55.

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Julien's Sicht:
Die Sirene wurde immer lauter, doch ich konnte sie kaum mehr hören.
Ich fühlte mich wie taub und hatte einen Tinnitus im Ohr, der alles übertönte. Ich sah auf Dima, neben dem ich kniete und wusste nicht mehr weiter.
Mittlerweile zitterte ich so heftig, dass ich zu unfähig war, auch nur irgendetwas zu tun.
"Ich ... Dima ich liebe dich doch.", sagte ich kaum hörbar und wartete darauf, dass er mich ansah und etwas erwiderte. Irgendetwas. Eine Beleidigung, ein Lächeln oder nur ein Blick. Alles hätte gereicht.

Doch sein Gesicht war bleich und wie ein roter Faden zog sich von der aufgeplatzten Wunde eine Linie von Blut über seine Schläfe bis hinab ins Gras.
Seine Augen waren noch immer geschlossen, so als würde er nur schlafen.
Eine Träne rollte über meine Wange, doch ich gab keinerlei Geräusche mehr von mir.

Von einer auf die nächste Sekunde wurde ich von ihm weggezogen. Die Rettungskräfte hatten endlich ihren Weg zu uns gefunden und versuchten nun mit allen Möglichkeiten und Mühen Dima zu reanimieren.

Einer der Helfer stellte sich nun direkt vor mich und versuchte meine Aufmerksamkeit zu bekommen, doch ich konnte nicht anders, als zuzusehen, wie drei weitere Personen sich nun meinem Freund annahmen, da ich es nicht mehr konnte.

"Hallo? Sind sie Julien? Julien Sewering?", fragte der Helfer mich nun und winkte vor meinem Gesicht.
Langsam aber sicher kehrte ich ins Hier und Jetzt zurück und fokussierte meinen Blick auf den Typen vor mir, der nicht allzu älter zu sein schien.
Ich antwortete nicht, sondern nickte einfach.
"Wir übernehmen ab hier. Keine Sorge, wir wurden über Ihren Anruf informiert und werden alles tun, um Ihren Kumpel wieder auf die Beine zu bringen. Alles klar?"
Wieder nickte ich nur. Ich konnte kein einziges Wort herausbringen.

Damit schien der Helfer sich zufrieden zu geben. "Gut. Ist das Ihr Hund?"
Wieder ein Nicken meinerseits.
"Sie sollten ihn anleinen und versuchen zu beruhigen. Geht das?"
Ich nickte erneut, bevor ich mit schwacher Stimme Mika zu mir rief. Sie war schon immer ein guter Hund gewesen und reagierte auch sofort. Sie kam auf mich zu und ich gab ihr zu verstehen, dass sie sich neben mich setzen sollte. Einige wenige Handzeichen und sie tat, wie ich es ihr beigebracht hatte. Natürlich war sie noch immer unruhig, doch auch von mir konnte man nun nichts anderes mehr behaupten, da mein Verstand nun wieder einsetzte.

Ich hatte Dima nicht davon abgehalten zu springen. Ich war an allem Schuld. Ich hatte ihn nicht schnell genug im Wasser gefunden. Wegen mir atmete er nun nicht mehr.
Innerlich mischten sich Wut, Frustration und Trauer, was der Helfer nun mit aller Kraft abbekam.

"Steh' doch nicht bei mir rum! Ihr seid doch ausgebildet, helft ihm! Verdammt nochmal!" Ich stand nun auf und schüttelte die Hand des Helfers ab, der mir aufhelfen wollte.
"Er atmet nicht mehr! Wieso atmet er nicht mehr?!", rief ich verzweifelt aus und wollte wieder zu Dima laufen, um den die drei weiteren Helfer standen und ihn reanimierten.

Der Helfer, der sich mir widmete, kam nun wieder auf mich zu. "Sie müssen sich beruhigen. Wir schaffen das schon. Ihr Kumpel wird das überleben.", versuchte er mir nun gut beizureden, doch das machte alles nur noch schlimmer.
Ich wollte wieder zu ihm und behilflich sein, schließlich hatte ich dazu beigetragen.
Ich merkte gar nicht, wie mir wieder Tränen über die Wangen liefen, als der Helfer mich zurück hielt.

In diesem Moment wurde eine Trage geholt, auf die sie Dima legten und in den Krankenwagen verfrachteten.
"Wo wird er hingebracht?! Lasst mich mit!"

"Schon gut! Schon gut! Hören Sie, wir haben strenge Richtlinien, wir dürfen keine Hunde mitnehmen. Sie müssen mit Ihrem eigenen Wagen zum Krankenhaus fahren. Ansonsten wären sie nur eine Behinderung, die Ihrem Freund auch nicht helfen wird.", sagte der Helfer nun lauter und noch nie war ich verzweifelter, als in diesem Moment.
"Ihr könnt mich doch jetzt nicht hier lassen! Ich will bei ihm bleiben! Lasst mich mit!", schrie ich den Kerl an, der nur helfen wollte, und ging einen Schritt auf ihn zu, den er beschwichtigend ausglich.

"Ich bitte Sie. Wir tun alles, um Ihren ..."
"Dimitri! Er heißt Dimitri Chpakov!", unterbrach ich ihn und hatte bereits sein Shirt in der Hand, während ich in der andere die Leine hatte, an der Mika angeleint war.
Doch meine Mühen waren vergeblich. Der Helfer schüttelte den Kopf und wurde von seinen Kollegen gerufen.
"Tut mir leid. Sie sollten lieber schnell nach Hause und mit Ihrem eigenen Wagen in's Krankenhaus fahren. Mehr kann ich für Sie leider nicht tun."

Mit diesen Worten rannte er zurück zu seinen Kollegen. Noch einmal sah ich Dima auf der Pritsche liegen und konnte noch immer nicht begreifen, was gerade passierte. Sie hatten ihn bereits an mehrere Schläuche und Kabel gehängt, von denen ich nichts verstand, bevor die Türe zugemacht wurde und mir die Sicht genommen wurde.

Natürlich ging es um jede Sekunde, doch ich konnte es nicht fassen, dass ich nicht bei ihm bleiben durfte.

Mit Sirenen und Blaulicht angeschalten, fuhr der Krankenwagen so schnell davon, wie er gekommen war und alles wurde still. So unangenehm still, was mir Angst machte.
Meine Knie gaben nach und ich sackte zusammen, sodass Mika neben mir begann mich anzustupsen und einmal zu bellen.

Ich wusste nicht einmal, ob er noch am Leben war. Ich wusste nicht, ob er bereits wieder atmete.
Ich schaute auf sein Shirt in meinen Händen. Nicht einmal das hatten sie mitgenommen. War es wirklich so lebensgefährlich gewesen, dass sie sein Shirt nicht mitnehmen konnten?
Panische Angst vor meinen eigenen Gedanken und Vermutungen kam in mir auf.
Ich raufte mir die Haare und musste das Gefühl unterdrücken, einfach loszuschreien.
Doch ich durfte nun nicht aufgeben.
Ich konnte es nicht. Ich musste zurück an meine Wohnung und das so schnell ich nur konnte.

Mit wackeligen Beinen stand ich wieder auf und sah auf Mika hinunter, die schon unruhig hin und her tänzelte. Sie schien selbst zu begreifen, was gerade auf dem Spiel stand.

Ich nahm also all meine mir übrig gebliebene Willenskraft zusammen, um mit Mika den gesamten Weg zurück zu rennen und ins Krankenhaus zu fahren.

Freundschaft Plus  [Dima x Julien FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt