1.Warum (√)

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„Du bringst das Fass echt zum Überlaufen, junge Dame! Weißt du was, mir, nein UNS reicht es!", brüllt mein Vater mit mittlerweile hochrotem Gesicht und schlägt mit der Faust lautstark auf den Tisch. Unbeeindruckt verschränke ich meine Arme vor der Brust und hebe eine Augenbraue. Seine Wutausbrüche sind nichts Neues für mich. Seit ich in der Pubertät war haben wir solche „Unterhaltungen" mindestens dreimal pro Woche. Und nun mit 17 Jahren beeindruckt es mich kein bisschen, angeschrien zu werden. Im Gegenteil - ich liebte es zu provozieren, vor allem wenn ich mich im Recht sah. Doch heute halte ich es für besser, meinen Mund zu halten, weil es schon spät war und ich einfach nur in mein Bett will. „Elena, was haben wir bei dir nur falsch gemacht?", seufzt meine Mutter, kommt auf mich zu und umarmt mich. Ich lasse sie machen.
„Ab in dein Zimmer.", murrt mein Vater und sieht mich auffordernd an. Wortlos marschiere ich an ihnen vorbei und verbarrikadiere mich in meinem Abschnitt unseres Zuhauses. Ich schmeiße mich auf Bett und versuche mich zu beruhigen. Als ich mich mit 16 Jahren für eine Fraktion entscheiden musste, spielte ich mit dem Gedanken zu wechseln, aber irgendwie fühlte ich mich zu keiner der existierenden Fraktionen zu 100% hingezogen und blieb einfach bei den Ferox und bei meiner Familie. Die Initiationsphase schaffte ich nur mit Ach und Krach, was ich teilweise auch nur meinen Eltern - zwei recht hochrangigen Ferox - zu verdanken habe, da sie mich schon vorher daraufhin trainiert haben und mir zeigten, was von mir verlangt wurde. Tja, und da ich mit 17 Jahren gerade erst am Anfang meiner Ferox-Laufbahn bin und noch nicht genug verdiene, um mir eine eigene Wohnung leisten zu können, bestanden meine Eltern darauf, dass ich weiterhin bei ihnen wohne. Ich habe eingewilligt, aber mittlerweile komme ich damit überhaupt nicht mehr klar. Ich hasse es, wenn sie mich kontrollieren, und das wollen sie andauernd. Als würden sie nur darauf warten, dass ich irgendeinen Unsinn anstelle. Ich will einfach frei sein, mein eigenes Leben führen...das ist auch der Grund, weshalb ich meine Abende nun damit verbringe, mich nach den billigsten Wohnungen umzusehen, die es gab. Es war mir schon egal, wie heruntergekommen mein neues Zuhause sein würde, Hauptsache war, ich habe dann meine Ruhe.

Die Sonne ist noch nicht ganz aufgegangen, als ich am nächsten Morgen meine Beine aus dem Bett schwinge. Obwohl heute mein freier Tag ist und ich normalerweise ausschlafen würde, konnte ich es kaum erwarten, die Wohnung zu verlassen. Ich hatte gestern Abend noch eine kleine leistbare Wohnung gefunden und heute würde mein Traum vom Ausziehen wahr werden! Ich musste es nur noch meinen Eltern beibringen und dann den Mietvertrag unterschreiben gehen. Blitzschnell springe ich unter die Dusche und schlüpfe anschließend in eine schwarze Hose und ein dunkelgraues T-Shirt. Meine langen blonden Haare binde ich mir zu einem praktischen Pferdeschwanz. Nachdem ich auch meine Zähne geputzt habe, hüpfe ich fröhlich in die Küche. Ich summte vor mich hin, während ich mir mein Müsli mache. Den Zeitungsausschnitt mit der Wohnungsanzeige halte ich dabei die ganze Zeit in der Hand, aus Angst, ich könnte ihn verlieren. Während ich mein Müsli esse, höre ich es dann plötzlich an der Tür klopfen. Zuerst warte ich, ob meine Eltern zur Tür gehen, aber die sind nirgends zu sehen, weswegen ich neugierig zur Tür lauff und sie öffne. Überrascht und verwirrt beäuge ich Eric, einer der besten, aber zugleich strengsten Ferox-Ausbilder der Fraktion. Ich konnte ihn noch nie wirklich leiden. „Suchst du was Bestimmtes?", frage ich ihn und versuchte, höflich zu bleiben. Ich wollte meine Eltern heute nicht verärgern wenn ich ihnen die Sache mit der Wohnung beibringen wollte.
„Hab's schon gefunden.", kommt prompt die knappe Antwort und ohne auf Erlaubnis zu warten, stößt er mich zur Seite und kommt in die Wohnung. Es ist noch früh am Morgen und ich brauche einige Sekunden um zu realisieren, was da gerade geschehen war. „Sag mal, geht's noch?!", fahre ich ihn an, als ich meine Fassung wiedergefunden habe. Doch bevor er etwas erwidern konnte kommen uns schon meine Eltern entgegen. „Guten Morgen Eric. Wir haben dich schon erwartet.", begrüßt mein Vater ihn und klopft ihm auf die Schulter. Misstrauisch schaue ich meinen Vater an, und dann Eric. Es wirkt fast so, als wären sie befreundet. Igitt.
'Okay, ganz ruhig Elena. Der ist bestimmt nicht lange hier. Der geht gleich wieder.' Ich beisse mir verärgert auf die Lippen. Ich habe mich schon so darauf gefreut, meinen Eltern von der Wohnung zu erzählen und jetzt platzt der hier einfach so rein. Hoffentlich ist er wirklich gleich wieder weg. Gerade als ich mir meine Müslischale schnappen und zurück in mein Zimmer gehen will, hält mich mein Vater zurück. „Elena, wir haben dir etwas mitzuteilen. Setz dich." Mit hochgehobener Augenbraue sehe ich ihn an. „Ihr habt es ihr noch nicht gesagt?", fragt Eric und er wirkt darüber leicht amüsiert.
„Was gesagt?", frage ich und sehe zu meiner Mutter. Sie lächelt. „Wir sind so stolz.", seufzt sie. Stolz? Auf mich? Hab ich was verpasst? Sind die Beiden krank? Fieber, oder so?Es herrscht einige Sekunden Schweigen, bis sich mein Vater räuspert und mich ernst ansieht. „Wie du weißt, sind deine Mutter und ich sehr besorgt um dich. Du bist noch so jung und voller Energie, dass wir Angst haben, dass du die falschen Entscheidungen triffst. Fakt ist, du musst noch sehr viel trainieren, um eine gute Ferox zu sein. Ansonsten bringst du dich nur selbst in Gefahr." versucht mein Vater mir das ganze zu erklären. Doch bis jetzt verstehe ich nur Bahnhof. Dann fährt er fort. „Da du dich mir und deiner Mutter aber immer widersetzt und uns nicht genug Respekt entgegenbringst, sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass du einen Mann brauchst, der dir den richtigen Weg zeigt."
Ruhig sah ich meine Eltern an, die offenbar darauf warten, dass ich etwas sage. Aber mir fehlen einfach die passenden Worte für diesen Unsinn. „Eric ist ein begnadeter Ferox und er wird dich persönlich trainieren, sodass du das Beste aus dir herausholen kannst.", fügt meine Mutter hinzu und sieht mich nun erwartungsvoll an. Ich sage immer noch nichts. „Hast du dazu nichts zu sagen, Elena?", fragt mein Vater in einem spitzen Ton und sieht mich dazu noch mahnend an. Ich schlucke und sehe zuerst zu ihm, dann zu Eric.
„Und Eric macht das aus reiner Nächstenliebe, oder was?", frage ich ziemlich verwirrt und sehe ihn leicht spöttisch an. Er lächelt mich, ebenfalls spöttisch, an und antwortet anstelle meines Vaters.
„Für meine Verlobte tue ich doch alles."
Ich pruste los und denke sein Kommentar war ein schlechter Scherz. Doch als ich in die ernsten Gesichter meiner Eltern blicke, weiß ich sofort:  das eben war kein Scherz.
„Das ist jetzt nicht euer Ernst.", flüstere ich. Mein Mund ist plötzlich ziemlich trocken und meine Augen müssen riesig sein.
„Du wirst sobald es möglich ist bei ihm einziehen.", gibt mein Vater zurück und geht zur Tür. Eric folgt ihm. „Deine Mutter wird den Rest mit dir besprechen. Eric und ich haben noch zu tun." Mit diesen Worten geheen die beiden und lassen uns stehen.
„Wieso lässt du so einen Schwachsinn zu?", fahre ich meine Mutter fassungslos an.
„Es ist das Beste für dich, Schatz. Vertrau uns." Sie streicht mir eine Strähne hinters Ohr und lächelt mich an. „Weißt du, Elena, Eric und dein Vater arbeiten oft zusammen und sie verstehen sich sehr gut. Daher weiß dein Vater auch, dass Eric schon vor Langem ein Auge auf dich geworfen hat. Somit kam eins zum anderen...... Bist du aufgeregt?"
Ich schnaube. „Aufgeregt trifft es nicht mal annähernd."
„Du wirst es mir später danken, Elena. Ich habe es dir zwar nie erzählt, aber ich habe deinen Vater auch anfangs nicht sehr gemocht. Ich war eine eigenwillige Chaotin genau wie du, und ich bin froh, einen Mann gehabt zu haben, der mich hin und wieder in die Schranken weist. Dadurch hat er mich vor vielen Fehlern bewahrt. Es war ein langer Weg, aber ich habe gelernt, ihn zu lieben und wir sind sehr glücklich miteinander." Ungläubig sehe ich sie an und schüttle den Kopf.
„Das ist doch krank.", schreie ich sie an und renne davon. Zwar habe ich keine Ahnung wohin, aber hier halte ich es nicht mehr aus.

Es waren ungefähr drei Stunden vergangen, in denen ich ziellos durch die Gänge gelaufen bin. Dann fällt mir der Zeitungsausschnitt in meiner Hosentasche wieder ein und ich halte einen Moment inne. Wenn meine Eltern es nicht für nötig halten, mich vor meiner Verlobung zu fragen, dann halte ich es auch nicht für nötig, sie vor dem Unterzeichnen meines Mietvertrags zu fragen. Denn ich ziehe ganz sicher nicht bei einem Typen ein, den ich nicht mal richtig kenne! Ich krame also die Wohnungsanzeige aus meiner Tasche und versuchte mich zu orientieren. Hm. Es wäre clever gewesen, mir den Weg zu merken und nicht einfach ziellos drei Stunden durch die dunklen Gänge zu schlendern.
„Hey Elena!", ruft eine vertraute Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sehe Mia. Sie ist meine einzige Freundin und wir kannen uns schon seit...nun ja, eigentlich schon immer.
„Hi. Ich dachte du hattest gestern Nachtschicht? Solltest du nicht schlafen?", frage ich sie während wir uns umarmen.
„Hatte ich auch. Allerdings ist mir auf dem Weg zu meinem Zimmer Eric über den Weg gelaufen und er hat ziemlich angepisst gefragt, wo du bist. Da bin ich neugierig geworden und hab mich auf die Suche nach dir gemacht."
„Ahja. Danke für die Info denn ich muss-" Plötzlich packt mich jemand von hinten an den Schultern und wirbelt mich herum. Es war Eric. Er blickt kurz zu Mia und deutete ihr, abzuhauen, was sie auch tut. Ich konnte es ihr nicht übel nehmen. Eric konnte einem wirklich Angst machen. „Hör auf hier sinnlos durch die Gegend zu rennen. Pack lieber deinen Kram. Ich hab heute frei und dann kann ich dir gleich alles zeigen.", sagte er und sieht mich auffordernd an. Ich hielt seinem Blick stand.
„Hab schon was vor, sorry.", antworte ich und verschränke die Arme. Dabei bemerkt er den Zettel in meiner Hand und reißt ihn mir aus der Hand.
„Eine Wohnungsanzeige?", fragt er belustigt.
„Ich ziehe gewiss nicht bei dir ein. Meine Eltern wissen nicht, was sie tun.", entgegne ich aufgebracht. Eric starrt mich an und zerreißt den Zettel.
„Doch das wirst du."
„Bring mich doch dazu.", entfährt es mir und ich stellte mich provozierend vor ihn hin.
„Wie du willst."

Himmel und HölleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt