Kapitel 5 - London

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Ich bekam das Büro als Zimmer zugeteilt, in dem eine Schlafcouch stand. Am Abend richtete mir Mum das Bett her und als ich mich um zirka Mitternacht hinlegte, wusste ich bereits, dass ich morgen Rückenschmerzen haben würde. Die Couch war hart wie ein Stein. Unglaublich, wie man sowas als Schlafcouch verkaufen konnte! „So ein verdammter Mist! Und da muss ich eine Woche drauf schlafen?“, murmelte ich wütend und wälzte mich solange herum, bis ich irgendwann eine halbwegs angenehme Schlafposition fand, die eventuell nicht dazu führte, dass ich mich morgen fühlte, als wäre ich tausend Jahre alt.

Als ich am nächsten Morgen wach wurde, wunderte ich mich zuerst, wo ich war. Vor mir ein Schreibtisch mit Computer, Drucker, Telefon, dann noch ein riesiger Kasten neben mir und ich auf einer steinharten Couch. Ich brauchte eine ganze Weile, bis mir wieder einfiel, dass ich bei Mum war. Gähnend kämpfte ich mich auf und zog mir ein T-Shirt und eine Jogginghose an, bevor ich in die Küche ging. Außer mir war niemand in der Wohnung und in der Küche entdeckte ich einen Zettel auf dem „Sind einkaufen, nimm dir was du willst! Bussi Mum“ stand. „Ganz toll, ich kenn mich ja überhaupt nicht aus!“, murmelte ich und legte den Zettel weg. Nach einem kurzen Blick durch die Küche ging ich zum Kühlschrank und fand dort einen Saft. Ich suchte mir außerdem noch irgendetwas Essbares zusammen, weil ich schon wieder halb am Sterben war. Vermutlich waren Mum und Chris einkaufen, damit sie mich am Leben erhalten konnten, so viel wie ich futterte. Während ich aß, schnappte ich mir mein Handy und schaute kurz auf Facebook, ob irgendeiner der Jungs meine Anfrage angenommen hatte. Allerdings hatten sie mich alle abgelehnt, alle, bis auf Liam. Eigentlich hätte ich Liam als den Letzten eingeschätzt, der einfach so wildfremde Menschen annehmen würde, aber ich war froh, dass mich nicht alle abgelehnt hatten. So unsympathisch war ich auch wieder nicht… Liam war sogar gerade online und deshalb beschloss ich, ihm jetzt einfach mal etwas zu schreiben. Also schickte ich ihm ein kurzes „Hey, wie geht’s?“ und wartete darauf, dass er zurückschrieb.

Liam ließ sich so lange Zeit, bis ich mit meinem Frühstück fertig war und das, obwohl ich mir noch total viel nachgeholt hatte. Er schrieb mir ganz normal zurück, aber dann fragte er – natürlich – woher ich war. „Mullingar…das ist in Irland“, antwortete ich ihm.

Es dauerte eine Weile, dann kam Liams Antwort: „Das ist doch total weit weg! Wie kommst du denn auf mein Profil? :D“

„Lange Geschichte…“ Hoffentlich wollte er sie nicht hören, weil das wär’s dann. Liam war der Erste, den ich besuchen würde, weil er am Nahsten war. Wenn ich mich jetzt schon ein klein wenig über Facebook mit ihm anfreunden würde, könnte es sein, dass er nicht gleich glaubte, ich sei ein Mörder oder sowas. Wir schrieben über den ganzen Tag verteilt irgendwas umher und ich verstand mich schon über Facebook relativ gut mit ihm. Liam war eine Person, mit der man leicht umgehen konnte und er war zu allen immer nett und höflich. Irgendwann gegen Mittag kamen Mum und Chris wieder und – siehe da – sie hatten was zu essen mitgenommen. Chris wurde von mir dazu verdonnert, mal wieder was zu kochen, weil ich – siehe da – schon wieder Hunger hatte. Ich glaube, Chris war etwas verunsichert, was mein Essverhalten betraf, aber für Mum war das ganz normal. Ich hatte schon als Kind den ganzen Tag nur gegessen, anstatt irgendwas anderes zu tun. Und ich hab auch versucht, alles zu essen, was mir in die Quere kam (außer andere Lebewesen).

Am Nachmittag gingen wir irgendwo in London spazieren, weil ich die Stadt echt schön fand. Mum schleppte mich in alle möglichen Geschäfte, weil sie der Meinung war, dass ich „nichts gescheites zum Anziehen hatte“. Eigentlich hätte ich mich total dagegen gesträubt, weil ich doch schon 19 Jahre alt war, aber da sie alles zahlte, sagte ich außer „das ist doch gar nicht nötig Mum!“ nichts dagegen. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir nach Hause und mir taten meine Füße vom Gehen unglaublich weh.

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