Das Angebot
Der nächste Morgen bricht an und ich stehe todesmüde auf. Ein Blick auf meine Uhr verrät mir, dass ich bloß zwei Stunden geschlafen habe, sodass ich lustlos murren muss. Das Doppelleben bringt eben auch einige Nachteile. Der Mangel an Schlaf ist aber nur einer von vielen.
Ich schlürfe mit geschlossenen Augen aus meinem Zimmer und gähne. Nachdem ich mich angezogen und fertig gemacht habe und besonders darauf geachtet habe meine Augenringe zu bedecken, verlasse ich meine Wohnung und laufe zu der Bushaltestelle. Ich steige in meinen Bus ein, der bereits dasteht und entdecke sofort Yvana, die putzmunter in der Mitte des Busses sitzt. Der Platz neben ihr ist frei. Ich winke ihr zu und setze mich neben sie, als ich bei ihr angekommen bin.
„Yvana, hey", begrüße ich sie.
„Hi, Caylin. Bereit für den zweiten Schultag?"
Ich lache ironisch und boxe sie leicht. Sie aber kichert nur. An der Schule angekommen betreten wir beide sofort das große Gebäude und nach einigen Metern auch unser Klassenzimmer.
„Viel Spaß noch mit Jack", flüstert Yvana in mein Ohr, ehe sie sich neben Luise setzt.
Ich schmunzle kurz, bevor ich mich zu meinem Platz begebe, neben dem sich der besagte Junge auch schon befindet. Als ich mich setze, hebt er seinen Kopf und lächelt mich an.
„Hey, Caylin."
Ich lächle zurück.
„Hi, Jack."
Ich packe mein Federmäppchen und einen Block raus, wobei ich allerdings intensiv von Jack beobachtet werde. Komisch.
„Ist was?", frage ich und streiche mit meiner Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sogar diese kleine und bedeutungslose Geste wird von dem grünhaarigen Typen vor mir analysiert.
„Nein, was sollte denn sein?", fragt er aber bloß. Ich zucke mit den Schultern.
„Keine Ahnung, deswegen frag ich ja. Du hast mich bloß so seltsam beobachtet."
„Tut mir leid, komische Angewohnheit von mir."
Verlegen kratzt Jack sich am Nacken und schaut mich entschuldigend an. Ich winke bloß ab.
„Macht nichts. Solange ich in Ruhe essen kann, ohne dass ich von dir beobachtet werde, ist alles in Ordnung."
Jack lacht kurz, verstummt aber, als unser Geschichtslehrer mit seiner unfassbar grässlichen Miene das Klassenzimmer betritt.
„Wer ist das denn? Hat jemand sein Pausenbrot geklaut oder warum schaut er so böse?", fragt Jack leise und schaut mir in die Augen.
Schmunzelnd blicke ich ihn an.
„Das ist Mr Parker. Unser Geschichtslehrer. Er schaut immer so, also mach dir da mal keine Sorgen", antworte ich genau so leise.
„Guten Morgen, liebe Schülerinnen und Schüler. Ein neues Schuljahr hat begonnen und somit ein neues Jahr voller historischen Aufklärungen."
Ein Stöhnen durchfährt die gesamte Klasse, was bedeutet, dass der wahnsinnig spannende Unterricht beginnt.
Nachdem ich den langen Schultag hinter mich gebracht habe, strecke ich mich und denke kurz an meine Todesliste, die ich heute Nacht weiterführen kann.
„Halleluja, ich dachte schon, ich komm hier gar nicht mehr weg", sagt Jack nach der neunten und somit letzten Stunde, als wir die Schule verlassen und wir stehen bleiben.
Ich schaue an ihm vorbei und warte auf Yvana. Ich halte Ausschau nach dem blonden Haarschopf.
„Oh ja, den selben Gedanken hab ich den ganzen Tag über getragen", lache ich.
„Was ich noch vergessen hab zu fragen: hast du den Zettel von mir gestern vergessen?", fragt mich Jack grinsend.
Fragend schaue ich ihn an, bis es mir wieder einfällt.
„Du meinst den Zettel mit deiner Nummer?"
Er nickt.
„Nein, hab ich nicht."
Jack verschränkt seine Arme hinter dem Kopf.
„Warum hast du mir nicht geschrieben oder mich angerufen? Ihr Mädchen seid echt gut im Verstecken eures Desinteresse gegenüber eines Jungen."
Ich muss bei Jacks Kommentar lachen und piekse ihn in die Seite.
„Tut mir leid, dass ich dich noch nicht kontaktiert habe. Ich hatte keine Zeit und hab das wegen dem ganzen Stress völlig vergessen. Heute aber. Versprochen!", verteidige ich mich.
„Na, dann. Jetzt bin ich aber erleichtert."
„Hey, Caylin! Huhu!"
Die laute Stimme meiner besten Freundin Yvana reißt mich aus dem Gespräch zwischen Jack und mir.
„Dann sehen wir uns morgen, bis dann", verabschiedet sich Jack.
„Ja, bis morgen."
Ich schmunzle zum Abschied und schaue noch kurz Jack hinterher, der sich umdreht und davongeht.
„Operation Jack läuft wie ich sehe bestens. Hast du ihn denn schon angeschrieben?"
Ich verdrehe meine Augen und laufe mit Yvana zur alt bekannten Bushaltestelle.
„Nein, aber ich werde es heute noch machen, keine Angst."
Bevor sie noch was erwidern kann, hebe ich meinen Zeigefinger.
„Und jetzt reden wir über was anderes."
Als es wieder dunkel genug war, um mich als Theodora auf die Straßen trauen zu können, verlasse ich meine Wohnung und anschließend das gesamte Haus. Dass ich es bisher erfolgreich geschafft habe, Freunde, insbesondere Yvana, von meinem Wohnort fernzuhalten liegt ganz allein an meinen perfekten Ausreden. Wie zum Beispiel, dass meine Eltern Besuch hassen oder wir einer Religion angehören, bei der es sich nicht gehört fremde Menschen, beziehungsweise Personen außerhalb der Familie, zu sich nach hause einzuladen. Bis jetzt gab es deswegen noch keine wirklichen Komplikationen. Außer einmal. Da musste ich eine Frau und einen Mann, zwei Personen, die auf meiner Todesliste standen, dazu anheuern sich als meine Eltern auszugeben. Nur deswegen, weil meine Schulleitung persönlich meine Eltern kennenlernen wollte und sie selbstverständlich bestätigen mussten, dass ihre "Tochter" auf diese Schule geht. Auch Yvana hat sie kennengelernt und noch einige Freunde und Bekannte von mir. Anschließend hab ich sie getötet. Ich habe aber dafür gesorgt, dass niemand davon Wind bekommt und sie somit spurlos verschwinden. Beide waren kinderlos und hatten auch keine Eltern mehr. Sie waren sozial abgegrenzt und somit nicht großer Teil der Gesellschaft. Perfekt für mich, da sie niemand suchen würde.
Aber zurück zu der Gegenwart.
Ich trete auf die kriminellen Straßen Gothams und atme durch mein Tuch die kühle Nachtluft ein. Eine Nachricht von meinem Handy, das man nicht orten kann, habe ich noch vor meinem Aufbruch Jack geschickt, der mir aber noch nicht geantwortet hat. Ich habe ihm eine simple Begrüßung in Textform geschickt. Ich denke, dass Yvana sich damit zufrieden geben wird. Und Jack denke ich auch, sodass er mich nicht mehr fragen wird, warum ich denn keine Zeit hatte ihn anzuschreiben. Ich gehe viele Kilometer entlang der Seitengassen und Straßen, wo die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist unentdeckt zu bleiben. In dieser Nacht habe ich drei weitere Menschen von meiner Liste getötet und sie in ihrem eigenen Blut zurückgelassen. Theoretisch gesehen habe ich nun vor nach Hause zu gehen, da bekomme ich wieder unerwarteten Besuch von einer ganz bestimmten Person.
„Hallo, Liebes."
Ich zucke kurz vor Schreck zusammen, drehe mich aber breit grinsend um. Dabei entdecke ich das geschminkte, gleichzeitig bekannte Gesicht.
„Hallo, Joker. Freut mich, dich wiederzusehen. Was ein Zufall, dass wir uns schon wieder begegnen", sage ich freundlich, stecke aber diesmal mein Messer weg.
Der Joker und ich kennen und schon seit Jahren und wir verstehen uns gut. Wenn er mich töten will, hätte er das schon längst machen können.
„Theodora, die Freude ist ganz meinerseits."
Spielerisch verbeugt er sich, was ich im schwachen Licht der Straßenlaterne sehen kann. Der Joker erhebt sich wieder und kommt einen Schritt näher. Er ist schätzungsweise drei Meter von mir entfernt.
„Zufall ist das aber nicht."
Verwirrt schaue ich ihn an, muss aber lächeln, als ich verstehe, was er meint.
„Was eine Ehre, du hast mich aufgesucht. Du hast also meine Nähe gesucht? Putzig", bemerke ich.
Der Joker verdreht seine Augen und kommt noch ein wenig näher. Er zückt sein Messer und gestikuliert mit der Klinge. Ich weiß ganz genau, dass er mir nicht wehtun wird. Jedenfalls nicht so stark, dass ich davon große Probleme bekommen könnte.
„Du hast absolut Recht, Schönheit. Ich hatte einen ganz bestimmten Grund dich aufzusuchen."
Ich hebe fragend meine Augenbrauen, als er direkt vor mir steht und ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren kann.
„Und was genau willst du von mir?"
Er steckt sein Messer weg und schmatzt auf seine typische Art.
„Was ich von dir will? Vorerst nichts. Ich wollte dir nur etwas sagen, was ich aber selbstverständlich für mich behalten werde, voraussichtlich du wirst mit mir zusammenarbeiten."
Ich fange schallend an zu lachen.
„Mit dir zusammen arbeiten? Du solltest langsam wissen, dass ich eine unabhängige Frau bin, die nichts mit Plan und einer Begleitung macht. Tut mir leid dich da enttäuschen zu müssen."
Der Joker allerdings entfernt sich mit langsamen Schritten.
„Überdenk das. Denn weißt du was? Ich weiß, wer du wirklich bist, Theodora."
Der Joker grinst, wobei ich ihn bloß anstarren kann. Wie kann das sein?
„Wer ich wirklich bin? Sag es mir, denn ich weiß es selber nicht", antworte ich gespielt unwissend und hoffe, dass meine Befürchtungen nicht wahr werden.
„Oder soll ich dich lieber Caylin nennen?"
Ich bin so geschockt, dass ich nicht reagieren kann. Ich reagiere auch nicht, als Joker sich lachend vom Acker macht und ich nicht einmal seine Schritte hören kann. Ich bin viel zu sehr geschockt, um etwas machen oder sagen zu können. Ich stehe bloß in dieser Seitengasse, mit geöffnetem Mund und aufgerissenen Augen. Als ich endlich wieder fähig bin, fange ich an zu meiner Wohnung zu rennen. So schnell wie ich nur kann. Während dem Weg dorthin schwirren mir tausend Fragen im Kopf.
Woher weiß er, wer ich bin?
Woher, verdammt, weiß er es?
Ich trage doch extra Kontaktlinsen und verdecke meine untere Gesichtshälfte. Ich trage tagsüber völlig verschiedene Klamotten, trage meine Haare anders, habe eine andere Art und habe somit eine komplett neue Identität. Ich bin so unglaublich vorsichtig, also wie zum Teufel hat der Joker herausgefunden, wie ich in meinem zweiten Leben heiße?
Ich darf bloß hoffen, dass er es niemandem erzählen wird und es weiterhin ein Geheimnis bleibt. Wenn nicht, dann kann ich mich entweder auf eine Psychiatrie oder ein Gefängnis bereit machen. Ein Ort, an dem ich bis zu meinem Lebensende bleiben werde. Es sei denn ich kann frühzeitig flüchten. Ja, das wäre eine Option. Aber er hat doch gemeint, dass er niemandem davon erzählen wird, wenn ich mit ihm zusammen arbeiten werde. Vielleicht sollte ich also dieses Angebot überdenken und in den nächsten Tagen besonders auf mein Umfeld achten.
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Two Identities [Joker FF]
FanficIn der Nacht eine Mörderin, am Tag eine unschuldige Schülerin und gleichzeitig die Sitznachbarin eines Psychopathen - das ist das Leben von Caylin Peters alias Theodora, die sich nach einer zufälligen Begegnung mit dem Joker zusammentut.