Kapitel 55

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Maronis Lüge

„Um ehrlich zu sein, bin ich jetzt nicht gerade der größte Drogen-Fan", meine ich und begutachte skeptisch die große Kiste, die vor uns auf dem Boden liegt.
„Und wir sind uns sicher, dass Maroni die hier meint?", frage ich in die Runde und schaue Jack und Yomo an. Der Weißhaarige sieht ziemlich bedrückt aus und starrt in die Leere, hat nicht vor, mir zu antworten.
„Was ist denn mit dir?", frage ich, sodass er sich erschreckt und anschließend einmal laut einatmet und ausatmet.
„Na ja, wie denkst du, fühlt sich jemand, dessen Gesicht der ganzen Stadt bekannt ist und du nicht einmal auf die Straße gehen kannst, weil sie dich finden würden und überall Phantombilder von dir hängen und es jetzt mit der Anonymität vorbei ist?", fragt mich Yomo langsam und mit einer ruhigen Stimme, sodass ich verstehe und ihm aufmunternd auf die Schultern klopfe.
„Genau deswegen haben wir dir ja jetzt diesen Mundschutz besorgt. Damit bist du immerhin ein wenig getarnt."
Mit seinen eisigen Augen schaut er in meine und nickt anschließend.
„Für so was haben wir jetzt keine Zeit, also los. Wir müssen diesen verdammten Holzklotz in unseren Wagen bekommen. Die Uhr tickt, meine Freunde, die Uhr tickt."
Jack klatscht in seine Hände, die er zuvor aus seinem violetten Sakko gezogen hat. Schmunzelnd schaut er Yomo und mich an, während ich bloß die Augen verdrehe und seufze.
„Also, auf ins Vergnügen. Ich verstehe irgendwie immer noch nicht, warum mir Maronis dumme Drogenlieferung übernehmen müssen", beschwere ich mich, als wir drei die Kiste hochheben. Ächzend tragen wir sie zu unserem großen Auto - ein anderes, welches wir aus dem zweiten Versteck geholt haben. Wir schmeißen die schwere und verschlossene Kiste hinein und atmen erleichtert aus. Anschließend steigen wir alle ein, ehe Yomo den Motor startet.
„Außerdem finde ich es unglaublich seltsam, dass der Dealer diese Kiste in eine verlassene Fabrik gestellt hat und wir sie in eine andere unbelebte Fabrik an den Stadtrand transportieren müssen. Welcher Mensch dealt denn bitteschön nur mit einer einzigen Kiste?", frage ich kritisch und immer noch sehr wütend.
„Wie es aussieht unser lieber Maroni. Wir sollten aufhören diesen Auftrag in Frage zu stellen, diese Kiste bei seinen Kollegen in der Fabrik einfach abgeben und wieder abhauen. Im Notfall können wir ja auch noch den einen oder anderen abstechen."
Grinsend drehe ich mich nach hinten zu Jack und verdrehe meine Augen.
„Du denkst aber auch echt immer nur an das Töten, wenn du außer Haus bist, oder? Außerdem hat uns Maroni gesagt, dass niemand da sein wird."
Leicht schmunzelnd zuckt er mit seinen Schultern.
„Na ja, wenn ich in die Schule gehe denke ich eigentlich nur ans Abstechen, wenn ein anderer Junge mit dir spricht."
Lächelnd schaue ich ihn an und muss anschließend lachen.
„Das ist echt das Süßeste, was ich je gehört habe."
Auch Jack muss nun lachen.
„Es ist ja schön, dass ihr miteinander flirten könnt, während wir einen Haufen Drogen mit uns tragen. Ich spüre jetzt schon, dass das ganze hier kein gutes Ende nehmen wird", ertönt plötzlich Yomo, der angestrengt nach vorne starrt.
„Hey, beruhig dich mal. Es ist schon nichts dabei, Kumpel. Wir stellen die Kiste einfach ab und das war es dann auch. Das ist alles. Was soll da denn schon schieflaufen?"
Jack versucht netterweise Yomo ein wenig zu beruhigen, der daraufhin nichts mehr sagt, sondern einfach schweigend weiterfährt. Eine kurze Zeit später kommen wir endlich bei der besagten Fabrik an. Das Gelände ist riesig und verlassen. Das große Gebäude sieht sehr alt und abgenutzt aus, sodass ich vermute, dass es einstürzen wird, nur weil wir es kurz betreten.
„Guck nicht so, sondern spring aus dem Wagen, Liebes", sagt Jack, der bereits die Autotür zur Seite geschoben hat. Anscheinend hat er meinen kritischen Blick bemerkt.
„Ist ja schon gut", murmle ich und öffne meine Autotür.
Zu dritt hieven wir die Holzkiste aus dem Wagen und stellen sie vorerst auf den Boden ab.
„Und diesen Dreck sollen wir da jetzt reintragen?", frage ich mürrisch und schaue den langen Weg an, den wir noch vor uns haben.
„Heul nicht, sondern pack mit an", entgegnet mir Jack, ehe ich mit seiner und Yomos Hilfe fluchend die Kiste wieder hochhebe. Wir fangen an diese zum Eingang zu tragen.
Als wir diesen schnaufend und ächzend erreichen, betreten wir die große verlassene Fabrik und gehen noch einige Meter weiter, bis wir mitten in einer Halle ein Holzgestell entdecken.
„Das muss es sein", murmelt Yomo.
„Da müssen wir die Kiste abstellen, hat Maroni gesagt", sage ich zustimmend, bevor wir das auch machen. Erleichtert lassen wir die Kiste los und strecken und erst einmal ausgiebig.
„Dieser Bastard zerstört noch meinen Rücken", zischt Jack, während er mit einem schmerzverzerrten Gesicht an die Decke starrt.
„Und jetzt lasst uns diese Pissnelke anrufen und ihm sagen, dass wir den Auftrag erfüllt haben", sage ich und ziehe mein Handy aus der Hosentasche. Ich bin gerade dabei seine Nummer einzutippen, da schnappt sich Jack plötzlich mein Handy. Verwirrt schaue ich ihn an und will ihn fragen, was das soll, da schaut er Yomo und mich verschwörerisch an.
„Wartet mal. Maroni hat gesagt, wir sollen ihn unebdingt anrufen, wenn wir hier an diesem Punkt stehen, richtig?"
Immer noch irritiert nicken wir, weil wir zwei nicht wissen, worauf er hinauswill.
„Jack, was ...-"
„Was ist, wenn das eine Falle ist?"
Er gibt mir mein Handy zurück, während wir ihn seltsam anschauen.
„Was?", fragen Yomo und ich gleichzeitig. Der Grünhaarige starrt uns an, als wären wir von allen guten Geistern verlassen.
„Verarscht ihr mich gerade? Ihr wollt mir doch nicht ernsthaft sagen, dass euch das noch nicht in den Sinn gekommen ist. Das ist doch abnormal auffällig, dass wir für Maroni eine kleine Drogenlieferung übernehmen sollen, obwohl er unzählige Männer hat und ihn unbedingt anrufen sollen, wenn wir hier sind. Es ist als ... Als will er uns hier an diesem Punkt haben. Als wäre das ganze hier Teil eines Plans."
Wir drei tauschen Blicke aus, ehe ich nicke und den zwei anderen deute, abzuhauen.
„Du hast recht, oh mein Gosh, wie konnten wir nur so dumm sein, ab ins Auto mit uns! Wir werden so tun, als würden wir dastehen."
Jack und ich fangen an, in Richtung des Eingangs zu laufen, während Yomo wie versteinert dasteht.
„Yomo, was ist?", frage ich und gehe langsam zurück.
Er starrt wie gebannt auf das Holzgestell und scheint sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Er antwortet mir nicht, sondern inspiziert die Umgeben, ehe er mich wieder anschaut und nickt.
„Wir können gehen", sagt er nun, sodass wir drei die alte Fabrik verlassen.
„Was war das denn gerade eben?", frage ich den ihn, während wir auf dem Weg zu unserem Auto sind.
„Ich habe mir gemerkt, dass das Holzgstell aus sieben Holzteilen besteht und sich rechts ein großes metallische Regal befindet mit insgesamt zehn Platten."
Verwirrt schauen Jack und ich ihn an, sodass er es uns erklärt: „Das habe ich gemacht, da sich Maroni ganz sicher sein will, dass wir da sind und vielleicht testen möchte, ob das auch wirklich stimmt. Es kann sein, dass er uns fragen wird, wie es in diesem Raum aussieht."
Verständlich grinse ich ihn an und nicke.
„Du bist ein schlaues Kerlchen, du hast recht."
Wir setzen uns in das Auto, ehe ich mein Hady erneut zücke und die Handynummer des Mafiabosses eintippe.
„Starte noch nicht den Motor, er würde es vielleicht hören", sage ich zu Yomo, der kurz davor ist, genau das zu machen, hält aber inne, als er versteht, was ich meine. Ich warte darauf, dass Maroni abnimmt, was er nach wenigen Sekunden auch macht.
„Ja?", höre ich ihn brummen.
„Wir sind da und haben die Kiste abgstellt. So wie du es uns befohlen hast."
Ich höre ihn auf der anderen Seite lachen.
„Gut. Wo seid ihr jetzt?"
Ich tausche grinsend einen Blick mit Yomo und Jack aus, ehe ich antworte: „In der Lagerhalle. Wir stehen vor der Kiste. Du hast gesagt, wir sollen dich anrufen, wenn wir hier sind. Sind wir jetzt fertig?"
Und wieder lacht er am anderen Ende.
„Ich muss mir sichergehen, dass ihr euch tatsächlich dort befindet. Ich möchte, dass diese Lieferung schwindellos durchgeführt wird."
Nun bin ich diejenige, die ein wenig lachen muss.
„Okay, mein Freund. Ich kann dir versichern, dass wir uns hier in dieser hässlichen Halle befinden."
„Wie viele Holzlatten hat dieses Gestell?"
Lachend schaue ich zu Yomo.
„Wie viele Latten das Gestell hat?"
Yomo und Jack schauen sich verschwörerisch an.
„Warum möchtest du das denn wissen?"
„Beantworte einfach meine Frage."
„Ist ja schon gut, eins, zwei ... Sieben. Sieben Stück."
Maroni schnauft am anderen Ende.
„Okay, ihr seid wirklich dort. Ich danke euch für eure Mitarbeit. Darf ich euch noch was zum Abschluss sagen?"
Ich lausche und höre ihn plötzlich laut lachen, sodass ich mein Handy ein wenig von meinem Ohr entfernen muss.
„Was denn?", knurre ich in den Hörer.
„Das war gar keine Drogenlieferung."
Meine Augen weiten sich, während ich Yomo hektisch weismachen will, loszufahren, was er auch irritiert macht.
„Ach, ja? Was denn dann? Du hast uns doch nicht etwa angelogen, oder?"
Und wieder lacht er, während wir das Gelände allmählich verlassen.
„Hm, na ja, doch."
Kurze Stille kehrt ein.
„Viel Spaß beim Sterben, ihr drei."
Nachdem er den letzten Satz gesprochen hat, legt er auf, ehe etwas Gewaltiges hinter uns in die Luft gesprengt wird. Erschrocken schauen Jack und ich nach hinten und lassen nach und nach das in sich zusammenfallende und brennende Fabrikgebäude hinter uns. Maroni hat verdammt nochmal die komplette Fabrik gesprengt.
„Ich habe es euch gesagt", höre ich Jack hinter mir murmeln.

Two Identities [Joker FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt