19. Vertrauen(√)

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Elenas POV

Es ist mittlerweile später Abend, als ich endlich die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fallen lasse und mich eine Sekunde daran anlehne. Ich schließe die Augen und atme tief durch. Obwohl ich weiß, dass Gefahr und Tod in unserer Fraktion einfach allgegenwärtig sind, hat es mich psychisch ziemlich mitgenommen, die Leichen einiger Ferox auf den Transportwagen zu tragen. Auch wenn ich mit diesen Ferox kaum etwas zu tun hatte, kannte ich sie schon seit ich zurückdenken kann, denn es waren ebenfalls gebürtige Ferox. 
Ich atme tief durch und schäle mich schließlich aus meinen verdreckten und mit Blut bekleckten Arbeitsklamotten, bis ich nur noch in Unterwäsche im Zimmer stehe. Eric ist ohnehin nicht da, er hat noch einiges mit Max zu besprechen. Anführerkram nennt er es. Nachdem ich mich ausgiebig geduscht habe, ziehe ich mir saubere Sachen an und mache mich auf den Weg in die Grube, um mit etwas Glück noch etwas zu Essen zu ergattern. 
Dort angekommen,ist glücklicherweise noch Hackbraten mit Kartoffeln übrig und ich setze mich damit zufrieden an einen Tisch. Außer mir isst niemand mehr, und diejenigen, die hier sind, raufen in den hinteren Ecken oder üben sonst irgendwelche Mutproben aus. Sie alle sind viel ältere Ferox, geschätzt um die 30 Jahre, die alle über viel Erfahrung verfügen und man sich daher nicht leichtfertig mit ihnen anlegen sollte. Kauend beobachte ich sie und hätte mich fast verschluckt, als sie plötzlich ihren Blick auf mich richten und beginnen, mir zuzuwinken. Es ist eine Art „Einladung". Ich schüttle nur ablehnend den Kopf und deute auf den vollen Teller vor mir. Ich habe solchen Hunger, dass mich absolut niemand davon abhalten könnte, zu essen. Ohne die Gruppe weiter zu beachten, esse ich weiter, als plötzlich ein Messer knapp neben meinem Ellenbogen im Tisch steckenbleibt. 
„Bist du eine Ferox, oder eine Stiff?", höre ich einen von ihnen spöttisch rufen und die anderen lachen. Meine Augen verengen sich und ich muss nachdenken. Mit solchen Situationen muss man immer rechnen, wenn man die Grube betritt, das weiß ich, aber bisher wurde ich noch nie dazu aufgefordert, bei solchen Rangeleien mitzumachen. Genauso weiß ich, dass sie mich nicht in Ruhe lassen würden, wenn ich mich weigern würde. Wurde ein Ferox herausgefordert, so muss man Mut zeigen und sich der Herausforderung stellen, ansonsten gilt man als Feigling und wird auch dementsprechend behandelt. Widerwillig erhebe ich mich und unterdrücke den Drang, ihnen den Mittelfinger zu zeigen. Als ich die Gruppe schließlich erreiche, verschränke ich mies gelaunt die Arme vor der Brust und blicke unbeeindruckt drein. Ich muss nicht groß überlegen, um zu wissen, dass ich gegen einen Ferox mit um die 15- 20 Jahren Kampferfahrung mehr als schlechte Karten habe, aber wie immer geht es darum, sich die Angst nicht anmerken zu lassen. 
„Ihr beide – gegeneinander!", bestimmt einer von ihnen und deutet auf mich und einen Typen, welcher nun hervortritt. Ich schätze ihn auf Ende 20, Anfang 30. Seine Arme und sein Gesicht sind von Narben geziert. Ich schlucke. 
„Findet ihr das fair?", frage ich genervt und blicke meinen Gegenüber gereizt an. 
„Wenn du Angst hast, Kleine, gehörst du nicht zu uns. Ferox sind furchtlos!", brüllt er schließlich und die Anderen stimmen mit ein. 
„Oder lebensmüde.", murmle ich leise vor mich hin, sodass sie es nicht hören können. Als ich den Geruch von Bier wahrnehme, weiß ich, dass das offenbar eine Art Trinkspiel darstellen soll, und nun erklärt der Typ auch, dass der Verlierer dem Gewinner ein Bier zu zahlen hat, welches der Andere dann auf ex trinken muss. Leise seufze ich und nehme meine Kampfposition ein. Während sie alle noch ihre Kampfkleidung anhaben, trage ich nur ein schwarzes T-Shirt, eine dunkelgraue Jogginghose und ein Paar ausgeleierte Turnschuhe, die ihre besten Zeiten längst hinter sich haben. Kaum wurde das Startzeichen gegeben, rennt mein Gegenüber auf mich zu, packt mich und reißt mich in einem Ruck zu Boden. Überrascht und geschockt versuche ich, mich zu befreien. Das war das erste Mal für mich, dass jemand gleich zu Beginn eines Kampfes Richtung Bodenkampf geht. 
„Verdammt.", presse ich angestrengt hervor und schaffe es, unter einem seiner Arme durchzuschlüpfen und schlage ihm meinen Ellenbogen in die Rippen und in seine Nierengegend. Doch so schnell wie ich austeilen konnte, muss ich auch wieder einstecken, denn kurz darauf packt er mich an der Hüfte und schleudert mich zurück auf den Boden, sodass meine Sicht kurz verschwimmt, als ich mit dem Hinterkopf am Boden aufschlage. Ich schlage nach oben und treffe seine Halsschlagader, weshalb er mich loslässt und sich mit den Händen an den Hals fasst. Diesen Moment nutze ich und bringe Abstand zwischen uns. Eigentlich wollte ich weiter zurück, aber die anderen Ferox haben einen Kreis um uns gebildet und schränken mich somit ein. Mein Gegner ist inzwischen ebenfalls wieder auf den Beinen beobachtet mich belustigt. Er ist sich seines Sieges sicher, soviel steht fest. 
„Na los, gib ihm eins aufs Maul!", ruft mir jemand aufmunternd zu. 
„Er steht drauf, wenn man ihm die Fresse poliert!", schreit ein Anderer und lacht. Ich seufze genervt.
Männer. 

Himmel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt