10.Überraschung (√)

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Ich muss zugeben, mit Eric ist es wesentlich leichter, sich durch eine tanzende Gruppe von Ferox zu bewegen, da ihm alle anderen sofort Platz machen und er die übrigen, ohne mit der Wimper zu zucken, einfach anrempelt. Alles was ich machen muss, ist hinter ihm zu bleiben, während er den Weg räumt. Das kann ich ja auf meine imaginäre Pro-und-Contra-für-Eric-Liste schreiben.
Wir sind gerade dabei, uns etwas abseits der anderen niederzulassen, als Max mit einigen anderen hochrangigen Ferox zu uns rüberkommt. Darunter auch mein Vater. Sie alle tragen ihre Kampfkleidung und Waffen.
Ich schiele rüber zu Eric und sehe, wie sich seine Gesichtsmuskeln anspannen.
„Elena, geh doch bitte zurück in eure Wohnung." Die Stimme meines Vaters lässt mich zusammenzucken. Ich unterdrücke den Drang, meine Hände zu Fäusten zu ballen und blicke ihn nur kalt an
„Eric, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.", erinnert Max mit ruhiger, aber mit deutlich angespannter Stimme. Eric nickt langsam, packt mich am Oberarm und zieht mich mit ihm auf die Beine. „Geht schon mal vor, ich hole euch dann ein.",richtet er das Wort an Max und die anderen Ferox, bevor er mich Richtung Ausgang schiebt.
„Hey, kannst du mal aufhören, mich wie ein Kind zu behandeln? Ich bleibe einfach hier.", beginne ich zu sprechen, doch er ignoriert mich einfach, bis wir an seiner Wohnung ankommen und er mich grob hinein befördert.
„Eric!", knurre ich und sehe ihn verständnislos an. Doch er beachtet es nicht. Still und mit verschränkten Armen sehe ich ihm zu, wie er sich in seine Einsatzkleidung wirft.
„Kannst du mir nicht wenigstens erzählen was das für eine Top-Secret Mission ist?", frage ich und setze mich auf die Couch. Wieder keine Antwort. Genervt schließe ich die Augen. Als ich sie wieder öffne, steht Eric vor mir und hält mir eine Pistole hin. Überrascht sehe ich das Ding an, denn normalerweise werden sämtliche Waffen separat aufbewahrt. Vermutlich wieder ein Anführerprivileg, Waffen in der Wohnung haben zu dürfen.
„Merk dir eins, Elena.", beginnt Eric und kniet sich vor mich. „Das hier ist meine persönliche Waffe, sie war nicht einfach zu bekommen und außerdem sehr teuer. Ich werde sie dir für den Notfall borgen, aber ich würde dir raten, sehr gut darauf Acht zu geben. Du wirst sie nicht kaputt machen, verlieren, oder deine Freunde ausprobieren lassen. Du benutzt sie nur im Notfall, kapiert?"
Ruhig sehe ich ihm in die Augen und frage mich, was das für eine Mission sein kann, dass er so gestresst wirkt. Normalerweise bringt ihn nichts aus der Ruhe.
„Okay.", erwidere ich und mache eine salutierende Handbewegung. Er verdreht die Augen. „Nur damit ich nichts missverstehe, ich darf nicht zurück zur Party, oder?", vergewissere ich mich und ernte einen bösen „selbstverständlich nicht-" Blick.
„Wann bist du wieder zurück?"
„Bis zum Frühstück sollte alles in Ordnung gebracht sein.", gibt er zurück und schultert seine Waffe. Prüfend sehe ich ihn an. Was auch immer ihm bevor steht, es muss ihn nervös machen. Und wenn jemand wie Eric sich Sorgen macht, dann muss es etwas sehr Ernstes sein. Ich lege die Pistole auf den Wohnzimmertisch und mache ein paar Schritte auf den Ferox zu, bleibe aber dann stehen. Irgendwie habe ich das Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen, aber das traue ich mich nun doch nicht.
„Pass auf dich auf. Ja?" ,bitte ich stattdessen. Und meine es auch so. Er ist zwar ein Tyrann, aber irgendwie hab ich mich schon an ihn gewöhnt. Ich will nicht, dass ihm etwas passiert. Wenn ihm jemand eins überbraten darf, dann ja wohl nur ich!
„Ja.",, gibt er tonlos zurück, sieht mich noch kurz an und verschwindet.

Nachdem er gegangen ist, schließe ich die Tür ab und gehe ins Badezimmer. Ich schminke mich ab, ziehe mich aus und steige unter die Dusche, wo ich das Wasser heiß aufdrehe. Wenn Eric weg ist, konnte ich wenigstens so lange duschen, wie ich will, ohne dass jemand genervt an der Tür hämmert und mir vorwirft, ich würde das ganze warme Wasser verbrauchen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit trockne ich mich ab und wickle mir das Handtuch um den Körper, während ich meine nassen Haare kämme. Gedankenverloren verlasse ich anschließend das Bad und bin gerade dabei, mir frische, bequeme Klamotten raus zu suchen, als es an der Tür klopft. Gestresst schlüpfe ich in meine Unterwäsche und ziehe mir eine dunkelgraue Jogginghose über. Da ich auf die Schnelle kein T-Shirt von mir finde  – vermutlich sollte ich mal die Schmutzwäsche waschen – schlüpfe ich einfach in eins von Eric. Es klopft erneut und ich haste zur Tür. Doch kurz bevor ich aufschließe, halte ich inne.
„Ja?", rufe ich und warte, dass sich jemand meldet. Aber es kommt keine Antwort.
„Wer ist da?", frage ich erneut. Wieder keine Antwort, dafür aber ein stärkeres Klopfen. Ich schlucke und mache einen Schritt zurück. Wer würde hierherkommen und nicht verraten wollen, wer er ist? Jedenfalls niemand, der Gutes vorhat. Plötzlich fällt mein Blick auf die Waffe, die Eric mir gegeben hat. Zögernd gehe ich zum Wohnzimmertisch und nehme sie hoch. Rasch ziehe ich meine Stiefel an, um mir die Pistole unauffällig in den rechten Stiefel zu stecken. Mit der Jogginghose darüber bemerkt man sie nicht. Jemand hämmert gegen die Tür und nun fühle ich es: Angst. Angst, die man als Ferox nicht haben sollte.
Ich höre, wie am Schloss der Tür herum gewerkt wurde und plötzlich fliegt sie mit einem Schwung auf. Schnell haste ich in die Küche und greife mir ein Messer. Als ich aufblicke, wäre es mir beinahe wieder aus der Hand gefallen.
„Mia.", flüstere ich erschrocken und spüre, wie mir sämtliche Farbe aus dem Gesicht weicht.
„Was habt ihr mit ihr gemacht?", fauche ich und mache einen Schritt nach vorne. Alec und seine Begleiterin lachen auf und deuten mir, nicht näher zu kommen.
„Der Kleinen geht's gut – noch. Man sollte sein Getränk nie unbeaufsichtigt lassen, das hat ihr wohl niemand gesagt.", gibt die schwarzhaarige Ferox von sich, die ich bisher nur vom Sehen kenne.
„Was zur Hölle fällt euch eigentlich ein?!", zische ich. Alec lächelt böse.
„Ich bin wegen dir hier hergekommen. Und wenn du versuchst, mich zu verletzen, wird deine Freundin dafür bezahlen.", verkündet er und kommt auf mich zu. Ich richte das Messer auf seine Brust, sodass er stehen bleibt.
„Vorsicht.", zischt mein Gegenüber und deutet zu seiner Freundin, die der ohnmächtigen Mia ein Messer an die Kehle hält. Ich schlucke und meine Hand beginnt zu zittern. Langsam senke ich das Messer und lasse es fallen. Verdammte Scheiße. Mia...
„Braves Mädchen.", säuselt das Arschloch und ich funkle ihn hasserfüllt an. Ich muss an die Pistole in meinem Stiefel denken, aber wie komme ich schnell genug an sie ran, ohne zu riskieren, dass Mia verletzt wird? Der Zeitpunkt muss perfekt sein, ansonsten muss Mia meinetwegen vielleicht sterben...
„Eric wird jede Minute zurückkommen.", lüge ich und versuche, gehässig zu schauen.
„Das wird er nicht. Wir haben den Anführertrupp eine Weile lang beschäftigt, denn wie durch ein Wunder konnten Fraktionslose in das Labor der Ken einbrechen und sind nun in Besitz gefährlicher Chemikalien, die sie als Waffe einsetzen können.", erzählt er amüsiert und ich schüttle nur den Kopf.
„Oh, weil wir gerade bei dem Thema sind.", fährt er fort und holt ein kleines Gefäß aus seiner Jacke hervor. „Ich hab dir auch was mitgebracht, damit du nicht leer ausgehst."
In seiner Hand hält er ein mit Flüssigkeit gefülltes Gefäß, dass nicht gerade ansprechend aussieht. 
„Was ist das?", frage ich tonlos.
„Säure.", antwortet er kalt grinsend.
„Ich habe dir doch gesagt, es wird dir leid tun, dass du mich verpfiffen hast. Denkst du wirklich, jemand wie Eric wird ein entstelltes Stück Elend heiraten? Nein. Du wirst allein sein. Für immer!"
„Das wirst du nicht ernsthaft tun.", flüstere ich geschockt. „So bist du nicht, Alec. Das geht selbst für dich zu weit.", versuche ich auf ihn einzureden doch er deutet mir, ruhig zu sein.
„Zieh dein Oberteil aus.", befiehlt er barsch. „Oder deine Freundin bekommt die Säure ab."
Ich blicke rüber zu Mia, die wehrlos in den Armen von seiner Begleiterin hängt. Wortlos beginne ich, mein T-Shirt über den Kopf zu ziehen und frage: „Meinen BH auch?"
Ich knüllte das T-Shirt in meinen Händen zusammen und streiche mir mit der linken Hand langsam über die Brust. Zwar hatte ich keine Ahnung, wie man so etwas anstellt, aber ich versuche, erotisch zu sein, so wie ich das bei Frauen im Fernsehen gesehen hatte. Ich beuge mich etwas nach vorne, um ihnen einen besonders guten Einblick zu gewähren. Und ich habe recht behalten – sowohl Alec als auch seine Freundin gaffen auf meine Oberweite. Das nutze ich aus und werfe dem Mädchen, die Mia hält, das zusammengeknüllte T-Shirt ins Gesicht, greife gleichzeitig nach der Pistole und schieße ihr zuerst in die Hand, dann zweimal in den Oberschenkel. Mit einem schmerzerfüllten Schrei lässt sie das Messer fallen und geht zu Boden. Im nächsten Augenblick werde ich zur Seite gerissen und ernte einen heftigen Schlag ins Gesicht.
„Das war ein großer Fehler, Elena!", faucht Alec und nimmt das Messer, welches seine Freundin fallen gelassen hat.
„Deine Haare wirst du ohnehin nicht mehr brauchen.", sagt er kalt, nimmt eine Strähne in die Hand und schneidet sie ab. Ich schreie und versuche, an die Pistole zu kommen, aber ich muss sie fallen gelassen haben, als sich Alec auf mich geworfen hat. Er fährt mit seiner Tortur fort und schneidet mir meine schönen, langen Haare ab. Tränen sammeln sich in meinen Augen. Ich bin zwar noch nie sonderlich eitel gewesen, aber ich liebe meine langen Haare.
Der nächste Schlag folgt und noch einer und noch einer. Ich blinzle benommen, und als ich höre, wie er nach der Säure greift, kann ich nur an eins denken: Mach ihn fertig!
Verletzt, aber vor allem wütend reiße ich meine Arme nach oben und seinen Kopf zu mir nach unten.
„Ich werde dich töten.", flüstere ich in sein Ohr und drücke ihm die Finger in die Augen, sodass er schmerzerfüllt aufschreit. Mit aller Kraft schaffe ich es, ihn von mir runter zu drücken und gewinne die Oberhand. Ich nehme seinen Kopf und schlage ihn zurück auf den Boden.
Einmal. Zweimal. Dreimal.
„Das ist für die letzten Monate.", zische ich und schlage ihm die Faust ins Gesicht.
„Und das ist für Mia!", knurre ich und schlage ihm in die Magengrube. Das Adrenalin durchströme mich förmlich.
„Und das", sage ich keuchend, „das ist für meine Haare!" Nun schlage ich ihm mit aller Kraft in die Weichteile. Benommen versucht Alec, seinen Blick auf mich zu richten, aber er ist so gut wie erledigt. Blut läuft aus seinem Ohr, das deutet auf einen Schädelbasisbruch hin. Ich blicke auf ihn hinab. Es ist so leicht. Ich könnte ihn töten...ich könnte es beenden...ein für alle Mal...
,, gibt er tonlos zurück, sieht mich noch kurz an und verschwindet. „Geh runter von ihm, oder sie bekommt die Säure ab!" kreischt Alecs Freundin hinter mir. Mein Blick geht zu ihr herum und ich sehe, wie sie den Behälter mit der Säure über Mias Gesicht hält. „Nein!" schreie ich ihr entgegen und gehe schnell von ihm herunter. Die Ferox lässt Mia los und tritt von ihr weg. „Ich nehme mir nun Alec und verschwinde. Und du wirst uns gehen lassen.'' gibt sie drohend zurück. Ich nicke und bleibe mit erhobenen Händen vor Alec knien. Sie läuft an mir vorbei und geht auf Alec zu. Ich will gerade zu Mia, als ich einen brennender Schmerz wahrnehme, der sich über meinen Rücken ausbreitet. Ich schreie auf und rolle mich auf dem Boden zusammen. Ich habe nicht bemerkt, dass Alecs Begleiterin hinter mich gekrochen ist...die Säure...sie hat sie mir über den Rücken geschüttet! 

Ich fluche, ich schreie und rolle mich weinend am Boden. Ich spüre etwas Hartes, Kaltes an meiner Schulter und erblicke Erics Waffe. Stöhnend ergreife ich sie und ziele auf die Schlampe. Sie hat sich die Schusswunde am Oberschenkel mit Erics T-Shirt notdürftig abgebunden, aber hinkt und ihre Hand sieht auch alles andere als gut aus.
„Hau ab oder ich erschieße dich.", brülle ich schmerzerfüllt und richte die Waffe auf ihre Stirn. Sie blickt zwischen der Tür und Alec hin und her, offenbar wägt sie ab, ob sie ihn mitnehmen soll. Doch dann sucht sie fluchend das Weite.
„Verdammte Scheiße.", schluchze ich und krieche ins Badezimmer. Irgendwie schaffe ich es, das Wasser in der Dusche anzudrehen und hocke mich darunter. Säure entzieht der Haut Wasser, daher muss man die betroffene Stelle so schnell wie möglich mit Wasser abspülen. Diese Schmerzen...
Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen, die Schmerzen übermannen mich und dann wird alles schwarz.

Als ich die Augen öffne, finde ich mich in der Krankenstation wieder. Ich versuche, mich aufzurichten, aber ich war noch zu benommen.
„Du bist wach?" Es ist Drew Stimme. Er sitzt neben meinem Bett und ich drehe meinen Kopf in seine Richtung. Dadurch sehe ich auch, dass Mia im Bett neben mir liegt. Sie schläft.
„Wie?", ist das Einzige, was ich hervorbringen kann. Drew sieht mich an und an seinen geröteten Augen erkennt man, dass er geweint hat.
„Als ich Mia nirgends finden konnte, hab ich gedacht, ihr seid vielleicht kurz in deine neue Wohnung...und als ich dort eintraf, wart ihr beide....und Alec...dieser Mistkerl...ich hab sofort einen Arzt gerufen.", erzählt er stockend und blickt zu Mia.
„Die Ärzte meinen, dass die Typen ihr eine zu hohe Menge an KO-Tropfen gegeben haben. Sonst müsste sie schon längst wach sein." Seine Hände ballen sich zu Fäusten und ich spüre, wie mir die Tränen kommen.
„Du meinst...es könnte sein, dass sie...?" Ich schluchze. Drew starrt zitternd auf seine Fäuste.
„Gut, dass Sie wach sind.", begrüßt mich eine Pflegerin und bedeutet Drew, dass er nun gehen muss.
„Es wird Zeit, den Verband zu wechseln.", erklärt sie mir und zieht den Vorhang, welcher die Betten voneinander trennt, zu.
„Den Verband?", frage ich leise und sehe an mir herab. Mein Oberkörper ist komplett bandagiert. Dann fällt mir alles wieder ein.
„Was ist mit meinem Rücken?", frage ich panisch und beginne, wie wild zu atmen.
„Nun ja...es war gut, dass sofort Wasser zugeführt wurde, sonst wäre es noch schlimmer. Aber die Narben werden leider bleiben.", erklärt die Pflegerin und sieht mich mitleidig an.
„Kann ich es sehen?", flüstere ich und sie nickt.
„Um es zu dokumentieren wurden Fotos gemacht. Einen Moment." Sie verschwindet und kommt einen Augenblick später mit einer Mappe wieder. Daraus reicht sie mir ein Bild.
„Oh mein Gott." Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. Beinahe mein ganzer Rücken ist entstellt. Schrecklich vernarbt, voller Blut...grausam. Ich starre das Bild an und kann es nicht fassen.
„Lassen Sie mich nun bitte Ihren Verband wechseln.", fordert sie mich freundlich auf, doch ich reagiere nicht. Der Schock  sitzt viel zu tief.
„Hören Sie mir überhaupt zu?" Ihre Stimme wurde immer ungeduldiger. Tränen laufen mir über die Wangen.
„Ohje.", seufzt die Pflegerin und fährt sich über die Stirn.
„Möchten Sie mit jemandem sprechen?", fragt sie mich. Ich reagiere nicht.
„Soll ich jemanden für Sie holen lassen?", fragt sie erneut und ich nicke schließlich.
„Meinen Verlobten. Können Sie...können Sie ihn holen?", frage ich.
Sie nickt. „Aber zuerst muss ich den Verband wechseln und die Wunden versorgen."

Himmel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt