Als Gentleman versagt

99 11 80
                                    

           

Ich bin nun schon wieder auf dem Weg zu Lucas. Er hat mir geschrieben, dass er anscheinend wieder in seine Wohnung gefunden hat, und ob ich nicht noch vorbei kommen möchte, weil wir uns mittags nicht gesehen haben. Ich frage mich nur, woran das wohl lag. Ich bin immer noch enttäuscht von meinem Freund und auch sauer. Dennoch bin ich auf dem Weg zu ihm, weil ich seine Erklärung hören möchte, falls er überhaupt eine hat. Außerdem interessiert es mich auch brennend, was zwischen ihm und seiner Verehrerin lief. Wenigstens das sollte mir Lucas erklären. Womöglich hat er eine plausible Antwort und bereitet meinen Vermutungen ein Ende und bestätigt mir, dass ich mir keine Sorgen machen muss. Aber wenn ich ehrlich zu mir bin, dann glaube ich das selbst noch nicht einmal. Zu große Hoffnungen sollte ich mir nicht machen, und die habe ich auch nicht. Wie sie ihn angesehen hat, war mehr als genug. Tanja möchte noch etwas von Lucas und ich bin mir sicher, dass sie das um jeden Preis durchsetzen möchte, koste es, was es wolle.

Ich stieg nur langsam die Stufen im Treppenhaus hinauf und atmete vor der Tür nochmals tief ein und wieder aus, um meine Nerven etwas zu beruhigen. Ich nahm heute nicht den Schlüssel, sondern klingelte lieber. Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen und sprach mir selbst Mut zu, dass alles gut gehen würde. Ich hörte Schritte und öffnete wieder meine Augen, Lucas öffnete die Tür und grinste mich an.

„Hey Prinzessin. Komm rein", Lucas gab mir einen Kuss und ließ mich in seine Wohnung. Von einem schlechten Gewissen war weit und breit keine Spur.

Ich schüttelte leicht den Kopf und war doch schon jetzt enttäuscht von ihm. Ich habe angenommen, dass er wenigstens ein paar Schuldgefühle hätte, doch da lag ich falsch. Lucas hat es womöglich gar nicht bemerkt, wie enttäuscht ich in dem Moment von ihm war, als er mich einfach so stehen ließ.

Meine Jacke hing ich an einen Haken, meine Tasche stellte ich auf den Boden ab und folgte Lucas in sein Wohnzimmer. Dort war sein ganzer Esstisch voller Unterlagen und sein Laptop stand aufgeklappt daneben. Er arbeitet immer noch.

„Lucas, bist du etwa immer noch am Arbeiten?", fragte ich ihn bedrückt und sah überall nur seine ganzen Papiere,

„Dauert nicht lang. Ich muss nur noch eine Mail schreiben. Setzt dich hin Ally, möchtest du etwas trinken?"

„Nein danke", antwortete ich ihm und setzte mich an den Tisch.

Mein Freund nahm gegenüber von mir seinen ursprünglichen Platz ein und arbeitete weiter an seinem Laptop. Still beobachte ich ihn für ein paar Minuten, wie er hektisch auf der Tastatur tippte und ab und an seine Unterlagen korrigierte. Ich betrachtete sein Gesicht. Lucas wirkt gestresst, müde und ausgelaugt. So kann das wirklich nicht weiter gehen. Das macht mich selbst schon ganz fertig.

„Lucas, du solltest Schluss machen. Den Rest kannst du auch morgen noch erledigen. Du bist total übermüdet, ausgelaugt, du brauchst Ruhe!", versuchte ich ihm sanft, aber dennoch überzeugend zu erklären und schob meine Enttäuschung und den Ärger zur Seite. Lucas sah von seinem Laptop auf und sah mich stirnrunzelnd an.

„Ich kann das nicht auf morgen verschieben. Die Unterlagen müssen noch heute Abend raus geschickt werden. Es ist extrem wichtig. Ich kann jetzt keine Pause machen, die wäre nur überflüssig und verschwendete Zeit, die ich aber brauche. Tanja wartet auf meine Mail. Wir müssen noch so viel erledigen und die Zeit rast dahin. Vielleicht kannst du das nicht so ganz nachvollziehen, aber es geht hier um sehr viel. Der Verlag hat momentan Vorrang", antwortete mir Lucas und sah mir dabei nicht mal in die Augen, sondern wieder auf seinen Bildschirm. Ich verfluche dieses Ding wirklich und so langsam bin ich auch am Ende meines Geduldsfadens gelandet.

Mein wahrer Gentleman?!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt