuch ab. Du brauchst definitiv einen neuen Haarschnitt. Und dann erzählst du mir was genau passiert ist."
Wortlos lasse ich mir seinen Vorschlag durch den Kopf gehen und greife mir an die Haare. Einige Strähnen sind lang, andere kurz, es sieht bestimmt einfach total unregelmäßig und bescheuert aus. Mit dem Haarschnitt hat er wohl recht, also nicke ich und wir machen uns auf den Weg zu Tori.„Wie gefällt es dir? Ich finde es klasse.", fragt Tori und legt ihre Hand auf meine Schulter. Sie wusste, dass meine Haare gegen meinen Willen verunstaltet wurden, spricht mich aber nicht darauf an. Sie hat Taktgefühl.
Schweigend betrachte ich mich im Spiegel. Meine ursprünglich sehr langen Haare gehen mir jetzt nur noch bis zu den Schultern. Sie sind gestuft und auf der rechten Seite bedeckt ein Pony meine Stirn. Ich mag zwar keine kurzen Haare, aber sie würden ja wieder nachwachsen, und bis dahin akzeptiere ich diese Frisur. Immerhin kann ich froh sein, dass Tori es überhaupt geschafft hat, aus Alecs Werk noch eine halbwegs gute Frisur hinzukriegen.
„Danke, Tori.", bedanke ich mich aufrichtig und versuche zu lächeln, aber ich schaffe es nicht. Eigentlich will ich im Moment nicht unter Leuten sein.
Minuten später, nachdem wir im Apartment angekommen sind, gehe ich sofort zum Bücherregal und nehme mir eins meiner Lieblingsbücher und schmeisse mich auf die Couch. Beim Lesen kann ich zumindest kurzzeitig in eine andere Welt eintauchen. Doch kaum habe ich das Buch aufgeschlagen, wird es mir auch schon weggenommen.
„Alles in dich hinein zu fressen bringt dir rein gar nichts.", erklingt die Stimme des Ferox neben mir. Ich starre auf den Boden.
„Was willst du denn jetzt von mir hören, Eric? Dass ich zu schwach war, um zu verhindern was passiert ist?", fauche ich und funkle ihn an.
„Was genau ist denn passiert?", will er wissen und hält mich an den Handgelenken fest. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Mir fällt es nicht leicht, über all das zu reden. Aber ich weiß auch, dass Eric erst Ruhe geben wird, wenn ich ihm alles erzähle. Also beginne ich, ihm von diesem Abend zu erzählen. Er hört mir zu, sagt aber nichts. Schließlich ballt er die Hände zu Fäusten, wendet sich ab und schlägt gegen das Regal, sodass die Holzleiste bricht und alles zu Boden fällt. Ich schlucke und rutschte ein Stück zurück. Der Anführer fährt sich mit einer Hand übers Gesicht und man sieht ihm sofort an, dass er vor Wut kocht.
„Du hast alles richtig gemacht, Elena. Das, was passiert ist, hättest du alleine nicht abwenden können. Sie waren zu zweit und hatten Mia als Geisel. Dich trifft da keine Schuld.", presst er angestrengt hervor, bevor er seinen Blick wieder auf mich richtet.
„Das sagst du jetzt nur so.", murre ich.
„Nein.", beharrt er weiter und kommt auf mich zu. Ich stehe auf und weiche weiter zurück.
„Wenn du Scheiße baust, dann bin ich der Erste, der dir das ins Gesicht sagt, das kannst du mir glauben.", sagt er bestimmend und bleibt einen Meter vor mir stehen. Ich sehe ihn an und weiß nicht, was ich tun soll. Wieso muss er so nett sein? Kann er nicht einfach wieder ein Arschloch sein, sodass ich ihn hassen kann?
„Du solltest meine Eltern demnächst informieren, dass du die Verlobung auflöst. Je früher sie es erfahren, desto besser.", sage ich tonlos und gehe zum großen Fenster.
„Warum sollte ich das tun?", fragt er kalt. Ich zucke mit den Schultern.
„Ich bin entstellt.", antworte ich ohne ihn anzusehen. Er atmet genervt aus.
„Hälst du mich wirklich für so oberflächlich?", knurrt er und sein Blick bohrt sich in meinen Rücken.
„Du brauchst mir nichts vorzumachen, Eric. Ich nehme es dir nicht mal übel. Wirklich nicht.", erwidere ich und starre weiter aus dem Fenster. Einige Sekunden lang starren wir beide einen gewissen Punkt an, bis er blitzschnell auf mich zukommt. Ich drehe mich um und er verpasst mir eine Ohrfeige, sodass mein Kopf zur Seite geschleudert wird. Fassungslos sehe ich zu ihm hoch. Und schlage zurück.
Er hätte meinen Schlag sicher abfangen können, aber er hat es nicht getan. Aufgebracht richte ich mich noch ein Stück weiter auf und schubse ihn zurück.
„Was willst du jetzt machen, huh? Mich verprügeln?", fahre ich ihn an und lache spöttisch auf. Ich bereite mich auf den nächsten Schlag vor, der allerdings ausbleibt. Stattdessen zieht er mich an seinen Oberkörper und drückt meinen Kopf an seine Brust. Und dann tue ich genau das, was ich um alles in der Welt verhindern wollte: ich lasse meinen Tränen freien Lauf.Ich habe keine Ahnung, wie lange wir so dastehen, aber es fühlt sich so gut an. Eric gibt mir den Halt, den ich im Moment brauche.
„Warum tust du das?", nuschle ich in sein T-Shirt.
„Was denkst du wohl?", ist seine Gegenfrage. Ich drücke mich sanft von ihm weg und sehe zu ihm hoch. Schweigend mustere ich seine Gesichtszüge, seine leicht rissigen Lippen und die kleine Narbe an der Augenbraue, wo ich ihm das Piercing herausgerissen hatte. Mein Blick bleibt an seinen Augen hängen, die mich beobachten.
„So übel bist du gar nicht.", rutscht es mir raus, als ich meinen Kopf wieder zurück auf seine Brust lege. Er lacht leise und ich muss grinsen.
„Soll ich dir was verraten, Elena?", raunt er mir plötzlich ins Ohr, sodass sich, wie schon so oft, eine Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitet. Ich schlucke.
„Was?", frage ich zögerlich und sehe zu ihm hoch. Erwartungsvoll blicke ich in seine Augen und beobachte, wie sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln verziehen.
DU LIEST GERADE
Himmel und Hölle
ФанфикElena, eine gebürtige Ferox, lebt in einer familiären Problemwelt. Ihre Eltern sehen als einzigen Ausweg ihre chaotische Tochter einen Ehemann zu finden, der ihr den richtigen Weg weist und ihr Respekt beibringt. Alles andere als begeistert von ihre...