Zur Abwechslung mache ich mir dieses Mal nicht erst die Mühe, mein Motorrad vorsorglich wenige Straßen entfernt zu parken. Stattdessen lasse ich es direkt vor dem mehrstöckigen Gebäude stehen, dass mir schon von außen unangenehm bekannt vor kommt. Ich frage mich, wie oft ich in den vergangen zwei Jahren hier gewesen sein muss, um diese Art von Vertrauen zu einem Ort aufzubauen. Ich kann mich nicht mehr an die genaue Anzahl erinnnern, stelle jetzt aber zufrieden fest, dass der schwarze 2010 Camaro - das Auto von Derek - vor dem Wohnhaus geparkt ist. Scheinbar habe ich gute Chancen ihn hier sofort anzutreffen.
Ich hänge meinen schwarzen Motorradhelm über den Lenker und richte meine Haarfrisur mit einem lockeren Durchstreichen. Anschließen setze ich mich in Bewegung und steuere die breite Eingangstüre an, die scheinbar noch immer nicht über ein Zahlenschloss verfügt. Stattdessen kann ich schon jetzt sehen, dass ein einfaches Ziehen reicht, um das Treppenhaus zu betreten. Jedoch hält ein Krächzen mich bereits fünf Meter davor davon ab. Genervt verdrehe ich die Augen und drehe mich zu dem schwarzen Raben um, der in dieser Sekunde elgant vor meinen Füßen landet. Sein schräggelegter Kopf und der leicht geöffnete Schnabel zeigen mir, dass er eine Frage hat und obwohl er in Vogelform nicht sprechen kann, weiß ich instinktiv was sein Problem ist.
„Warte hier," weise ich ihn also zurecht und schenke ihm ein genervtes Lächeln. Jedoch krächzt der Rabe erneut und macht mich somit darauf aufmerksam, dass er - oder besser gesagt mein Vater - nicht gerade damit einverstanden ist, mich allein nach oben zu schicken. Immerhin könnte ich einen weiteren Verbündungspartner ausmachen. „Dann flieg hoch. Oberstes Stockwerk. Dann kannst du durch das Fenster schauen," seufze ich jetzt und kann nicht anders, als noch ironischer und gereizter zu klingen als schon die ganze Zeit. In Sekunden wie diesen vermisse ich die Freiheit von mir als Einzelperson. Wie schön es früher war, allein durch die Straßen zu ziehen und ohne die ständige Beobachtung von Raben meinen Instinkten folgen.
Ich beobachte wie der Vogel sich jetzt vom Asphalt abstößt und sich elegant in die Luft erhebt. Er folgt meinem Befehl und gleitet mit kräftigen Flügelschlägen den Himmel herauf. Jedoch nehem ich mir nur wenige Sekunden Zeit um dem Vogel dabei zu beobachten, wie er meinem Vorschlag folgt, bevor ich mich von dem Parkplatz wegdrehe und mit schnellen Schritten die Eingangstüre ansteuere, die in diesem Moment geöffnet wird. Heraus tritt eine alte Frau, die mir freunderlichweise sogar die Türe offen hält. Zu mindestens solange bis sie mich wieder erkennt.
Sie zieht die weißen Augenbrauen zusammen und mustert ich finster. Während sie mich also scheinbar sofort wiedererkennt, brauche ich erneut weitere Sekunden bis ich ihr Gesicht zuordnen kann. Vor gut einem Jahr hatte ich sie hier auf dem Parkplatz fast über den Haufen gefahren. Ich hatte seit dem nichts mehr von ihr gehört und ich spiele mit dem fiesen Gedanken ihr erst eine freundliche Begrüßung und dann soetwas wie 'Oh sie leben ja auch noch' entgegen zu werfen. Doch noch bevor ich meinen Mund öffnen kann, gleitet der Frau die Eingangstüre aus den Fingern, sodass sie mit einem Klicken zurück ins Schloss fällt. Anschließend drängelt sie sich an mir vorbei und widmet mich keines weiteren Blickes. Ich muss meine zurechtgelegten Worte herunterschlucken - Schade eigentlich.
Mit einem kurzen Kopfschütteln berufe ich mich wieder zur Konzentration und anstatt der alten Dame noch mehr meiner wertvollen Aufmerksamkeit zu schenken ziehe ich einmal kurz an dem Türknauf, sodass die Türe schwungoll nach außen gleitet. Ich drücke mich an ihr vorbei in das Treppenhaus, das im Gegensatz zu der kalten Morgenluft angenehm warm ist. Automatisch schweift mein Blick zu den U-förmigen Treppen, anstatt zuerst den Aufzug und seine Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Denn irgendein Gefühl sagt mir bereits, dass sich auch im letzten Jahr nichts an dem 'Außer Betrieb' Schild geändert hat. Deshalb wende ich mich direkt der Treppe zu und ohne zu Zögern schlendere ich die Stufen hinauf. Dabei bemühe ich mich noch nicht einmal um ein schnelles Tempo.
Trotzdem erreiche das oberste Stockwerk verhältnismäßig schnell. Immerhin gerät weder meine Atmung noch mein Herz- oder Pulsschlag groß außer Rythmus, weshalb mir selbst das Treppenlaufen keine großen Schwirigkeiten bescheert. Deshalb stehe ich jetzt vor der breiten Schiebetüre, die der direkte Weg in das Loft meines Onkels ist und die ich nicht benutzen kann. Immerhin würde er es sofort bemerken, wenn ich eine der Türen zur Seite schiebe und das Loft betrete. Stattdessen muss ich möglichst schnell einen anderen Weg hinein finden.
