Kapitel 1

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»Allie! Verdammt, wie lange brauchst du noch? Wir warten auf dich!«, brüllt mein Vater die Treppe hinauf. Es ist wieder eine dieser Wohltätigkeitsveranstaltungen bei der es wichtig ist, dass man uns geschlossen als Familie auftreten sieht. Himmel – selbst meine Gedanken hören sich schon an wie mein Vater.

»Eine Sekunde, Dad!«, rufe ich fröhlich hinunter. Alles andere als eine fröhliche Stimmung dudelt mein Vater nämlich nicht. Und auch sonst duldet er nicht viel.

Ich meine, ich bin achtzehn Jahre alt – in einem Jahr habe ich die High School abgeschlossen und ich habe noch nie so richtig gegen die Regeln verstoßen. Nicht das ich das anstreben würde, aber viele in meinem Alter haben schon so einiges ausgetestet. Mein Vater hat für mich einige Regeln festgehalten:

1. Allie geht nicht aus und schon gar nicht auf eine Party

2. Allie engagiert sich in der Schule und nimmt ihre Stellung in der Öffentlichkeit ernst

3. Allie nimmt keine Drogen und trinkt keinen Alkohol

4. Allie darf keinen Freund haben, der nicht zur öffentlichen Stellung passt

5. Allie achtet auf eine ausgewogene Ernährung.

Und ich befolge sie, denn ich bin ein braves Mädchen. Der Traum aller Väter. Gut in der Schule, pünktlich zu Hause und strebe nach einer großartigen Karriere. Nein – auch das ist wieder nicht ganz richtig. Meine Eltern streben nach meiner großartigen Karriere. Daher ist es wichtig, mich früh genug in die Gesellschaft einzuführen.

Bevor ich dem Wunsch meines Vaters nachkomme, klemme ich noch schnell eine widerspenstige Strähne hinter mein Ohr und überprüfe mein Spiegelbild. Meine dunkelblonden langen Haare fallen mir über den Rücken und sind hübsch zurecht gemacht. Natürlich war für diesen Anlass ein Stylisten-Team hier und hat mich aufgemotzt. Mein Wunsch natürlich zu bleiben haben sie immerhin wahrgenommen. Lediglich etwas Mascara betont meine Wimpern. Ich trage ein langes silbernes Kleid von Christian Dior, darauf hat meine Mutter bestanden und schlichte silberne Ballerina. Dieses Leben hat auch gut Seiten. Zum Beispiel meine Klamotten.

Als ich die Treppe hinunter schreite, erwarten mich meine Eltern bereits und strahlen mich an. »Allie, du siehst wunderschön aus!«, jubelt meine Mutter.

»Danke, Mom!«

»Lasst uns los. Die warten nicht ewig auf uns. Auf geht's die Damen«, unterbricht uns mein Vater.

»Dad...«, knuffe ich ihn in die Seite. »Du bist der Senator des Bundesstaates New York. Sicher werden Sie auf uns warten«, scherze ich und bin mir nicht sicher, ob ich diesen Witz selbst überhaupt lustig finde.

Unsere Limousine erreicht die Location des heutigen Abends und ich kann schon erstes Blitzlichtgewitter vernehmen. ICH HASSE ES! Weder stehe ich gerne im Mittelpunkt, noch lasse ich mich gerne fotografieren. Und ich könnte mir wesentlich schönere Dinge vorstellen, die man auf einem Freitagabend unternehmen könnte. Noch ehe ich weiter über meine missliche Lage schmollen kann, ergreift mein Dad meine Hand und zieht mich aus dem Auto. Natürlich posieren wir als tolle Familie für die Presse, ehe wir im Gebäude – oder sollte ich besser „Prunksaal" sagen – verschwinden. Das wäre für's Erste geschafft. Ich spüre förmlich wie sich die Anspannung der letzten Minuten aus meinen Schulter zurückzieht und atme erleichtert aus.

Meine Mom ist die entspannteste Frau, die ich kenne. Im Gegensatz zu mir ist sie die Ruhe selbst und genießt den Rummel. Sie steht gerne an Dad's Seite im Rampenlicht und geht auch liebend gern auf diese Veranstaltungen.

