17. Elena arbeitet allein?!?!?! (√)

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Lesenacht: 4 / 4


Nachdem ich in der Grube gemeinsam mit Mia und Drew gefrühstückt habe, bleibt mir noch etwas Zeit bis zu meinem Dienstantritt, also schlendere ich ein wenig durch die Gänge. Als ich an der Trainingshalle vorbeikomme, in der das Initiantentraining stattfindet, entschließe ich kurzerhand, stehenzubleiben und das Ganze aus einiger Entfernung zu beobachten.
„Hast du mir überhaupt zugehört, Initiant?!", höre ich auch schon niemand Anderen als Eric brüllen.
„Ja aber...", stammelt ein am Boden liegender Junge und keucht angestrengt.
„Wenn du nicht mal in der Lage bist 50 Liegestütz zu machen, dann gehörst du nicht hierher! Entweder du zeigst mir jetzt, dass du kein kompletter Schwächling bist, oder du bist raus!", schnauzt Eric angepisst und verschränkt die Arme vor der Brust. Ich verdrehe die Augen. Muss er sie gleich am Anfang schon so fertig machen? Es ist ja gerade mal acht Uhr morgens. Wenn ich ihn so beobachte, bin ich insgeheim froh, dass ich während meiner Initiation nicht von ihm ausgebildet wurde, denn ich hasse es, angeschrien zu werden.
Doch obwohl der angesprochene Initiant äußerlich völlig am Ende wirkt, rappelt er sich schließlich wieder auf und macht die geforderten Liegestütze. Als er fertig ist, nickt Eric und murrt ein „Na geht doch!", bevor er sich umdreht und sich wieder den anderen Initianten zuwendet. Dabei treffen sich kurz unsere Blicke und ich könnte schwören, dass seine Gesichtszüge dabei etwas weicher werden, bevor er seinen Blick abwendet und den nächsten Initiant zur Schnecke macht. Nach etwa fünf Minuten wird es dann doch Zeit für mich, zu gehen, also hole ich meine Waffen und renne zu den Gleisen. Wie ich feststellen muss, bin ich doch etwas spät dran, denn ich muss mich beeilen, den schon vorbeigefahrenen Zug noch zu erwischen. In letzter Sekunde springe ich ab und ziehe mich in das leere Abteil. Drew wird heute woanders gebraucht und ich bin somit auf mich allein gestellt. Auch wenn ich nichts dagegen habe, allein zu arbeiten, so würde es ziemlich langweilig werden ohne ihn. Unbewusst streiche ich mir mit den Fingerspitzen über den Rücken. Als ich noch einen Verband gebraucht habe, hat Eric mir auch ein paar Mal geholfen, ihn umzulegen. Manchmal waren die Schmerzen zu groß, um den Verband anzulegen. Auch wenn es mir unangenehm war, habe ich es zugelassen. Mit der Zeit vertraue ich Eric immer mehr. Letztes Mal hat er mich damit aufgezogen, dass ich an meiner rechten Seite ein Muttermal habe. Vorher hatte ich nie auf so etwas geachtet, aber in dem Moment war es mir etwas unangenehm. Aber mit der Zeit wurde es besser. Mit jedem Verband, bei dem er mir geholfen hatte, konnte ich besser damit umgehen. Es ist zwar immer noch nicht einfach, seine Berührungen hinzunehmen, aber ich habe mich etwas daran gewöhnt. Die Wunden sind mittlerweile schon gut verheilt und der Arzt sagte, dass ich keinen Verband mehr benötige. Lediglich die Narben und die Erinnerungen sind geblieben.

Als ich wenige Minuten später abspringe und mich abrolle, werde ich auf tobendes Geschrei und Aufruhr aufmerksam. Obwohl ich eigentlich nicht für dieses Viertel eingeteilt bin, will ich mir ansehen, was dort los ist.
„Hey, da ist ja eine Ferox!", höre ich einen offensichtlich verärgerten Ken rufen. Ich runzle die Stirn. Was haben die Ken denn soweit draußen überhaupt zu suchen?
„Was ist hier los?", rufe ich zu ihnen hinüber und nähere mich.
„Was hier los ist? Diese kleine Missgeburt wollte mir soeben mein Essen klauen!", stößt der Mann verächtlich hervor und deutet auf einen kleinen abgemagerten Jungen, vielleicht elf oder zwölf Jahre alt, den ein anderer Ken am Ärmel festhält. Durch seiner Kleidung kann ich darauf schließen, dass der Junge fraktionslos ist. Ohne zu zögern und mit ausdrucksloser Miene packe ich den Jungen an der Schulter und zerre ihn von den Männern weg.
„ Alles klar. Ich übernehme ab hier.", sage ich tonlos und gehe zügig davon, wobei ich das Kind hinter mir herziehe.
„Dieses Gesindel gehört ein für allemal weggesperrt!", ruft der Typ uns noch hinterher, aber ich ignoriere ihn. So sehr ich diesem Ken auch gerne die Fresse poliert hätte, weiß ich, dass ich das nicht tun darf, denn rechtlich gesehen hat er nur die Regeln befolgt. Diebstahl ist hier ein schweres Vergehen, das nicht geduldet und hart bestraft wird. Als ich mir sicher sein kann, dass uns niemand beobachtet, stoße ich den Jungen bestimmend hinter eine Hausmauer und fahre mir durch die Haare. Es ist meine verdammte Pflicht, ihn zu melden, aber dann würde er für das bestraft werden, zu was ihn dieses System erst gezwungen hat: stehlen. Stehlen, um satt zu werden.
„Wie heißt du?", frage ich ihn schließlich, erhalte jedoch keine Antwort. Er starrt nur mit weit aufgerissenen Augen auf die Pistole an meiner Hüfte. Angst spiegelt sich in seinen Augen.
„Ich werde dir nichts tun. Haben noch andere Ferox außer mir von diesem Vorfall Wind bekommen?", frage ich eindringlich und sehe mich um. Wenn mich jemand dabei beobachtet, wie ich gegen das Feroxgesetz verstoße, würde das ein böses Nachspiel haben.
Nach ein paar Sekunden schüttelt der Junge schließlich den Kopf.
„Nein, bis auf dich war kein Ferox hier.", sagt er eingeschüchtert und ich nicke. Ach, was solls. Ich kann einfach kein Kind einsperren lassen, das Essen klauen wollte.
„Hier, nimm.", sage ich und halte ihm einen Müsliriegel hin, den ich in meiner Jackentasche eingepackt hatte. Er braucht ihn dringender als ich. Gierig schnappt er sich den Riegel und hält ihn eng an seinen Körper gepresst, fast als hätte er Angst, ich würde ihm den Müsliriegel wieder wegnehmen.
„Ich werde dich nicht verhaften, okay? Aber lass dich bitte nicht noch einmal erwischen, denn nicht jeder Ferox kann so nachsichtig sein.", murmle ich, sehe mich noch einmal prüfend um und renne schließlich in die Richtung, in die ich eigentlich schon längst hätte gehen sollen. Ich muss mich sputen.

- Erics POV -

„Wir haben die Situation schon viel zu lange vernachlässigt. Es wird Zeit, aktiv gegen diese Rebellion der Fraktionslosen vorzugehen!", knurre ich und schlage mit der Faust auf den Tisch. Max mustert mich mit einem undefinierbaren Blick und nickt schließlich.
„Da gebe ich dir vollkommen Recht, Eric, aber wir dürfen nicht so viel Aufsehen erregen. Wenn die anderen Fraktionen mitbekommen, dass wir nicht imstande sind, diese rebellische Untergrundbewegung unter Kontrolle zu bringen, dann wirft das kein gutes Licht auf die Ferox. Zuerst gilt es, genaue Informationen über ihre Anzahl, ihre Lager, Zusammenkünfte und Waffen zu sammeln, erst dann können wir handeln.", erklärt Max und nimmt einen Schluck von seinem Kaffee.
Mein Auge zuckt gefährlich. „Du willst also warten? Wir haben heute wieder drei Ferox verloren und es werden mit jedem Tag mehr!", fahre ich ihn an und spüre, wie mir das Blut in den Kopf schießt. Gruppen von bewaffneten Fraktionslosen machen die Stadt unsicher, rebellieren und töten, und nun sollen wir noch länger abwarten?!
„Eric. Ich weiß, wie schwer das für dich sein muss, aber du musst deinen Job und dein Privatleben trennen.", sagt der Dunkelhäutige und sieht mich mahnend an.
„Wie bitte?", entfährt es mir spitz. Will er etwa andeuten, ich würde meinen Job nicht ordentlich machen?!
Max seufzt. „Wir wissen beide, dass deine Verlobte zu den Ferox gehört, die sich vermehrt draußen und in Nähe der Fraktionslosen aufhalten, sie also ein potentielles Angriffsziel darstellt. Deswegen willst du dieses Problem so schnell wie möglich aus der Welt schaffen, nicht wahr? Damit ihr keine Gefahr droht.", vollendet er seine Predigt und ich funkle ihn wütend an. Auch wenn er Recht hat, so kann ich das schlecht vor ihm zugeben.
„Es geht mir um unsere Fraktion!", knurre ich mit geballten Fäusten.
„Eric, ich kenne dich nun schon eine Weile, und daher weiß ich, dass du dich sonst nie um irgendwelche Ferox scherst. Du willst dein Mädchen beschützen, und daran ist nichts Verwerfliches. Aber sieh zu, dass du deine Entscheidungen dadurch nicht beeinflussen lässt. Ich halte sehr viel von dir, also enttäusche mich nicht."
Mit diesen Worten steht Max auf, schreitet zum Fenster und und beobachtet mit verschränkten Armen das Geschehen außerhalb.
„Alles zu seiner Zeit.", sagt er leise.
Fluchend drehe ich mich um und rausche davon. Es zerfrisst mich innerlich, nicht zu wissen, ob Elena in Sicherheit ist. Dass sie da draußen ist, und ich hier. Am liebsten würde ich sie zu einem weniger gefährlicheren Posten einteilen, zumindest bis das Ganze vorüber ist. Aber nach den Gesetzen ist dies nur in zwei Fällen möglich: wenn man entweder durch Alter oder bleibende Verletzungen nur eingeschränkt kampftauglich ist oder wenn eine Ferox schwanger ist. Beides ist bei Elena nicht der Fall und um sie zu schwängern, war sie in meinen Augen auch noch etwas zu jung. Irgendeine Lösung würde ich schon finden, schließlich bin ich Anführer.
Gerade als ich um die Ecke biege, stoße ich mit irgendjemandem zusammen. Verärgert und auch etwas überrascht stelle ich fest, dass es dieser Drew, einer von Elenas Freunden, ist.
„Sorry.", murmelt dieser schnell und will sich an mir vorbei drücken, doch ich halte ihn schroff zurück.
„Solltest du nicht im Außendienst sein?", schnauze ich ihn an. Er ist Elenas Dienstpartner, wenn sie Dienst hat, dann er ja wohl ebenfalls. Doch er schüttelt nur den Kopf.
„Nein, ich wurde heute zur Bewachung der Hintereingänge eingeteilt. Jetzt habe ich Pause.", erklärt er langsam. Aha. Interessant, dass mich niemand über eine Änderung der Dienstpläne informiert hat. Offenbar muss ich mit Max nachher noch ein Gespräch darüber führen.
„Und mit wem arbeitet dann Elena?", stelle ich ihm die nächste Frage.
„Mit niemandem, soweit ich weiß.", antwortet Drew leicht irritiert und ich stöhne entnervt auf. Das darf doch wohl nicht wahr sein. Wenn ich heraus finde, wer von den restlichen Anführern Elena allein in den Außendienst geschickt hat, dann konnte sich der auf etwas gefasst machen. Es ist ohnehin schon lange her, dass ich jemandem ordentlich die Fresse poliert hatte. Soll Four heute das Initiantentraining ohne mich fortsetzen, ich lasse meine Verlobte gewiss nicht komplett auf sich allein gestellt im Außendienst. Noch dazu in diesen unsicheren Zeiten. Allein die Vorstellung, sie zu verlieren, ist für mich unerträglich. Wütend stoße ich meinen Gegenüber zur Seite und mache mich auf den Weg zu Four.

Himmel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt