Mein wahrer Gentleman?!

Alte Freunde

„Hast du noch Kontakt zu deinen alten Freunden hier aus Kanada?", durchbrach Lucas die Stille.

Wir haben mein Zimmer verlassen, nachdem Lucas es genau unter die Lupe genommen hatte. Jetzt sitzen wir vor dem Haus auf der alten Bank und ich knipse ab und an ein paar Bilder. Meine Kamera konnte ich nicht einfach in meinem Zimmer liegen lassen. Irgendwie musste ich sie mitnehmen. Wenn ich ehrlich sein soll, dann habe ich das Fotografieren doch sehr vermisst. Dieses Gefühl, wenn man den Auslöser betätigt und man genau weiß, dass man ein wunderschönes Motiv festgehalten hat, ist großartig.

Leider musste ich dennoch im Laufe des Erwachsenwerdens feststellen, dass man Momente vielleicht mit der Kamera festhalten kann, doch die Verbundenheit zu einer Person in diesem Moment, kann man leider nicht festhalten.

Als ich die Fotos von meinen alten Freunden in meinem Zimmer sah, verspürte ich ein bisschen Wehmut. Irgendwie vermisse ich diese Zeit doch ein bisschen. Es ist manchmal wirklich traurig, wie man sich so aus den Augen verlieren kann. Doch meistens kann man nichts dagegen machen. Wir verändern uns alle im Laufe der Zeit und es entwickeln sich neue Interessen. Man lernt neue Leute kennen und dabei vergisst man leider auch seine alten Freunde. Möglicherweise liegt es daran, weil man sich schon sein ganzes Leben kennt. Man konnte sich immer gegenseitig auf den anderen verlassen. Doch plötzlich ist diese Vertrautheit nur noch in geringen Maßen vorhanden und das Untereinander wird schwieriger. Vielleicht kennt man sich schon zu gut und man ist möglicherweise der Meinung, dass sich alles wieder einspielt. Das es nur eine Phase ist und dass in zwei drei Wochen wieder alles so wie früher sein wird. Leider stellt man möglicherweise fest, dass es doch nicht so einfach ist, wie man es sich vorgestellt hat. Plötzlich kennt man seine beste Freundin oder seinen besten Freund nur noch oberflächlich. Man weiß selbst nicht, was in ihrem oder seinem eigenen Leben momentan vor sich geht. Wenn du den Anschluss verpasst hast und du noch kaum eine Möglichkeit findest, wieder in das Leben von deiner besten Freundin oder deinem besten Freund hineinzufinden, hast du leider keine sehr große Chance darauf, die Freundschaft und enge Verbundenheit zu retten oder wiederherzustellen.

Es klingt vielleicht sehr hart, aber manchmal ist es auch notwendig. Denn dadurch lernt man neue Leute kennen oder man kommt mit den Personen besser klar, mit denen man vorher noch nicht so viel zu tun hatte. Plötzlich merkt man selbst, dass es vielleicht gar nicht so schlecht ist, neue Bekanntschaften zu knüpfen und Freundschaften mit Personen zu schließen, die man total falsch eingeschätzt hat. Es kann sehr schmerzhaft sein, die besten Freunde zu verlieren. Doch leider entwickeln wir uns alle weiter und können das Erwachsenwerden nicht stoppen. Viele gute Freunde kommen in Vergessenheit und was bleibt sind manchmal nur alte Fotos, mit vielen schönen, aber vielleicht auch traurigen Momenten verbunden. Doch die Erinnerungen an diese Zeit vergisst man nicht so schnell.
An schmerzhafte Momente möchte man sich nur ungern erinnern und verdrängt diese viel lieber. Ganz im Gegenteil zu den glücklichen Momenten. Diese möchte man am liebsten niemals vergessen und immer als Erinnerung bewahren. Leider vergisst der Mensch schmerzhafte Momente viel langsamer, als schöne.

Aus diesem Grund habe ich immer versucht, so viele Momente wie nur möglich festzuhalten, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Ob es schöne oder traurige sind, liegt im Auge des Betrachters. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass jeder Moment zu unserem Leben dazu gehört und uns bei der Entwicklung unterstützt hat. Wenn ich so darüber nachdenke, dann wäre ich möglicherweise nie nach London gezogen, wenn ich ein viel engeres Verhältnis zu meinen besten Freunden gehabt hätte. Doch während dem Studium merkte ich, dass ich kaum noch ein richtiges Gespräch mit meiner besten Freundin führen konnte, was uns beide interessiert hat. Irgendwie war ich mir nie so sicher, ob ich meiner besten Freundin alles erzählen konnte. Früher war das nicht so.

Jetzt bin ich aber glücklich, wie sich alles entwickelt hat. Möglicherweise wäre ich sonst nicht nach London gezogen und dann wäre mir nie Lucas über den Weg gelaufen oder ich hätte Liv nicht als Nachbarin bekommen. Auch Rose hätte ich niemals getroffen und der Buchladen, welcher ein absoluter Traum ist, hätte ich niemals betreten.