»Ich hole mir eben was zu trinken, okay?«, gebe ich meiner Familie kurz Bescheid. Mein älterer Bruder Liam hatte heute mehr Glück. Er ist bereits auf dem College und konnte einen wichtigen Termin vortäuschen, den es dort natürlich nicht gibt. Liam ist einundzwanzig Jahre alt und besucht die NYU, die Universität von New York. Er studiert Recht und meine Familie ist wahnsinnig stolz auf ihn. Besonders auf sein Stipendium. Nicht, dass wir dies wegen des Geldes nötig hätten, aber er hat viel gelernt und wurde dafür belohnt. Natürlich ist auch Liam von Beruf Sohn, was also mit Sicherheit bei der Vergabe der Studienplätze eine große Rolle gespielt hat.

Ich bestelle mir einen alkoholfreien Sekt und kehre zu meinen Eltern zurück, die bereits in ein Gespräch vertieft sind.

»Allie, komm her. Ich möchte dir jemanden vorstellen.«

Ich trete wieder näher an meine Eltern heran und beobachte den älteren Herren. Er ist etwa in dem Alter meines Vaters – so um die fünfzig. Jedoch sieht er für sein Alter nicht mehr ganz so charmant aus wie mein Dad. Viele sagen mein Dad würde George Clooney ähneln – ich würde sagen, da ist er zumindest was seinen Bauch angeht, nicht ganz der George.

»Guten Tag, Sir. Ich bin Allie McKenzie«, stelle ich mich höflich vor.

»Schön Sie kennenzulernen. Ich bin der Vater von Taylor Daniels. Ihr kennt euch aus der Schule, oder?«

»Oh. Ja. Nett Sie kennenzulernen Mr. Daniels«

»Wir dachten du und Taylor könntet dieses Jahr gemeinsam zum Herbstball gehen. Was meinst du?«, schmeißt mein Vater in den Raum.

Ich hoffe er merkt es mir nicht an, aber ich bekomme einen innerlichen Schreikrampf. Kann doch nicht sein ernst sein, mich hier so bloß zu stellen! Ich habe nichts für die Jungs von der Windsor High übrig. Alle dort sind genau wie ich an die elterlichen Fesseln gebunden. Ausgehen ist bei mir eh tabu, deswegen wundert mich das Angebot stark. Ich meine Taylor ist kein übler Typ, er ist Kapitän des Lacrosse Teams und ist Jahrgangsprecher. Alle mögen ihn, aber zum Ball muss ich eigentlich nicht mit ihm.

»Klar, wieso denn nicht? Wenn Taylor nichts dagegen hat«, strahle ich meinen Dad und Mr. Daniels an. »Dad, Mr. Daniels würden Sie mich bitte entschuldigen?«

»Hat mich gefreut dich kennenzulernen, Allie«, entgegnet Mr. Daniels höflich. Schnell drehe ich mich um und flüchte in Richtung Toiletten – glaube ich zumindest.

Zwei Stunden später habe ich den förmlichen Zwang überstanden und wir erreichen unser zu Hause auf der Upper East Side von New York City. Die Limousine hält vor dem Eingang des Hauses und wir werden freundlich von unserer besten rechten Hand in Empfang genommen.

»Familie McKenzie, ich hoffe Sie konnten einen tollen Abend genießen«, nickt uns Mr. Donovan zu.

»Danke, ja.«, sagt meine Mom höflich und wir steigen in den Fahrstuhl, der uns in unser Penthouse bringt. Höflich, unauffällig und reich – genau mit diesen Adjektiven würde ich meine Familie beschreiben. Ach und kühl würde vielleicht auch noch ganz gut passen. Ein herzliches Miteinander gibt es nicht. Ich meine, jedes Kind war mit seinen Eltern doch früher im Zoo oder mal im Kino? Ich kann mich nicht daran erinnern je so etwas mit ihnen unternommen zu haben.

»Ich bin platt... Ich werde ins Bett gehen. Morgen wird ein anstrengender Tag.«, seufze ich.

»In Ordnung, Spatz«, antwortet mein Dad und küsst mich auf den Scheitel.

Nachdenklich schlurfe ich die Treppe in die obere Etage, auf der sich mein Zimmer befindet. Viele Mädchen würden mich für dieses Leben sicher beneiden, aber ich spüre jeden Tag auf's Neue wie wahnsinnig unzufrieden ich damit bin. Immer die strengen Regeln zu befolgen und darauf zu achten wie man vor die Tür geht. Ich glaube, ich habe das Haus noch niemals in Jogginghose verlassen. Sowas würde es bei mir nicht geben.

Ich bleibe vor meiner Schlafzimmertür stehen und spüre, dass eine zarte Träne meine Wange hinunter rinnt.   

Kings of New YorkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt