12. Tess und Mia (√)

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Wir werden unterbrochen, als es barsch an der Tür klopft. Erics Lächeln verschwindet so schnell, wie es gekommen ist und er schaut mich noch kurz an, bevor er sich abwendet und durchs Zimmer geht.
„Mit den Narben siehst du äußerlich zumindest ein bisschen aus wie eine Ferox. Tattoos und Piercings hast du ja keine."
Verdutzt sehe ich ihm hinterher. Das war es, was er mir sagen wollte???? Super, danke.
Ich erwidere nichts darauf. Doch innerlich ärgert es mich, dass ich so etwas wie 'Du bist auch mit den Narben noch hübsch.' erwartet habe. Wie blöd bin ich eigentlich? Eric würde so etwas nie zu mir sagen. Draußen wartet Four mit verschränkten Armen und sieht Eric ernst an. Ein Blick zu mir genügt, um zu wissen, dass mich ihr Gespräch nichts angeht, also seufze ich und gehe ins Schlafzimmer, um dort zu lesen.

Es ist mittlerweile später Abend und ich quäle mich jetzt schon eine halbe Ewigkeit damit herum, mich so zu waschen, dass weder Duschgel noch Haarshampoo auf die noch empfindlichen Wunden auf meinem Rücken, gelangen. Als ich schließlich fertig bin, ziehe ich mich untenrum an und mache mich daran, mir den frischen Verband umzulegen.
„Bist du ins Klo gefallen oder was machst du so lange da drin?"
Genervt verdrehe ich die Augen. War klar dass wieder irgend ein Spruch kommen muss.
„Wenn man keine Ahnung hat, sollte man einfach mal die Klappe halten, Eric!", keife ich durch die Tür zurück und habe schon die Hälfte meines Rückens einbandagiert, als mir das Verbandsende durch die Finger flutscht und alles wieder aufging.
„Du elendes Mistding!", zische ich, nehme die Verbandsrolle und schmeisse sie gegen die Badezimmertür. Eine Weile herrscht Stille, bis es an der Tür klopft.
„Brauchst du Hilfe?", höre ich Eric fragen.
'Ja.', denke ich.
„Nein danke.", antworte ich schnippisch und starte einen neuen Versuch. Diesmal lasse ich mir mehr Zeit und nach ein paar Minuten habe ich es endlich geschafft.
„Na geht doch.", grummle ich zu mir selbst und verlasse das Badezimmer. Ich trage kein T-Shirt, immerhin bedeckt ja der Verband meinen Oberkörper. Unauffällig schiele ich zur Seite und erkenn Eric, der mich beobachtet. Er sagt jedoch nichts. Ich verschwinde im Schlafzimmer und ziehe mir ein langes, schwarzes T-Shirt über und wechsle meine Hotpants mit einer dunkelgrauen Jogginghose.
Als ich zurückkomm, sitzt Eric an seinem Schreibtisch und scheint beschäftigt, also nutze ich die Gelegenheit und schleiche mich zur Tür.
„Wo willst du hin?", erklingt seine Stimme monoton und ich zucke zusammen.
„Ich besuche Mia.", gebe ich knapp zurück und öffne die Tür. Er sieht auf.
„Du weißt, dass die Krankenstation um diese Uhrzeit für Besucher schon geschlossen ist?", fragt er und mustert mich, als wäre ich blöd. Ich lächle gekünstelt.
„Als ob das ein Hindernis wäre. Sie ist meine beste Freundin. Und nur wegen mir liegt sie im Koma. Ich kann sie nicht die ganze Zeit dort allein lassen.", gebe ich zurück und verlasse die Wohnung. Zwar bekomme ich noch mit, dass er etwas erwidern wollte, doch ich beachte ihn nicht weiter. Kurze Zeit später erreiche ich auch schon die Krankenstation, die zwar nicht abgeschlossen ist, aber von einem Ferox bewacht wird. Irgendwie muss ich ihn ablenken, sodass er von der Tür weg geht. Gerade als ich mir einen Plan mache, werde ich von einem anderen Geräusch abgelenkt. Es kommt aus einem der Gänge, aber aus welchem kann ich nicht sagen. Ich konzetriere mich auf das Geräusch und vernehme ein Wimmern. Oh. Bei den Ferox ist es zwar nicht unüblich, dass sich in den dunklen Gängen Gewalt abspielt, aber das war das erste Mal, dass ich so etwas als Außenstehende mitbekomme. Sollte ich mich einmischen?
Schließlich seufze ich leise und folge dem Wimmern. Als Ferox ist es meine Aufgabe, anderen zu helfen. Darauf bedacht, keinerlei Geräusche zu machen, schleiche ich den Gang entlang und beibe in sicherem Abstand vom Geschehen stehen.
Das was ich sehe, macht mich jedoch stutzig. Das sind doch Initianten. Wie es aussieht Fraktionswechsler. Gerade mal zwei Wochen hier und schon gibt es zwischen ihnen Ärger. Nun gebe ich mir keine Mühe mehr, leise zu sein, und marschiere zielstrebig auf sie zu. Es sind zwei Jungs, die ein Mädchen gegen die Mauer drücken. Ich kann mir schon denken, was das hier los ist.
„Was habt ihr hier um die Uhrzeit zu suchen?", fahre ich die Neulinge auch schon an und positioniere mich zwischen dem Mädchen und den beiden Jungen. Gegen hochrangige Ferox habe ich im Nahkampf zwar keine gute Karten, aber gegen ein paar Initianten komme ich locker an. Auch mit meiner Verletzung.
„Geht dich doch nichts an.", nuschelt einer der Jungen und wirkt ziemlich verunsichert.
Ich schnaube.
„Euer Ausbilder wird sicher erfreut sein, wenn ich ihn über das hier informiere. Und abgesehen davon, wenn ich noch ein einziges Mal davon Wind bekomme, dass hier Mädchen gegen ihren Willen begrapscht werden, dann werde ich den Verantwortlichen das Leben persönlich zur Hölle machen, kapiert?" Erst jetzt merke ich, wie aufgebracht und drohend meine Stimme klingt. Die beiden pressen ertappt die Lippen aufeinander und starren auf den Boden.
„Und jetzt haut ab!", schnauze ich, sodass sie augenblicklich verschwinden. Leute anschnauzen war eines der vielen Dinge, die man von Eric am besten lernen kann. Nun wende ich mich zu dem Mädchen, welches mich erschrocken, aber auch erleichtert anschaut.
„Erzähl es bitte nicht unserem Ausbilder.", beginnt sie leise und richtet sich ihr verrutschtes T-Shirt. Verdutzt sehe ich sie an.
„Wieso das? Es ist seine Aufgabe, auf die Sicherheit seiner Initianten zu achten und ihnen Respekt beizubringen.", erkläre ich ihr und stocke, als ich eine Platzwunde an ihrer Schläfe entdeckte. „Aber wenn er das hier erfährt, hält er mich für zu schwach und reiht mich im roten Bereich noch weiter zurück.", sagt das Mädchen mit zittriger Stimme und sieht mich flehend an.
Ich sehe sie kurz an und nicke. Die Initiation ist hart, vor allem für Fraktionswechsler, und ich kann das Mädchen verstehen. Irgendwie erinnert sie mich ein wenig an mich selbst, an meine Initiation, in der Alec und seine Freunde mir mein Leben zur Hölle gemacht haben. Einmal haben sie mich so sehr verletzt, dass ich Tage aussetzten musste und somit von den Top 3 im Ranking einige Plätze nach hinten gerutscht bin. Deshalb hatte ich die Initiation auch nur knapp bestanden und auch meine Jobchancen waren anders als erhofft. Zwar hatte ich nie vor, Anführerin zu werden, aber Ausbilderin hätte mich schon immer interessiert. Aber ja, das wurde mir gründlich versaut.
„Komm mit. Ich bringe dich zur Krankenstation.", meine ich schließlich und nehme sie mit mir. Da wird mir auch klar, dass ich somit auch problemlos zu Mia komme.
Bevor ich das Mädchen, dessen Name sich als Tess herausstellt, mit dem diensthabenden Arzt alleine lasse, tue ich etwas, was selbst mich überraschte: ich biete ihr an, ihr beim Training zu helfen. Das, was mir passiert ist, sollte sich nicht bei den nächsten Initiantinnen wiederholen. Ich würde meine Erfahrungen dafür nutzen, ihr zu helfen, wie sie sich gegen solche Typen verteidigen konnte. Wenn ich schon keine offizielle Ausbilderin bin, dann zumindest eine Inoffizielle, für Initianten, die mehr Hilfe brauchen, als andere. Der Gedanke daran lässt mich lächeln.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, befinde ich mich noch immer auf der Krankenstation. Nach einer kurzen Diskussion mit dem Arzt hat er mir erlaubt, noch etwas bei Mia zu bleiben. Allerdings lässt er sich dann auch nicht mehr blicken um mich rauszuschmeißen und irgendwann muss ich auf dem Stuhl eingepennt sein. Verschlafen blinzle ich und strecke mich kurz. Mein Blick glitt zu Mia, die mich schwach anschaut.
„Morgen.", murmle ich und gähne, bis mir klar wird, dass Mia wach ist!
„MIA!", rufe ich und springe vom Stuhl. Sie lächelt mich leicht an und deutet auf den Schlauch in ihrer Hand.
„Wie lange bin ich schon hier?", fragt sie und setzt sich langsam in ihrem Bett auf. Dann kneift sie die Augen zusammen und stöhnt. „Mein Kopf.", brummt sie gequält und lehnt sich schließlich zurück.
„Was ist passiert?" Fragend sieht sie mich an. Ich beiße mir auf die Lippe.
„Kannst du dich denn an gar nichts erinnern?", frage ich vorsichtig und streiche ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie scheint zu überlegen.
„Wir waren auf der Party. Drew und ich haben getanzt, er ist dann kurz auf die Toilette gegangen und ich bin zurück zur Bar, wo mir ein Mädchen einen Cocktail spendiert hat. Dann bin ich aufgewacht und sehe dich schlafend auf diesem Stuhl sitzen.", murmelt sie leise. Nervös starre ich auf meine Hände.
„Es ist meine Schuld. Mia, ich weiß gar nicht, wie ich das jemals wieder gut machen kann.", sage ich leise und beginne, von Alecs Plan zu erzählen.
Geschockt starrt sie mich an. „Das glaube ich nicht.", stammelt sie und wirkt in Gedanken versunken.
„Dass der Dreckskerl soweit gehen würde hätte ich niemals gedacht.", sagt sie und ballt ihre Hand zur Faust.
„Ich auch nicht, ehrlich gesagt.", gebe ich zu. „Wenn ich früher etwas gegen ihn unternommen hätte, dann...", beginne ich, doch Mia unterbricht mich.
„Du kannst echt nichts dafür, Elena. Niemand konnte das erahnen.", sagt sie langsam und schließt die Augen.
„Wie geht es dir?", frage ich vorsichtig und beuge mich näher zu ihr.
„Ich fühle mich so schwach.", meint Mia mit geschlossenen Augen.
„Ruh dich noch etwas aus.", flüstere ich.
„Wenn ich wiederkomme, bringe ich dir so viele Muffins aus der Cafetria mit, wie du essen kannst.", füge ich grinsend hinzu und erhebe mich.
„Das müssen aber viele sein, denn ich bin total ausgehungert.", gähnt meine beste Freundin und wir lachen. Es freut mich so, dass sie endlich aufgewacht ist. Nun sieht die Welt schon ein wenig besser aus.

Gerade als ich die Cafeteria erreiche, fällt mir auf, dass es noch ziemlich früh am Morgen ist, denn nur wenige Ferox sind hier anzutreffen. Sie alle wirken noch ziemlich verschlafen. Zielstrebig marschiere ich zum Buffet, schnappe mir ein Tablett und belade es mit Muffins. Das Frühstück hier bei uns Ferox ist einfach das Beste. Vorsichtig setze ich anschließend meinen Weg zur Krankenstation fort, darauf bedacht, keinen dieser köstlichen Muffins runter zu werfen.
„Was hast du mit so vielen Muffins vor?", fragt ich Four, der mir mit hochgezogener Augenbraue entgegenkommt.
„Mia ist aufgewacht.", strahle ich ihn an. Er nickt und nimmt sich im Vorbeigehen einen Muffin vom Tablett.
„Hey!", rufe ich ihm gespielt empört nach und schüttle den Kopf. Ich denke, heute kann mir niemand mehr den Tag verderben......

Himmel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt