Vorsicht
Die Tage nach dem Vorfall verliefen relativ normal. So wie immer eben. Das einzige, was anders war, dass ich wahnsinnig auf mein Umfeld achtete. Ich achtete auf kleine Auffälligkeiten, die mir im Normalfall nie aufgefallen wären. Ich merkte mir jedes einzelne Gesicht, jeden einzelnen Namen, in der Hoffnung ich könnte erfahren, wer Jokers Komplize ist, der herausgefunden hat, dass Caylin und Theodora die gleichen Personen sind.
Warum ich glaube, dass der Joker jemanden geschickt hat, um mich auszuspionieren? Nun ja, ich glaube ja wohl kaum, dass dieser kriminelle Anarchist höchstpersönlich in meine Schule kommt und mich gesucht hat. Das wäre mir definitiv aufgefallen. Und außerdem: den Joker könnte man doch eindeutig an seinen Narben und seiner psychisch kranken Art erkennen. So einen Wahnsinnigen trifft man nicht jeden Tag. So eine kranke Art zu verstecken ist außerdem nahezu unmöglich.
Na ja, gut ich habe auch eine kranke Art an mir, ich habe schließlich Freude daran andere Menschen zu töten, ich gebe es ja zu, aber sie hält sich in Grenzen. Es ist nicht sehr schwer sie für nur wenige Stunden zu verbergen. Es kann natürlich sein, dass der Joker schizophren ist, aber laut meinen Recherchen trifft diese Krankheit nicht unbedingt auf ihn zu. Warum auch sollte er sich so viel Mühe machen mein Leben zu erforschen? Ich denke ja wohl kaum, dass er sich so sehr für mich interessiert.
Eine weitere Frage, die ich mir noch stelle, ist, ob er meine wahre Identität nur zufällig herausgefunden hat oder er mich zielgerecht gesucht hat. Ob er denn tatsächlich wissen wollte, wer diese Theodora wirklich ist. Ich halte allerdings die Absicht herauszufinden, wer ich bin, wahrscheinlicher. Was aber dagegen spricht ist die Tatsache, dass der Joker und ich uns schon seit geraumer Zeit kennen und er bis jetzt keinen einzigen Versuch unternommen hat, meine richtige Identität rauszufinden. Er hat mich nie gefragt und auch keine Andeutungen bezüglich meiner Maskierung gemacht. Er hätte es bereits letztes Jahr machen können oder auch vor drei Jahren. Es kann aber auch sein, dass er wirklich vor drei Jahren angefangen hat und er erst jetzt zu einem Ergebnis kommen konnte. Ja, das kann sein. Aber welchen Grund hätte er dazu? Warum hatte er überhaupt die Idee, mich zu verfolgen? War es aus Langweile? Oder wollte er tatsächlich nur wissen, was die geheimnisvolle Theodora, die in Wahrheit Caylin heißt, tagsüber so treibt? Aber warum hat er da Interesse dran? Ich bin nicht die einzige Kriminelle, mit der er in Kontakt steht. Außerdem haben wir beide akzeptiert, dass der andere maskiert und unentdeckt bleiben möchte. Ich hab schließlich noch nie den Versuch unternommen den Joker ins Wasser zu schubsen, ihm die Schminke aus dem Gesicht zu waschen und anschließend sein wahres Gesicht zu entdecken. Fairerweise hat er auch noch nie probiert, mir das Tuch von meiner Nase zu reißen. Obwohl es so einfach gewesen wäre. Da wir aber beide zivilisierte und anständige Menschen sind, würden wir das auch nicht machen. Auch wissen wir beide voneinander nicht viel, außer, dass wir beide kriminell sind und Menschen umbringen. Das einzige, was ich aber noch weiß, ist, dass er nicht nur nachts der gesuchte Joker ist, sondern auch tagsüber. Jedenfalls glaube ich das. Meine Taktik ist nämlich, nur nach Mitternacht auf die Straßen zu gehen und bis zum frühen Morgen wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Vom Joker aber hab ich schon oft Berichte gesehen, die davon handeln, wie er bei Tag einen Laden ausgeraubt oder jemanden bei helllichtem Tag umgebracht hat. Natürlich will ich damit nicht sagen, dass Theodora noch nie das Licht erblickt hat, aber ich halte mich eher an die nächtlichen Stunden. Theodora geht bloß bei Ausnahmen oder Notfällen bei Tag aus dem Haus. Und das ist auch besser so.
Gerne würde ich noch weiter über Theodora und den Joker spekulieren, da höre ich aber das Klingeln meines Handys. Ich war so vertieft in meine Gedanken, dass mich dieses laute Geräusch so sehr erschreckt, dass ich von dem Sofa falle. Knurrend stehe ich auf und greife nach meinem Handy. Überraschenderweise lese ich Jacks Namen auf dem Display und seufze. Ich will ja nicht unbedingt behaupten, dass ich ihn nicht mag, nein. Ganz im Gegenteil - ich finde ihn sehr sympathisch, aber muss er mich denn während meiner Freizeit anrufen? Ich hab schon genug Arbeit damit, mich über meine Opfer zu informieren, da fehlen mir lange Telefongespräche wirklich nicht. Jedoch drücke ich auf die grüne Taste, da ich schon neugierig bin, was er zu sagen hat.
„Hey, Jack", sage ich in den Hörer und schiebe meine vielen beschrifteten Blätter und den Stift beiseite.
„Hi, Caylin, was machst du grad so?", fragt mich Jack, dessen Grinsen ich von hierher hören kann. Ich stehe von dem Sofa auf und blicke auf die vielen Namen, der Leute, dessen Leben bald enden wird. Allerdings kann ich Jack nicht sagen, dass ich soeben den Tod anderer Menschen geplant habe und heute Nacht in die Offensive gehen werde. Oder? Seine Reaktion würde mich zugegebenermaßen schon interessieren.
„Na, ja. Ich hab ein bisschen Englisch gelernt. Schließlich ist mein Ziel nicht, beim Test nächste Woche durchzufallen. Kann ich dir wärmstens empfehlen, Jack", lüge ich und setze mich in meine Küche.
Ich schnappe mir ein kleines Messer und betrachte die feine Schneideklinge.
„Fleißig, fleißig, meine Liebe. Sehr vorbildlich von dir. Deine Empfehlung werde ich mir natürlich zu Herzen nehmen."
Ich lache kurz und fange an mit dem Messer in die Küchenplatte zu ritzen. Es ist nicht das erste mal, dass ich das mache. Deshalb sieht diese Platte ein wenig kaputt aus, aber das macht nichts. Sobald sie noch funktionsfähig ist und nicht einkracht, ist alles in Ordnung.
„Und was treibst du so?", frage ich ihn zurück und warte gespannt auf seine Antwort.
Ich höre, wie er sich an der anderen Leitung räuspert und ein Rascheln. Vermutlich Papier.
„Ich war bis gerade eben damit beschäftigt meiner Mutter beim Kochen zu helfen, da musste ich plötzlich an dich denken, sodass ich mein Handy geschnappt habe und ich nun mit dir telefoniere", sagt er.
Ich schmunzle ein wenig und stelle mir einen kochenden Jack vor.
„Freut mich, dass du beim Geruch von Essen an mich denken musst. Ich weiß noch ehrlich gesagt nicht, ob ich das als Kompliment oder eher als Beleidigung auffassen soll."
Mit einem gespielt beleidigten Ton schnaufe ich und höre anschließend Jack lachen.
„Das liegt nicht daran, dass ich dich mit Essen assoziiere, sondern schlichtweg daran, dass ich an dich denken musste und ich dich sowieso was fragen wollte."
Ich hebe meine Augenbrauen, was er allerdings nicht sehen kann und warte auf die Frage.
„Und das wäre?"
„Ob du eventuell Lust hättest mit mir einen Kaffee trinken zu gehen. Unsere Kaffeemaschine ist kaputt und ein Tag ohne Kaffee ist kein gelungener Tag. Alleine, dass ich heute morgen keine Zeit hatte mir einen zu kaufen, war schon schlimm genug."
Ich überlege kurz. Soll ich mich mit ihm treffen oder eine Ausrede suchen? Was ich mich auch noch frage ist, warum er sich mit mir treffen will? Zusagen wäre vielleicht gar keine so schlechte Idee. Bis es dunkel wird, dauert es noch lange, die Liste ist sowieso schon voller Namen, die für die nächsten Wochen reichen werden und ein Kaffee, der mich wach halten wird klingt gut. Außerdem würde ich gerne Zeit mit Jack verbringen. Warum auch immer. Denn wie schon gesagt - Freundschaften und Liebe sind Teil meines Spiels. Mein Leben als Caylin ist mein Spiel und somit nichts Ernstes.
„Klar, gute Idee. Wann und wo?"
„Gut, wie wäre es in einer halben Stunde beim ‚Bakers Coffee'? So heißt der Schuppen doch bei der Mitchell Street, nicht?"
Ich denke an den Kaffeeladen, der aussieht, als würde er seit tausend Jahren existieren.
„Ja, das passt. Dann sehen wir uns nachher", antworte ich.
„Okay, bis dann!"
Wir legen auf und ich setze mich wieder an meine Liste. Grinsend recherchiere ich weiter über mein nächstes Opfer namens Cara Gibson, eine junge Dame, die in meine Grundschule gegangen ist. Sie war drei Klassen über mir, sodass ich bloß ein Jahr lang ihre Anwesenheit ertragen musste. Cara war bekannt für ihr ständiges Mobbing, für ihre große Klappe und Respektlosigkeit. Auch für Gewalt. Diese Eigenschaft ist bis heute geblieben, sodass sie sogar nach einem Überfall für vier Jahre ins Gefängnis musste. Dabei hatte sie mehrere Personen schwer verletzt und war währenddessen auf Drogen. Den Tod hat sie sichtlich verdient. Allerdings muss ich nicht nur an Cara denken, sondern auch an das Treffen mit Jack. Tagsüber auf die Straße zu gehen ist nicht wirklich meine Art und normalerweise meide ich das auch außerhalb der Schule, aber diesmal sehe ich es als Chance eventuell rauszufinden, ob ich beobachtet werde. Ob mich jemand verfolgt und Informationen über mich sammelt und an den Joker herausgibt. Wenn ich diese Person finde, würde ich sie sofort töten und den Joker fragen, was das ganze eigentlich soll. Was er damit eigentlich bezwecken will.
„Dieser Anarchist macht mir das Leben schwerer, als es eigentlich ist", murmle ich vor mich hin.
Mal wieder denke ich darüber viel nach und erhebe mich von meinem Sofa. Ich räume die Blätter samt dem Stift weg und ziehe meine Jacke und meine Schuhe an. Mein Handy und meine Geldbörse verstaue ich in meine Jackentasche. Ein Blick nach draußen zeigt mir, dass die Sonne gerade untergeht. Ich ziehe die Kapuze über meinen Kopf und verlasse anschließend meine Wohnung und nachdem ich auch aus meinem Wohnbezirk raus bin, schlendere ich zur Mitchell Street zum besagten Kaffeeladen. Während dem Weg dorthin achte ich drauf keine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, mich aber trotzdem ständig umzuschauen, mit dem Hintergedanken meinen Beobachter zu finden. Allerdings bleibt der Erfolg dabei aus. Als ich nach kurzer Zeit am Treffpunkt angekommen bin, entdecke ich sofort Jack, der sich mit verschränkten Armen in der Gegend herumschaut. Schmunzelnd gehe ich auf ihn zu.
„Jack!", rufe ich dabei, worauf hin er sich nach mir umdreht, mich anlächelt und seine grünen Haare aus dem Gesicht streicht.
„Shalom, Caylin."
Wegen seiner komischen Begrüßung muss ich lachen. Grinsend gehen wir in das Café rein.
„Hi, ich dachte schon du wartest drinnen."
Er schüttelt seinen Kopf und wir setzen uns an einen freien Tisch, rechts in der Ecke. Minuten später kommt auch schon ein Kellner, der unsere Bestellung aufnimmt. Zwei Kaffees selbstverständlich.
„Dass du den Tag bisher ohne Kaffee aushalten konntest, ist mir ein wahres Rätsel, mein Lieber. Wie hast du das bloß geschafft?", lache ich, als wir endlich unseren Kaffee bekommen.
Er zuckt mit den Schultern und schmunzelt mich an.
„Dasselbe hab ich mich auch schon gefragt."
Ich stelle meine Tasse ab, wobei ich versehentlich meinen linken Ringfinger anschlage. Der Finger, an dem sich der kleine Schnitt befindet, den der Joker verursacht hat. Bedauerlicherweise fängt genau diese Wunde wieder an zu bluten.
„Oh nein, ich dachte schon es verheilt endlich", murmle ich und fluche in meinen Gedanken.
„Was hast du denn überhaupt angestellt, dass du so einen Schnitt abbekommen hast?", fragt mich Jack, der mich neugierig anschaut und auf meine Antwort wartet.
Ich halte ein Taschentuch gegen meinen Finger und lehne mich zurück. Sofort kommt mir wieder die Begegnung mit dem Joker in den Sinn, allerdings denke ich nicht, dass ich Jack von ihr erzählen sollte. Sonst müsste ich ihm ja noch weitere Details erzählen, bei denen er binnen weniger Sekunden die Polizei rufen würde. Darauf allerdings verzichte ich gerne.
„Das klingt ja so als wäre es ein tödlicher Schnitt bis zum Lebensende."
Jack lacht und verdreht die Augen. Ehe er aber was sagen kann, rede ich weiter.
„Ich hab gestern meiner Mutter im Garten geholfen. Ich hab es nicht so mit Pflanzen und Bäume Stutzen und sowas. Ehrlich gesagt war es bloß eine kleine Aufgabe, die sie mir gegeben hat. Wie es aussieht war ich sogar damit überfordert. Ich sollte beim Schneiden von irgendwelchen doofen Ästen helfen, wobei dieser kleine Unfall passiert ist", lüge ich schmunzelnd, worauf hin Jack bloß lachen muss.
„Du bist ein wahres Talent, Caylin. Das muss man schon sagen."
Ich nicke lachend und trinke einen weiteren Schluck aus meinem Getränk.
„Ich weiß, danke. Es ist ein Glück, dass dieser Finger überhaupt noch dran ist."
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Two Identities [Joker FF]
FanfictionIn der Nacht eine Mörderin, am Tag eine unschuldige Schülerin und gleichzeitig die Sitznachbarin eines Psychopathen - das ist das Leben von Caylin Peters alias Theodora, die sich nach einer zufälligen Begegnung mit dem Joker zusammentut.