Kapitel 37

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Der Kuss

„Bist du okay?"
Besorgt schaut Yomo zu mir, während ich immer noch versuche meinen Atem zu normalisieren. Mein Gesicht habe ich in meinen Händen vergraben, die ich auf meinen Knien abgestützt habe, jetzt aber entferne ich sie und schaue Yomo direkt in die Augen. Langsam nicke ich und schmunzle ein wenig.
„Da hatten wir wohl Glück im Unglück", lache ich und hebe meine zwei Mittelfinger in die Höhe.
„Die gehen an dich, lieber Staatsanwalt", sage ich und lasse mich anschließend nach hinten auf den kalten Boden fallen, während wir immer noch die aufsteigenden dunklen Wolken und das Feuer beobachten.
„Und du?", frage ich den Weißhaarigen und drehe meinen Kopf zu ihm.
Auch er nickt. Mein Blick gleitet zu Jack, sodass ich mich wieder aufsetze und ihn betrachte. Seine Augen sind leicht geöffnet, was heißt, dass er immer noch bei Bewusstsein ist.
„Jack? Wie geht es dir?", frage ich und beuge mich über ihn. Er blinzelt ein mal, ehe er einen seiner Daumen nach oben hebt.
„Es geht schon. Ich wäre euch aber sehr dankbar, wenn ihr diese drei Kugeln aus mir entfernen könntet. Die  Wunde hat aber schon aufgehört zu bluten, keine Sorge, Liebes."
Erleichtert nicke ich und sehe zu, wie Yomo aufsteht und zu uns herunter schaut.
„Ich besorge schnell einen Erste Hilfe Kasten. Ich werde die Kugeln mit einer Pinzette entfernen und die Wunden anschließend desinfizieren, wartet hier", erklärt er und läuft los.
„Wo willst du denn bitteschön um diese Uhrzeit einen verdammten Verbandskasten auftreiben?", rufe ich ihm noch skeptisch hinterher, was er aber nicht mehr hört, weil er zu weit weg ist. Seufzend wende ich meinen Kopf ab und schaue wieder zu Jack, der mich anstarrt.
„Schau nicht so. Dein weißhaariger Freund besorgt etwas, womit die Schmerzen aufhören, also fang erst gar nicht an zu heulen, verstanden?", necke ich ihn, völlig froh, dass es uns allen gut geht und wir Edward erfolgreich austricksen konnten.
Jacks Lippen verziehen sich zu einem seltsamen Lächeln, ehe er sich durch die fluffigen grünen Haare fährt und seine Hand wieder fallen lässt.
„Ich hasse den Riddler", bringt Jack hervor, was ich mit einem bitteren Lachen kommentiere.
„Wer tut das nicht?"
„Wenigstens ist er tot. Das ist er doch, nicht?"
Grinsend nicke ich.
„Das ganze hier ist gemeinsam mit dem dämlichen Rätsel-Mann in die Luft gesprengt worden, also ja."
Jack entfährt ein raues Lachen, ehe er seinen Blick wieder auf mich richtet und mich lange Zeit anstarrt, ohne etwas zu sagen.
„Ich weiß nicht warum, aber ich muss das jetzt tun."
Verwirrt runzle ich meine Stirn und wundere mich darüber, was Jack gesagt hat. Im nächsten Moment aber spüre ich, wie sich seine Finger um meinen Hals schlingen und mein Kopf zu ihm runter gedrückt wird. Verblüfft schnappe ich nach Luft und merke plötzlich, wie sich Jacks geschminkte Lippen auf meine legen. Im ersten Moment erwidere ich den Kuss nicht, da ich viel zu sehr überrumpelt bin und es nicht verstehe. Schließlich habe ich noch vor wenigen Minuten um mein Leben und auch um das der anderen gekämpft und bin noch völlig benebelt. Auch bin ich noch komplett neben der Spur und muss mich erst einmal beruhigen. Und dass Jack mich genau jetzt aus dem Nichts küsst, ist mehr als nur verwirrend, aber gleichzeitig  so ... Schön. Wenige Sekunden später schließe ich also meine Augen und küsse den Grünhaarigen zurück, ohne wirklich nachzudenken. Ich spüre förmlich, wie er in den Kuss hinein lächelt, sodass ich das ebenso mache. Ein wenig später lösen wir uns voneinander und schauen uns lange Zeit in die Augen. Keiner sagt was. Keiner macht was. Alles was wir machen, ist uns gegenseitig anzustarren und das ziemlich lange, ohne jeglichen neckenden oder provozierenden Kommentar.
„Ich hab einen!", hören wir plötzlich jemanden rufen, sodass wir uns erschrocken in die Richtung drehen aus der die Stimme kam und so unseren langen Blickkontakt unterbrechen.
Glücklicherweise entdecken wir Yomo, der einen schwarzen Kasten in der Hand hält, mit dem er auf uns zukommt. Ich schüttle meinen Kopf, um diesen Kuss erst einmal aus dem Kopf zu bekommen, denn durch diesen bin ich jetzt nur noch mehr benebelt und kann mich gar nicht mehr auf das Verarzten konzentrieren.
„Was ist los?", fragt Yomo besorgt, während er den Kasten öffnet und mich anschaut.
Anscheinend hat er meinen abwesenden Ausdruck bemerkt. Mein Blick allerdings ruht auf Jack und seiner auf mir. Komischerweise ist er so ruhig und auch sein sonst so verrückter Gesichtsausdruck hat sich nun in einen eher ruhigen und entspannten verwandelt.
„Es ist nichts, jetzt nehm die Pinzette und nimm die Kugeln aus Jacks Beinen und seiner Hüfte."
Meinen Blick wende ich nun von Jack ab und ziehe seine zwei Hosenbeine hoch. Yomo schnappt sich also die kleine Zange und inspiziert zuerst die eine und dann die andere Wunde. Nach einigen Fehlversuchen und schmerzhaften Schreien von Jack sind alle drei Kugeln erfolgreich entfernt, sodass Yomo diese Wunden noch säubert und desinfiziert. Unglücklicherweise aber müssen wir die Entdeckung machen, dass unser Kumpel sehr viel Blut verloren hat, sodass ich mich wundere, wie er überhaupt noch bei Bewusstsein sein konnte.
„Fertig", meint Yomo, während er die Sachen wieder in den Kasten räumt, während ich Jack noch den letzten Verband anlege und anschließend seine Klamotten wieder in die richtige Position richte, wobei ich sein Oberteil und seine Hosenbeine runter ziehe.
„Wie geht es dir, Kumpel?", fragt Yomo und beugt sich über Jack, der nun wieder vollständig bei Bewusstsein ist. Ein paar mal schmatzt er und grinst.
„Besser könnte es mir nicht gehen. Und jetzt bringt mich zu unserem Versteck, das war mir heute ein bisschen zu viel Drama. Besonders Edwards Gesicht hat mir meinen Tag heute vermiest."
Schmunzelnd gucke ich ihn an. Er ist wieder ganz der Alte.
„Außerdem sollten wir bis Sonnenaufgang auf jeden Fall wieder zuhause sein, da wir von irgendwelchen Menschen noch entdeckt werden. Auch müssen Caylin und ich in die Schule."
Mahnend hebe ich einen Finger.
„Du gehst heute und morgen nirgendwo hin, erst recht nicht in die Schule, haben wir uns verstanden? Du wirst dich wenigstens zwei Tage lang zuhause ausruhen."
Jack verdreht seine Augen, während Yomo uns nur still beobachtet.
„Ist ja schon gut."
Zufrieden schaue ich ihn an, während ich mich aufrichte und mit Yomo unserem Freund helfe, aufzustehen.
„Das Versteck ist von hier ziemlich weit, nicht wahr?", fragt Yomo und ich denke kurz nach, ehe ich nicke.
„Es wird ewig dauern, bis wir dort sein werden", murmelt er seufzend und fährt sich durch die weißen Haare.
Kurz überlege ich und komme zu einem Entschluss, für den ich viel Mut aufbringen muss und hoffe, dass ich ihn nicht bereuen werde.
„Er kann mit zu mir nach Hause kommen. Das ist wesentlich näher, als das Versteck."
Jack schaut mich mit großen Augen an, während auch Yomo mich skeptisch begutachtet.
„Zu dir nach Hause? Meinst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?"
Ich zucke mit den Schultern und werfe einen kurzen Blick zu Jack, ehe ich wieder zu Yomo schaue.
„Wir werden es auf keinen Fall mit ihm zu dem Versteck schaffen. Erstens wird es viel zu lange dauern und zweitens würde er den Weg sowieso nicht schaffen, weil es eine viel zu lange Strecke ist", meine ich und verschränke meine Arme vor der Brust.
„Vertraust du uns etwa schon so sehr, dass du uns sogar dein eigenes zuhause verrätst?"
Breit grinsend schaut mich Jack an, sodass ich ebenfalls grinsend die Augen verdrehe, während wir uns Bewegung setzen.
„Kann man so sagen, ja. Ich hoffe, ich werde es nicht bereuen. Wenn ja, dann werde ich euch beide ohne zu zögern abstechen. Nicht dass ich noch wegen euch in irgendwelche Schwierigkeiten geraten werde."
Jack entfährt ein kurzes Kichern.
„Damit hast du schon einmal gedroht und wir leben immer noch."
Yomo nickt bloß.
„Okay, wir nehmen ihn mit zu dir nach Hause, ich hoffe wirklich, dass es in der Nähe ist."
„Er kann zwei Tage da bleiben. Nach zwei Tagen aber verziehst du dich wieder, verstanden?"
Ich richte mich wieder zu Jack, der eifrig nickt.
„Ja, Ma'am."
Schmunzelnd verdrehe ich meine Augen, ehe wir endlich die große schwarze Wolke verlassen, das immer noch brennende Versteck einfach so hinter uns lassen und zu dritt nebeneinander eine Straße entlang gehen. Nach vielen Minuten voller Diskussionen über Jacks Schmerzen und ein paar anderen Komplikationen, sind wir endlich in der Nähe meiner Wohnung, wobei ich erst jetzt merke, wie erschöpft ich eigentlich bin. Ich bleibe stehen und schaue Yomo an.
„Ich denke den letzten Rest schaffen wir zu zweit. Am Samstag - also in vier Tagen - treffen wir uns wieder, um den Brief an Harvey Dent zu schicken, einverstanden? Wir werden uns überlegen, wie viel Geld wir von ihm fordern und wann genau wir uns mit ihm treffen werden."
Der Weißhaarige entfernt Jacks Arm von seinem Nacken und nickt.
„Einverstanden. Ruht euch beide aus und wir sehen uns dann in vier Tagen. Lasst euch bis dahin nicht abstechen oder allgemein umbringen, haben wir uns verstanden?"
Grinsend nicke ich.
„Verstanden, Mama, wir werden auf uns aufpassen, bis dann."
Mit einer letzten Handbewegung verabschieden wir uns von Yomo und setzen den Weg fort. Schweigsam gehen wir nebeneinander her, bis wir endlich bei mir zuhause ankommen. Da ich keinen Aufzug habe, müssen wir Wohl oder Übel die Treppe nehmen, was nebenbei gesagt kein großer Spaß ist, sodass wir lange Zeit brauchen, um überhaupt in meine Wohnung zu gelangen.
„Sehr schick hier", kommentiert Jack, als wir hereintreten.
Lachend verdrehe ich meine Augen, ehe ich den Verletzten loslasse und er nun alleine zu meinem Sofa humpelt, wo er sich fallen lässt.
„Ich bringe dir ein Kissen und eine Decke, du kannst gerne auf dem Sofa schlafen, wenn du willst. Wie ich sehe hast du es dir schon bequem gemacht, deswegen vermute ich mal, dass du heute nicht mehr duschen wirst. Ich lege dir ein Handtuch beiseite, damit du dich waschen kannst, ja? Frische Verbände werde ich dir ebenfalls rauslegen. Essen und Trinken findest du ansonsten im Kühlschrank."
Ich beuge mich über ihn, wobei ich mich auf die Sofalehne lege. Jack liegt seelenruhig da und schaut mich breit grinsend an.
„Sehr gastfreundschaftlich von dir, danke, meine Liebe."
Und wieder nähert er sich mir und drückt einen kleinen Kuss auf meine Lippen, was mich mal wieder überfordert und überrascht. Als er sich wieder entfernt starre ich ihn bloß verblüfft an, während er immer noch schmunzelnd daliegt.
„Gute Nacht, Caylin."

Two Identities [Joker FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt