Kapitel 15

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Harvey Dents Vergangenheit

„'Doppelmoral' trifft es wohl ganz gut, meine Liebe", kommentiert Jack schmunzelnd, während Harvey seinen Blick wieder senkt.
„Harvey, willst du uns denn nicht erzählen, wie das genau passiert ist?"
Der Staatsanwalt atmet schwer aber antwortet nicht.
„Es wäre äußerst nett, wenn du uns auch erzählen könntest, wie genau du es geschafft hast, es zu vertuschen?"
Harvey antwortet immer noch nicht. Jack zieht scharf die Luft ein und seufzt theatralisch.
„Meine Güte, ist es denn so schwer eine kleine Geschichte zu erzählen? Komm schon."
Abwartend stelle ich mich neben den Joker und Dent und beobachte den armen Kerl, wie er völlig verkrampft auf diesem Stuhl sitzt und keinen Laut von sich gibt.
„Ich sag es nicht noch mal, mein Freund", sagt Jack wütend und bringt Harvey dazu ihn anzuschauen, indem er seine Klinge wieder an seinen Hals hält.
„Warum willst du sie unbedingt noch mal hören? Du kennst sie schon."
Jack kichert kurz und zeigt mit seinem Finger auf mich.
„Ich schon, sie aber noch nicht. Und lass kein einziges Detail aus. Vielleicht kannst du ja bei der Begegnung mit Kizu und deinen damaligen Alkoholproblemen anfangen."
Kizu hieß wohl Yomos Schwester. Ein äußerst interessanter Name. Was mich aber viel mehr überrascht ist, dass Harvey Dent anscheinend irgendwelche Alkoholprobleme hatte. Das hätte ich bei ihm nicht gedacht. Er hat es wohl sehr gut geschafft, das zu verheimlichen und das obwohl er ein ziemlich berühmter Mann ist.
„Ich höre", sage ich und zeige dem Blonden somit, dass ich die Geschichte hören will und er endlich seinen Mund öffnen und reden soll. Er holt tief Luft und starrt wieder auf den Boden. Ich sehe und höre, wie er leise anfängt zu zählen und er sich somit beruhigen möchte. Jedenfalls glaube ich das. Sehr überraschend und seltsam ist aber, dass dieser Mann vor mir einer der stärksten Männer dieser Stadt sein sollen. Wenn ich ihn mir aber so anschaue, sehe ich bloß einen zerbrechlichen und verkrampften Jungen vor mir, der eine schlimme Vergangenheit hatte.
„Wir hören", wiederholt Jack und Harvey hebt seinen Kopf und fängt an die Wand anzustarren, während er redet: „Damals als ich noch relativ jung war und mein Studium beendet habe, trennten sich meine Eltern, woraufhin meine Mutter abhaute. Sie hinterließ mir einen großen Schuldenberg, den ich irgendwie bezahlen sollte. Allerdings hatte ich weder Geld noch einen Job, sodass ich mir schnell einen suchen musste. Zwar hatte ich mein Diplom bekommen, aber ich sollte noch eine Ausbildung machen und einige andere Berufe absolvieren, ehe ich als richtigen Anwalt arbeiten durfte. Diese Möglichkeit wurde mir aber nicht gewährt, da ich ja das ganze Geld bezahlen sollte und die Zeit nicht stehen blieb. Ich fing also an, einen ziemlich dreckigen Job zu machen, bei dem ich nicht sehr viel verdiente, dafür aber sechzehn Stunden arbeiten sollte. Natürlich war das eine große seelische und körperliche Belastung für mich. Auch kamen immer mehr und mehr Probleme dazu und nichts lief in meinem Leben so, wie ich es mir vorgestellt habe. Auch erfuhr ich zu dieser Zeit, dass mein Vater bei einem Unfall gestorben und meine Mutter im Gefängnis gelandet ist wegen Drogenmissbrauch. Um meinen Problemen also wenigstens für eine kurze Zeit entfliehen zu können, fing ich an Alkohol zu trinken. Und das verschärfte sich so sehr, dass ich ernsthafte Probleme bekam und nicht mehr aufhören konnte."
Dent stoppt kurz und holt wieder tief Luft, bevor er mit zitternder Stimme weiter spricht: „Meine damalige Freundin Kizu musste am meisten deswegen leiden. Wir beide sind ein Paar geworden, nachdem wir uns an der Uni kennengelernt haben. Wir beide hatten große Träume und Ziele und wir unterstützten uns gegenseitig, auch in schlechten Zeiten, aber als es anfing mit mir steil abwärts zu gehen, konnte sie nicht sehr viel tun. Sie versuchte mich zu ermuntern, mir zu helfen und mich von meinem Alkoholproblem zu befreien, aber ich steckte schon viel zu tief drin, als dass man mich da hätte noch rausziehen können."
Harvey schluchzt kurz auf, während Jack und ich still neben ihm stehen. Jack lässt es kalt, er amüsiert sich sogar, denn er schmunzelt, während der Gefesselte erzählt.
„Weiter", fordert der Geschminkte ihn auf und ich lausche.
„Eines Nachts da kam ich wieder sehr spät nach hause. An dem Tag wurde ich gefeuert und wusste nicht, was ich machen sollte. Wieder einmal betrank ich mich und ... Vergriff mich an meiner eigenen Freundin und ließ an ihr meinen ganzen Frust raus, ohne dass ich wirklich bei Verstand war", gibt Harvey noch von sich, ehe er tatsächlich anfängt zu weinen, sich aber schnell wieder zusammenreißt, als er merkt, wie schwach ihn das eigentlich macht.