Mein Blick schweift blitzschnell und mit gebündelter Aufmerksamkeit durch den kurzen Gang, der auf den ersten Blick jedoch keinen anderen Eingang bietet, als die Schiebetüre. Diese scheint noch nicht einmal verschlossen und wirkt dadurch umso verlokernder. Ich stelle mir vor, was für einen coolen Eintritt ich in diesem Moment hinlegen könnte. Die verlorene Nichte. Wie ich meinen Vater für seine Geheimniskrämerei hasse. Im Gegensatz zu mir ist er eben kein großer Fan von großartigen und möglichst spektakulären Auftritten.
Plötzlich gleitet vor mir die Türe zur Seite und panisch werfe ich einen suchenden Blick von Links nach Rechts. Jedoch bin ich nicht annähernd schnell genug um zu reagieren und mich rechtzeitig zu verstecken. Somit bleibe ich mehr oder weniger ertappt vor der Türe stehen und starre wie paraylisert in das Loft hinein. Dieses scheint sich in dem letzten Jahr kein bisschen veränder zu haben. Dafür steht in diesem Moment Derek wenige Meter von mir entfernt im Raum und starrt mich mit einem wissenden Blick an.
„Nur zu. Komm rein Raven," sagt er jetzt locker und mir wird klar, dass er nicht nur durch Zufall die Türe geöffnet hat. Er muss gewusst haben, dass ich da bin. Ich schüttele diesen nebensächlichen Gedanken ab und zwinge meine Muskeln dazu, sich in Bewegung zu setzen. Im ersten Moment wirken meine Schritte mechanisch. Dann jedoch gewinne ich innerhalb Sekunden mein altbekanntes Selbstvertrauen zurück und schreite mit hoch erhobenen Kopf in das Loft. Ich bleibe erst wenige Meter von meinem Onkel entfernt stehen. Sekundenlang schweigen wir beide, während unsere beiden Blicke über den Körper des jeweils anderen gleiten.
Mir fällt auf, dass auch Derek sich kaum verändert hat. Selbst das Alter scheint man ihm noch immer nicht so deutlich anzusehen, wie von mir erwartet.
„Woher wusstest du es?" frage ich jetzt mit einer festen Stimme und riskiere einen Blick an Derek vorbei, in Richtung des großen Panoramafensters. Hinter diesem kann ich den schwarzen Raben erahnen, der mich mit einem festen Blick anvisiert hat. Ich hoffe, dass er den Unterschied zwischen dem was gerade passiert und zwischen dem, nach was es von außen aussehen muss, unterscheiden kann. Ansonsten könnte es Probleme mit meinem Vater geben. „Ich habe das ein oder andere Alarmsystem installiert," er zuckt leicht mit den Schultern und dreht sich von mir weg, „Außerdem haben mich Scott und Peter davor gewarnt, dass du wieder in der Stadt bist!" Während er mit mir spricht, läuft er geradewegs auf das Fenster zu. Im ersten Moment vermute - hoffe - ich, dass er den Vogel hinter dem Fenster bemerkt. Dann jedoch enttäuscht er mich, in dem er einmal um den Schreibtisch herumläuft und hinter ihm mit dem Rücken zum Fenster stehen bleibt. Seine Handflächen pressen sich auf die Tischplatte und locker stützt er sich darauf ab.
„Peter?" frage ich jetzt sofort interessiert nach und trete ebenfalls etwas mehr in den Raum hinein. Somit stehe ich in der Mitte des Zimmers und nur wenige Meter von Derek entfernt. Der dunkle Schreibtisch steht wie eine Barriere zwischen uns, während ich hinter meinem Onkel den dunklen Vogel erkenne. „Ja er war hier," bestätigt Derek mir jetzt meine unausgesprochene Frage und obwohl ich es unterdrücken möchte, kann ich das kleine Lächeln auf meinen Lippen nicht verhindern. Wie es scheint bin ich dem Mörder meiner Mutter wieder dicht auf den Fersen...und dieses Mal werde ich ihn nicht wieder davon kommen lassen. Dass schwöre ich mir selbst.
„Aber freue dich nicht zu früh," warnt Derek mich jetzt und sofort erlischt das Lächeln auf meinem Gesicht. Misstrauen macht sich in meinem Körper breit und noch bevor mein Onkel die nächsten Worte aussprechen kann, weiß ich schon, was sie ungefähr enthalten werden. Der gerade neu gefasste Mut erlischt und ich kann nicht anders, als nahezu enttäuscht seinen nächsten Worte zu lauschen: „In der Zwischenzeit ist er schon wieder untergetaucht und zu seiner eigenen Sicherheit, hat er niemanden erzählt wo!"
Wie ich mein Leben hasse.
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Silver Bullet [Teen Wolf FF]
Fanfiction'We don't see things as they are, we see things as we are' Noch immer in der Welt unterwegs mit meinem psychopathischen Vater, auf der Suche nach der nicht gerade weniger psychopathischen Zielperson. Wie das noch besser werden kann? Oh keine Ahnung...