Yomo
„Wo kann ich heute Abend denn den berühmten Mr J auffinden?", frage ich Jack in der Pause, als wir uns von ein den vielen Schülern entfernt haben. Er schmunzelt und kratzt sich am Nacken, während er gespielt nachdenkt.
„Nun, ja. Ich denke in seinem üblichen Viertel. Da, wo du ihn letztens gefunden hast, als du mit ihm über Caylin gesprochen hast. Er erwartet dich schon", antwortet er mir anschließend. Ich hebe eine Augenbraue.
„Wenn wir vielleicht nicht in der dritten Person über dich reden könnten, würde ich das definitiv angenehmer finden", sage ich plötzlich und setze mich auf die Steinmauer, die sich hinter unserer Schule befindet, abgeschottet von hellhörigen Schülern, die sehr neugierig sein können, sobald es etwas Ungewöhnliches zu hören gibt.
Wenn sie zu Ohren bekommen würden, wie Jack und ich uns darüber unterhalten, wann ich ihn - den Joker - treffen kann, würden wir nicht mehr in Ruhe gelassen werden. Da bin ich mir sicher. Deswegen würde ich das gerne vermeiden.
„Du hast damit angefangen, Theodora."
Jack zwinkert mir zu, ehe er sich neben mich setzt.
„Nur, weil ich noch nicht ganz fassen kann, dass du tatsächlich der Joker bist. Ich hätte ja wohl nie erwartet, dass der Joker sich zwischen Trotteln aufhält, die auf eine Hochschulreife hinarbeiten."
Er zuckt mit den Schultern und lacht.
„Du machst genau das selbe", verteidigt sich Jack und zeigt mit seinem Finger auf mich.
„Das stimmt. Ich hab aber auch nicht behauptet, dass das normaler wäre, als bei dir. Aber es wundert mich trotzdem, dich in einer normalen Jeans, einem normalen T-Shirt, mit Chucks zu sehen, anstatt einem violetten Sakko und Clown-Schminke."
Ich lehne mich nach hinten und muss ein wenig grinsen.
„Och, Theodora, ich habe viele Seiten an mir. Auch Seiten, die du noch gar nicht kennenlernen durftest."
Ich hebe fragend eine Augenbraue und schmunzle.
„Ach ja? Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich diese Seiten an dir überhaupt kennenlernen möchte."
Jack streicht sich durch die grünen Haare, während er sich über die Lippen leckt und einmal schmatzt.
„Ach, wenn du mit mir alleine bist, lässt du wieder deine Joker-Seite raus, ja?", sage ich lachend, bevor er etwas auf meine vorherige Bemerkung erwidern kann.
„Also erstens: Du wirst diese Seiten kennenlernen müssen und ich bin mir sicher, dass du auch diese mögen wirst."
Ich lache laut und schaue ihn entsetzt an, während er mich schmunzelnd betrachtet.
„Zweitens: Was meinst du mit Joker-Seite?"
Ich setze den entsetzten Blick ab und lächle leicht, als ich sein unwissenden Ausdruck im Gesicht erkenne. Bereit ihn nachzuahmen setze ich mich aufrecht hin und hebe meinen Zeigefinger in die Höhe. Ich lecke mir über die Lippen und schmatze, genau auf die Art wie es Jack, alias der Joker, macht und schaue ihn herausfordernd an. Dieser hievt seinen Kopf hin und her und zuckt mit den Achseln.
„Ach, das meinst du."
Grinsend hebe ich herausfordernd meine Augenbrauen.
„Während deiner Anwesenheit darf ich das ja wohl machen, findest du nicht?", fragt Jack, sodass ich ein wenig lachen muss.
„An deiner Stelle würde ich das aber tatsächlich nur machen, wenn bloß ich in deiner Nähe bin. Sonst kann es sehr wahrscheinlich passieren, dass dich deine Mitmenschen schräg anstarren werden", zwinkere ich, nachdem ich von der grauen Steinmauer abgespringe und sanft auf dem Boden lande.
Ich klopfe den Schmutz von meiner Hose herunter und schaue Jack abwartend an. Er nickt verständlich und wir beide schlendern wieder zurück zum Haupteingang des Schulgebäudes, da die Pause nun vorbei ist. Er räuspert sich, während er seinen Rucksack über seine Schulter auf seinen Rücken wirft.
„Ich bin es gewohnt von Menschen schräg angesehen zu werden."
Er legt eine kurze Pause ein, die er nutzt, um meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn und seine Worte zu lenken.
„Das liegt aber einzig und allein daran, dass auch ich sie schräg anstarre."
„Das liegt nicht nur an der Art, wie schräg du sie anstarrst, sondern daran, dass du tatsächlich schräg bist."
Jack lacht, während er mir die Tür aufhält. Er grinst mich schräg an.
„Sind wir das nicht alle ein bisschen?"* * *
„Ist das kalt heute. Ein paar Grad mehr wären natürlich auch schön gewesen, aber die Welt denkt sich mal wieder, dass wir Theodora das Leben schwer machen und gefühlt minus tausend Grad haben", murmle ich wütend und biege bei der nächsten Gasse ab, während ich meine Kapuze etwas tiefer in mein Gesicht ziehe.
Nicht, dass es etwas an meiner miserablen Körpertemperatur ändern würde. Es ist totenstill, alles was zu hören ist, sind die dumpfen Geräusche meiner Stiefel. Aber auch die machen die Stille der Nacht nicht erträglicher. Nicht ein bisschen. Dass sich Jack - besser gesagt, der Joker - genau heute mit mir treffen wollte, bei dieser eisigen Kälte, macht mich ein wenig sauer, aber wer hätte denn schon wissen können, dass das Wetter mitten in der Nacht keine fünfundzwanzig Grad und Sonnenschein mit sich bringen würde? Und außerdem: mein Aufbruch heute Nacht hat sich schon alleine deswegen gelohnt, weil ich zwei weitere Menschen von meiner Todesliste getötet habe. Zum einen war es ein junger Mann, namens Dave. Er hat damals, als ich ungefähr eine Jugendliche war, vor meinen Augen meine damalige beste Freundin vergewaltigt. Meine Vergangenheit war tatsächlich kein Ponyhof. Dass ich sie seit einigen Jahren nicht mehr gesehen habe und somit unsere Freundschaft auch beendet ist, ändert nichts daran, dass er bestraft gehört. Und zwar von mir höchstpersönlich. Meine Freundin hat diesen Vorfall gemeinsam mit mir bei der Polizei gemeldet, aber auf eine seltsame Art und Weise wurde Dave nach wenigen Jahren wieder aus dem Gefängnis entlassen. Natürlich gut für mich, da ich so problemlos an ihm Rache nehmen kann. Nicht, dass ich Lust gehabt hätte in seine Zelle einzubrechen und ihn dort zu töten. Nein. Entweder hätte ich ihn dort versauern lassen oder, falls er da rauskommt, ihn eigenhändig ausgelöscht. Verdient hat er es. Zum anderen war es außerdem Ms. Mary, eine Verrückte, die eine Bekannte meiner Eltern war. Sie war völlig besessen von irgendwelchen Geistern, Gerüchten um utopische Wesen und dem Tod. Sie hat sich so viel mit solchen Dingen beschäftigt, dass man sich bloß ihre Mimik samt ihrem verwirrten Gesicht anschauen musste, um sehen zu können, dass mit dieser Frau etwas nicht stimmt. Tatsächlich hat sie des Öfteren meine Eltern belästigt und ist sogar so weit gegangen, dass Ms. Mary meinen Erzeugern Morddrohungen in Briefformen schickte. Natürlich haben meine Eltern versucht den Kontakt mit ihr zu meiden oder ihn sogar abzubrechen, was leider nicht so gut funktioniert hat. Der Grund für viele schlaflose Nächte, die mit Angst erfüllt waren. Sie bei der Polizei zu melden hat ebenfalls nicht sehr viel bewirkt. Meinen Recherchen zu folge hat diese kranke Frau zwar niemanden umgebracht, war aber noch nie in einer Therapie, sodass ich stark vermute, dass sie sich doch die Finger schmutzig gemacht hat, aber niemand davon erfahren hat. Im Auftrag von irgendwelchen Geistern natürlich. Was denn auch sonst. Deswegen war ihr Leben nicht mehr lebenswert.
„Du musst Theodora sein."
Die tiefe Oktave einer männlichen Stimme reißt mich aus meinen Gedanken, sodass ich erschrocken aufschaue. Ein blau funkelndes Augenpaar erscheint in meinem Blickfeld, sodass ich instinktiv nach meinem Messer greife und es fest in meiner rechten Hand halte.
„Guten Abend, schöner Mann. Kennen wir uns?", frage ich mit schräger Kopfhaltung und einem Grinsen im Gesicht.
Der Mann vor mir verzieht keine Miene, sondern starrt mich weiterhin ausdruckslos und intensiv an. Meiner Meinung nach etwas zu intensiv.
„Nein, ich denke nicht."
Bei seiner Antwort verbeuge ich mich spielerisch und lächle ihn an.
„Theodora mein Name. Diesen kennst du aber anscheinend schon. Warum das so ist, ist mir ein Rätsel, aber was mich noch viel mehr interessieren würde, wer du bist", sage ich und höre auf zu lächeln.
Der Typ vor mir aber verzieht aber immer noch nicht das Gesicht und bewegt sich nicht. Seine Ausstrahlung ist extrem ruhig und ausgeglichen, die ich sogar als angenehm bezeichnen würde. Allerdings muss ich dazu sagen, dass dieser nette Bursche vor mir nur noch wenige Minuten zu leben hat. Denn jeder, der bereits mein Gesicht gesehen hat und mich mit Theodora assoziiert gehört eigenhändig getötet.
„Ein Kollege von dem Joker. Er hat mir befohlen dich hier zu empfangen und dich zu ihm zu bringen."
Er antwortet mit so einer Selbstverständlichkeit, dass ich bloß amüsiert meine Augenbrauen hochheben kann.
„Ach ja? Das soll ich dir also glauben? Wie süß."
Ich trete einen Schritt näher, wobei er bloß stehen bleibt. Anscheinend ist er ein Mensch, der das Wort "Nervosität" noch nie gehört und nicht am eigenen Leib gespürt hat.
„Mein Name ist Yomo. Wenn du mir nicht glauben solltest und du bereits darüber nachdenkst, mich umzubringen, sollte ich dir erstmals dieses Video hier zeigen."
Er zieht ein Smartphone aus seiner Jackentasche und hält es mir vor die Nase. Währenddessen wird ein Video abgespielt, in dem der Joker die Hauptrolle übernimmt.
„Hallo Liebes. Aus bestimmten Gründen kann ich dich leider nicht als erster in meinem Viertel empfangen, also habe ich Yomo dazu angestiftet. Da ich dich kenne und weiß, dass du ihn ohne zu zögern umbringen würdest, habe ich diese Videobotschaft gemacht. Er wird dich zu mir führen."
Das nur wenige Sekunden lange Video endet mit einem Grinsen vom Joker.
„Komm mit mir."
Yomo dreht sich um, ohne auf mich zu achten und fängt an einen Schritt vor den anderen zu machen. Mit skeptischem Blick folge ich ihm langsam. Anscheinend ist er tatsächlich Jokers Komplize, das war also die Wahrheit.
Mein Messer halt ich aber immer noch fest umschlossen in meiner Hand.
„Falls du dich fragen solltest, aus welchen Gründen der geschminkte Anarchist nicht kommen konnte, fragst du ihn am besten selber, Ma Chérie."
Bei dem Erwähnen meines anscheinend neuem Kosenamen weiten sich ein wenig meine Augen, das Yomo allerdings nicht sehen kann.
„Ma Chérie also", murmle ich belustigt. Ich bekomme aber keine Antwort mehr von ihm. Für diesen Spitznamen würde ich ihn am liebsten umbringen, aber kurz vor meinem Ziel sollte ich das nicht tun. Vor allem nicht, da mir klar bewiesen wurde, dass ich diesem Mann vertrauen kann und er mich zum Joker bringen wird. Wenn es mit Yomo aber doch noch irgendwelche Probleme geben sollte, kann ich ja immer noch einen Schlussstrich ziehen und meine Klinge benutzen.
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Two Identities [Joker FF]
FanfictionIn der Nacht eine Mörderin, am Tag eine unschuldige Schülerin und gleichzeitig die Sitznachbarin eines Psychopathen - das ist das Leben von Caylin Peters alias Theodora, die sich nach einer zufälligen Begegnung mit dem Joker zusammentut.