„Du hast sie also vergewaltigt?", frage ich ihn und er nickt.
„Ist ja toll, seine eigene Freundin zu missbrauchen. Wow", gebe ich mit ironischem Unterton von mir und verdrehe die Augen.
Meine damalige Freundin wurde damals ebenfalls von einem ekelhaften Mann namens Dave vergewaltigt, weshalb ich sexuellen Missbrauch äußerst verabscheue, aber niemand soll erfahren, was ich früher miterleben musste es geht schließlich niemanden was an. Dent schaut mich finster und verletzt an und senkt wieder seinen Blick. Offensichtlich fällt es ihm schwer, drüber zu reden und dran zu denken.
„Das ist wirklich eine tragische Geschichte, das muss man schon sagen. Und wie genau hast du es denn geschafft das ganze geheim zu halten? Niemand weiß was davon. Yomo, seine Cousins und ich sind wohl die einzigen, die das noch wissen. Ach, erinnerst du dich überhaupt noch an Yomo? Yomo - Kizus Bruder, der dank einem egoistischen und widerlichen Kerl seine Schwester verloren hat. Erinnerst du dich?", fragt Jack kichernd, während Harvey wütend seine Lippen aufeinander presst.
„Natürlich weiß ich, wer Yomo ist", gibt er leise von sich, „ich habe niemandem etwas davon erzählt und habe versucht damit abzuschließen. Ihre Eltern waren schon längst tot und andere Verwandte außer Yomo und den zwei anderen hatte sie nicht, sodass die Geschichte sich nicht rasend schnell verbreiten konnte."
Ich räuspere mich und verschränke meine Arme vor der Brust und begutachte den blonden Mann vor mir.
„Nachdem du ihr das angetan hast, hat sie sich umgebracht, stimmt doch, oder?"
Harvey nickt langsam und starrt gebannt auf seinen Schoß.
„Wir beide haben uns getrennt, sie ging zu einem Therapeuten, der ihr leider nicht helfen konnte und sie erhängte sich einige Wochen danach in ihrem eigenen Zuhause. Außer Yomo, Sam und Nicholson, ihre Cousins, erfuhr niemand was davon. Meinen Bekannten erzählte ich, dass Kizu weggezogen wäre und wir uns getrennt haben. Sie hatte nicht sonderlich viele Freunde, sodass es einfach war, ihnen zu erklären, dass sie einen Neustart machen möchte und weggezogen ist."
Wie Yomo nur damit umgegangen ist? Der arme Kerl hat doch tatsächlich seine Schwester durch den Staatsanwalt von Gotham verloren und hat ihn noch nicht umgebracht, obwohl er das schon längst hätte machen können. Wieso?
„Was war mit ihrer Beerdigung?", frage ich neugierig.
„Yomo hat sie privat bei sich beerdigt. Weiteres weiß ich nicht. Ich habe ihn seitdem nicht gesehen."
Privat bei sich beerdigt? Wie soll ich das denn verstehen? Yomo hat sich eine Gartenschaufel geschnappt und sein eigenes Familienmitglied unter einem Apfelbaum vergraben?
„Du hast es also erfolgreich geschafft, Yomo zum Schweigen zu bringen?"
Fragend schaue ich Harvey an und warte auf seine Antwort. Er aber schüttelt seinen Kopf und verneint.
„Ich habe ihn nicht zum Schweigen gebracht. Er hat für sich selbst beschlossen, es niemandem zu sagen. Deswegen weiß davon niemand, außer Yomo, der Joker und jetzt du. Ich weiß seine genauen Motive und Hintergründe bezüglich dessen nicht."
Meine Gedanken schweifen zu den zwei Vollidiotien von vorhin.
„Sam und Nicholson ebenfalls", korrigiere ich ihn und er nickt.
„Und wie kann es sein, dass diese beiden es auch geheim gehalten haben? Hast du sie bestochen?", frage ich Dent.
Wieder schüttelt er seinen Kopf.
„Nein, auch mit den beiden habe ich nicht gesprochen, als es passiert und rausgekommen ist. Ich vermute, dass Yomo etwas damit zu tun hatte."
Skeptisch schaue ich Harvey an.
„Das heißt also, dass du dich praktisch deiner Strafe bereits entgegen gestellt hast, sie aber nicht kam?"
Er nickt als Antwort.
„Ja, so kann man das auch sagen. Ich wollte mich nicht verstecken oder es leugnen, wenn mich jemand danach fragen würde, aber es hat niemand gefragt und es wurde auch nie angesprochen, sodass ich nach einiger Zeit anfing, es tatsächlich zu verheimlichen und mit niemanden drüber zu reden. Schließlich war ich dankbar, dass es unentdeckt blieb und kein einziger davon bescheid wusste, obwohl das ziemlich feige und erbärmlich von mir war."
Ich gebe verständliche Laute von mir und schaue Dent direkt in die Augen, als ich mich zu ihm herunter beuge.
„Du denkst also, nur weil niemand drüber redet, dass du in Sicherheit wärst und weiter der ganzen Stadt vorspielen könntest, dass du ein weißer Ritter wärst, der nur Gutes will und auch macht? Ist dir eigentlich bewusst, dass du ein Verbrecher bist und du ironischer Weise genau gegen diese ankämpfst?"
Bei meiner Frage schließt Harvey seine Augen und senkt beschämt seinen Kopf.

Two Identities [Joker FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt