Tarnung
„Ich kam mir noch nie so bescheuert vor", knurre ich und rücke die weiße Hose und das blaue Poloshirt zurecht.
Den weißen Mundschutz ziehe ich nach oben und verstecke meine Haare unter der weißen Mütze, die noch bis vor wenigen Minuten im Besitz dieser alten Putzfrau war, die nun leblos auf dem Boden liegt. Bei ihrem Anblick, wie sie nur in einem Unterhemd und einer Unterhose daliegt, während ihre Augen weit aufgerissen sind und Blut aus ihrer Brust geströmt kommt, muss ich mein Gesicht verziehen.
Es war nicht so einfach diese alte Dame zur Ruhe zu bringen, als ich ihr unauffällig gefolgt bin und sie hier in den Putzraum gestoßen habe. Die ganze Zeit über hat sie versucht zu schreien, hat mit ihren Armen herumgefuchtelt, als wäre sie von einer Tarantel gestochen worden und hat fast angefangen zu weinen. Nachdem ich auf sie eingeredet und ihr gedroht habe, ist sie überraschenderweise schneller still geworden, als dass ich bis drei zählen kann. Glücklicherweise habe ich mitgedacht und sie aufgefordert mir ihre Putzklamotten zu geben, bevor ich sie getötet habe. Denn wenn ich das nicht getan hätte, wären meine neuen Klamotten voller Blut und das wäre ja wohl alles andere als praktisch. Seufzend klettere ich über die Leiche und drücke bei dem Desinfektionsspender auf den Knopf und halte meine Hand drunter. Anschließend schmiere ich mir das desinfizierende Zeug auf meine Hände und schnappe mir die Sonnenbrille, die ich extra mitgenommen habe. Meine richtigen Klamotten verstaue ich noch in dem Schrank voller Putzkram und öffne anschließend die Tür. Den Brief stecke ich schnell ein und ziehe den Putzwagen mit mir aus der Abstellkammer. Die Tür schließe ich schnell hinter mir und drehe den Schlüssel um, ehe ich diesen aus dem Schlüsselloch ziehe und in meine Hosentasche versinken lasse.
„Ach, müssen Sie noch arbeiten. Sie Armer. Ich hoffe Sie haben bald Feierabend."
Die plötzliche Stimme lässt mich zusammenzucken, sodass ich mich langsam umdrehe und einen kleinen Mann mit Hornbrille entdecke.
Dieser lächelt mich etwas erschöpft an. Auch er trägt dieselbe weiße Hose, bloß mit einem grünen Hemd. Leider kann ich die Wörter auf dem kleinen Schildchen, das an diesem hängt nicht entziffern, sodass ich nicht weiß, was für eine Position er hier hat und wie er heißt. Gespannt wartet er auf meine Antwort, sodass ich mich mich räuspere.
„Huch, warum haben Sie denn eine Sonnenbrille an? Da hatte wohl jemand eine harte Nacht, was?", lacht er, sodass ich gezwungenermaßen mitlache.
„Harte Nacht trifft es wohl sehr gut. Es war eine sehr große Feier, wissen Sie?", antworte ich, sodass er wieder lachen muss.
Bei ihm hört es sich allerdings an, als würde jemand eine Scheibe polieren, sodass ich mich zusammenreißen muss, ihn nicht wegen seiner nervigen Lache abzustechen. Plötzlich aber blinzelt er ein paar mal, legt seinen Kopf zur Seite und schaut mich fragend an.
„Kennen wir uns überhaupt? Ich erinnere mich nicht, Sie jemals getroffen zu haben. Sind Sie neu hier, Mr?"
Und wie neu ich hier bin, du Volltrottel.
„Ja, das bin ich. Ich arbeite hier erst seit ein paar Tagen hier, ich bin Mr. Curtis, eine neue Putzkraft, freut mich. Und Sie sind ...?"
Höflich halte ich ihm meine Hand entgegen, die der kleine Mann auch anschließend ergreift. Sein Lächeln erscheint wieder, ehe unsere Hände innehalten.
„Ach so ist das. Mr Hive mein Name, freut mich ebenfalls. Warum haben Sie denn kein Schildchen, haben Sie noch gar keins bekommen?"
Ich schaue an meinem Polohemd herunter und zucke mit den Schultern.
„Nein, noch nicht. Matilda wollte mir noch eins besorgen."
Auf dieser Welt gibt es so viele Matildas, also warum sollte es hier in diesem großen Gebäude keine geben, unter den vielen Angestellten von Harvey Dent?
„Matilda? Ach echt? Die macht das für Sie? Ich wusste gar nicht, dass sie so sozial sein kann. Normalerweise interessiert sie sich nur für ihre seltsamen Magazine über irgendwelche Models und Schminke, wobei sie ihre Kollegen und die Arbeit ganz vergisst."
Sag ich doch.
Lachend hält er sich den Bauch fest und scheint sich wohl selber wegen seiner kleinen Lästerei zu feiern. Wieder lache ich mit und stelle meinen rechten Fuß auf den Putzwagen, während ich mich ein wenig umsehe. Eine Tafel zeigt an, dass dieses riesige Gebäude ganze 200 Stockwerke hat. Wo sich aber das Schlafzimmer von Harvey befindet, kann ich nicht herausfinden.
„Mr Hive, kann ich Sie etwas fragen?"
Mein Blick gleitet wieder zu dem Mann vor mir, der seine Brille zurecht rückt und nickt.
„Natürlich, was gibt es denn? Wenn Sie wissen wollen, ob Matilda denn Single oder vergeben ist, dann muss ich Sie leider enttäuschen. Sie hat bereits einen Freund und ist sehr glücklich mit ihm."
Und wieder fängt er an zu lachen, verstummt aber schnell wieder, als ich meinen Kopf schüttle.
„Nein, das wollte ich nicht fragen. Ich wollte Sie fragen, ob Sie mir denn sagen könnten, wo sich denn Mr. Dent im Moment aufhält. Ich möchte ihn nicht belästigen, besonders nicht so spät, jedoch kam mir vorher eine gewisse Frau im schicken Anzug entgegen und hat mich gefragt, wo der Staatsanwalt sich um diese Uhrzeit aufhalte. Da ich noch neu hier bin, konnte ich ihr nicht helfen, habe aber versprochen, ihr Bescheid zu sagen, wenn ich die Antwort habe."
Ich nehme eine unschuldige Haltung ein und warte auf Mr. Hives Antwort auf meine Lüge. Dieser überlegt kurz, ehe er freudig seinen Mund öffnet.
„Um diese Uhrzeit befindet er sich bereits in seinem Schlafzimmer, das Zimmer Nummer 89 im 34. Stock. Möchten Sie sonst noch was wissen?" Ich schüttle meinen Kopf und hebe meine Daumen nach oben.
„Nein, haben Sie vielen Dank. Das ist gut, zu wissen. Na ja, wie dem auch sei. Ich sollte langsam wirklich anfangen zu putzen, sonst bleibt hier ja alles so schmutzig, wie es bisher war."
Ich versuche so zu lachen, dass es klingt, als hätte ich einen ultra witzigen Witz gerissen, was bei Mr. Hive diesem Idiot gut ankommt, sodass er miteinsteigt und währenddessen nickt.
„Wo Sie recht haben, haben Sie recht. Na, dann machen Sie sich schleunigst an die Arbeit. Und in den nächsten Tagen sollten Sie es vielleicht nicht so mit dem Feiern übertreiben, ja?"
Wieder kichert er und fängt an, in Richtung des Ausganges zu gehen.
„Bis dann, Mr Curtis. Es hat mich sehr gefreut, Sie kennengelernt zu haben!"
Er winkt mir noch hinterher, sodass ich ebenfalls meine Hand hebe und freundlich winke. Als er endlich verschwunden ist, verdrehe ich unter der Sonnenbrille meine Augen und forme aus meiner winkenden Hand einen Mittelfinger.
„Man, sind diese Durchschnittsmenschen anstrengend."
Stöhnend lasse ich meine Hand sinken und schiebe genervt den Putzwagen vor mir her. Na ja, jedenfalls kann ich mir jetzt sicher sein, dass meine Verkleidung eine gute Tarnung ist und es eine ausgezeichnete Idee war, mich als Reinigungsfachkraft auszugeben.
„Hast du mal wieder super gelöst, Mr J", murmle ich, ehe ich mir selber auf die Schultern klopfe.
Als ich endlich den Aufzug gefunden habe, drücke ich den Knopf und warte, bis der Aufzug endlich hier unten angekommen ist und die Türen sich langsam öffnen. Glücklicherweise stelle ich fest, dass die Kabine leer ist, sodass ich summend den Wagen hereinschiebe und auf den Knopf mit der Nummer „89" drücke, noch bevor sich die Türen schließen. Innerlich bete ich, dass ich keinem einzigen Volltrottel mehr begegnen werde und einfach zu Harveys Zimmer schleichen kann. Eine weitere Konversation halte ich nicht aus. Ich lasse immer mehr und mehr Etagen unter mir, während ich hoffe, dass der Aufzug nicht anhalten wird, bis ich bei dem 89. Stock angekommen. Und tatsächlich: Die Türen springen erst auf, als ich auf der besagten Etage ankomme. Gerade will ich den Wagen vor mir rausschieben, da entdecke ich vor mir eine Person, sodass ich ein wenig erschrecke. Als ich aber merke, dass es eine weitere Mitarbeiterin ist, also ein Mensch mit einer weißen ordentlichen Hose und einem grünen Hemd, atme ich etwas erleichtert auf und muss schon über mich selber lachen, da ich so paranoid bin. Die junge Frau betritt schüchtern lächelnd den Aufzug und lässt mich an ihr vorbei. Etwas seltsam guckt sie schon wegen meiner Sonnenbrille, lässt es sich aber nicht all zu sehr anmerken.
„Schönen Abend noch", höre ich sie noch sagen, sodass ich mich umdrehe und sehe, wie sie immer noch lächelt, eine Strähne hinter ihr Ohr streicht und ihre Handtasche fest umklammert.
„Danke, den wünsche ich Ihnen auch, meine Schöne."
Bei meinem Kompliment sehe ich, wie sie rot wird, ehe sich die Türen des Aufzuges schließen und ich mal wieder meine Augen verdrehe.
„Meine Schöne, haha, dass ich nicht lache. Niemand ist so schön, wie Caylin, nicht einmal ansatzweise. Aber diese Masche zieht immer", zische ich und schiebe den quietschenden Wagen wieder vor mir her, bis ich endlich bei dem Zimmer mit der Nummer 89 angekommen bin.
Den Wagen schiebe ich noch ein bisschen weiter, damit er nicht direkt vor diesem Zimmer steht. Ich gehe zurück und klopfe an dieser Tür. Die Chance besteht natürlich, dass Harvey bereits schläft und mir nicht antworten wird, als ich aber ein „herein" höre, verschwinden meine Bedenken wieder, sodass ich unter meinem Mundschutz anfangen muss zu grinsen. Ich drücke die Klinke herunter und betrete den Raum. Anschließend schließe ich die Tür und drehe mich zu Harvey, der wie ein Häufchen Elend in seinem Bett liegt. Anscheinend hat er den Tod seiner netten Freundin Rachel immer noch nicht verarbeitet.
Das schwache Licht, das hier diesen Raum erfüllt, bringt Harveys erschöpftes Gesicht besonders zur Geltung. Und bei seinem Anblick muss ich unwillkürlich lächeln und freue mich auf seine Reaktion, wenn ich mich enttarnen werde.
„Kann ich Ihnen weiterhelfen? Und darf ich fragen, warum Sie eine Sonnenbrille tragen?"
Grinsend drehe ich hinter meinem Rücken den Schlüssel um und gehe auf Harvey zu, ohne ihm zu antworten.
„Mr? Ist alles gut? Haben Sie nicht schon Feierabend?"
Kurz vor ihm setze ich mich auf den Boden, sodass der Blonde mich verwirrt anschaut. Anscheinend weiß er nicht, was er von dieser merkwürdigen Situation halten soll.
„Warum ich eine Sonnenbrille trage, fragst du, Harvey?" Immer noch irritiert starrt er mich an.
„Weil ich keine Lust hatte, beim Reinschleichen entdeckt zu werden, weißt du? Das hätte alles viel komplizierter gemacht."
Und mit diesen Worten ziehe ich meinen Mundschutz aus und die Sonnenbrille runter. Aber bevor der zutiefst geschockte Harvey aufschreien kann, halte ich meine Hand an seinen Mund und grinse ich teuflisch an.
„Wenn du anfängst zu schreien, bringe ich dich auf der Stelle um."
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Two Identities [Joker FF]
FanfictionIn der Nacht eine Mörderin, am Tag eine unschuldige Schülerin und gleichzeitig die Sitznachbarin eines Psychopathen - das ist das Leben von Caylin Peters alias Theodora, die sich nach einer zufälligen Begegnung mit dem Joker zusammentut.