15. Raven Hale

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Ich stelle mein Motorrad sichtgeschützt im Schatten des Nachbarhauses ab und achte darauf, dass es sich auch bei einem Blick aus der Luft heraus unauffällig in die dunkle Umgebung einfügt. Denn auch wenn ich mir zu 99% sicher bin, dass keinem mein nächtliches Rausschleichen aufgefallen und keiner mir zu McCalls Haus gefolgt ist, habe ich in dem vergangenen Jahr gelernt, dass es immer besser ist, auf Nummer sicher zu gehen. Vor allem dann, wenn man gegen Crowley agiert.

Ich fahre mir durch die Haare und wuschele sie  leicht durch, sodass sie natürlich über meine Schultern fallen und nicht länger der plattgedrückten Form meines Helms folgen. Dann atme ich die kühle Luft ein und schließe für wenige Sekunden die Augen. Die frische Nachtluft umhüllt mich und kriecht langsam durch den Stoff meiner Klamotten. Frieren tue ich jedoch nicht. Stattdessen fühle ich mich so frei wie schon lange nicht mehr. Zum ersten Mal seit einer langen Zeit fühle ich mich wieder wie Raven Hale.

Voller Tatendrang öffne ich meine Augenlieder und setze mich in Bewegung. Ich steuere das Einfamilienhaus der McCall Familie an. Überraschenderweise parkt nur das Auto von Melissa McCall und das grün-weiße Motorrad des Alphas selbst in der Einfahrt, auch wenn ich mich noch genau daran erinnere, bei der Herfahrt sowohl an Stiles Jeep als auch an Lydias Neuwagen vorbeigefahren zu sein. Eigentlich hätte ich von dem Rudel ein weniger vorausdenkenderes Handeln erwartet.

Die Lichter in McCalls Zimmer sind eingeschaltet und werfen ein trübes Licht auf das Dach und einen kleinen Schimmer auf die Einfahrt des Einfamilienhauses. Hinter der Scheibe kann ich jedoch keine Bewegungen erkennen. Ansonsten ist das Haus in schlafende Dunkelheit gehüllt, auch wenn ich aus dem geparkten Auto schließe, dass Scotts Mutter Melissa Zuhause ist und nicht etwa eine Nachtschicht im Krankenhaus einlegen muss. Ich frage mich, wie viele aus dem Rudel heute Abend tatsächlich gekommen sind, um mich zu treffen.

Ich steuere selbstbewusst die Eingangstüre an, die trotz Straßenbeleuchtung und dem Licht aus dem ersten Obergeschoss, in dämmrige Dunkelheit gehüllt ist. Ich frage mich, ob ich klingeln und damit riskieren soll, dass ich McCalls Mutter wecken könnte. Doch bevor ich eine Entscheidung treffen oder die Türe überhaupt erreichen kann, wird diese geöffnet. Dämmriges Licht fällt durch die Türöffnung und umhüllt beim Näherkommen auch mich. Ich kann eine dunkle Figur sehen, die im Türrahmen steht. Ich erkenne sie problemlos als Scott McCall und das nicht nur an seiner Frisur oder an seinen Klamotten.

„Du bist gekommen," ich bin noch wenige Schritte von der geöffneten Türe entfernt, antworten jedoch auf seine Feststellung: „Sieht ganz danach aus!" Ich erreiche die Türschwelle, bleibe jedoch vor ihr und dem Alpha stehen. Er lächelt mich leicht an und ich kann sehen, wie er darum ringt mich nicht in die Arme zu schließen. „Die anderen warten oben," informiert mich Scott jetzt und tritt im Türrahmen leicht zur Seite. Meinem Kopf scheint die Situation, die gesprochenen Worte, bekannt und ich scheine ein Dejà Vue zu erleben. Ich nicke als Registration und trete mit einem neutralen Gesichtsausdruck in das Haus ein, das so riecht und aussieht wie in meinen Erinnerungen.

Ich kann nicht glauben, dass sich scheinbar so wenig verändert hat seit meinem letzten Besuch. Selbst der Wäschekorb scheint mit derselben dreckigen Wäsche am Fuße der Treppe zu stehen. Ich atme tief durch, bevor ich mich zu Scott umdrehe, der in dieser Sekunde leise die Haustüre schließt. In dieser Sekunde kommt es mir unglaublich unhöflich vor, einfach die Treppe hochzulaufen und bereits in Scotts Zimmer zu verschwinden, auch wenn mich dieser Gedanke früher nie gestört hat.

„Hat dich jemand gesehen?" stellt mir der Alpha jetzt eine Frage, die er wahrscheinlich eher ausspricht um die peinliche Stille zwischen uns zu brechen, anstatt aus eigener Interesse heraus. Ich schüttele langsam den Kopf. „Ich bin auf Nummer sicher gegangen und habe alles überprüft," ich zucke bei meiner Erklärung leicht mit den Schultern, „selbst wenn mir jemand gefolgt ist, habe ich ihn auf dem Weg hier her abgehangen!" Ich habe keine Ahnung warum ich in dieser Sekunde so viel rede und mir die Mühe mache McCall die ganze Situation ausführlich zu erklären. Ein einfaches 'Nein' auf seine Frage hätte auch gereicht. Ich frage mich, was zur Hölle mit mir los ist.

„Okay lass uns hochgehen," sagt Scott McCall jetzt und macht eine kurze, einladende Bewegung in Richtung Treppe. Ich folge seiner Handbewegung, bevor ich mich zustimmend in Bewegung setze und folgsam die Stufen hinaufsteige. Dabei achte ich darauf, mich so selbstbewusst wie möglich zu bewegen. Scott ist dabei dicht hinter mir. Innerhalb weniger Sekunden stehen wir vor der geschlossenen Zimmertüre, hinter der ich leise Stimmen hören kann. Stimmen die mir sofort altbekannt in die Ohren fliegen und die sich in meinem Kopf sofort mit den Erinnerungen ihrer Besitzer verfestigen. Ich atme tief durch und ohne auf den Einsatz von McCall zu warten, lege ich meine Hand auf die kalte Türklinke und drücke sie selbstbewusst runter. Sofort öffnet sich die Türe und so leicht wie erwartet schwingt die Zimmertüre auf. Mit nur einem weiteren Schritt stehe ich in dem ordentlich aufgeräumten Jungenzimmer.

Alle starren mich an und nicht weniger neugierig starre ich zurück. Auf den ersten Blick sind tatsächlich alle aus dem Rudel da. Versammelt in dem Schlafzimmer des wahren Alphas Scott McCall. Doch bereits beim genaueren Hinschauen fällt mir auf, dass doch ein paar bekannte Gesichter aus der Sekte fehlen. Ich atme tief durch und bleibe wenige Meter von der Zimmertüre entfernt stehen, während Scott die Türe hinter uns wieder leise ins Schloss fallen lässt. Ich lasse meinen Blick -dieses Mal etwas langsamer - durch den Raum schweifen.

Corey und Mason stehen locker an die Wand links von mir gelehnt. Dabei stehen sie so dicht nebeneinander, dass sich ihre Hände fast berühren. Sie sind noch immer ein Paar - vermute ich zumindest. Direkt in der Zimmerecke, zwischen den beiden Jugendlichen und der inzwischen geschlossenen Zimmertüre, sitzt Liam Dunbar auf dem schwarzen Drehstuhl. Seine Haare sind in dem letzten Jahr länger geworden und ich kann nicht anders als über seine ungewohnt lange Mähne zu schmunzeln. Ansonsten scheint er sich jedoch nicht groß verändert zu haben. Er ist älter geworden und hat ein paar mehr Muskeln aufgebaut. Ansonsten sieht er jedoch noch immer wie das gleiche zahme Schoßhündchen aus, wie noch vor einem Jahr.

Mein Blick schweift weiter. Von Liam, über Corey und Mason hinweg zu dem Doppelbett in der Mitte des Zimmers, auf dem die rothaarige Banshee Lydia Martin sitzt. Auch sie scheint sich nicht groß verändert zu haben. Zu mindestens sagt mir das die Art und Weise ihrer Sitzhaltung, ihrer perfekt sitzenden Klamotten und das Selbstbewusstsein, dass sie wortlos ausstrahlt. Hinter ihr, zwischen Bett und Wand steht McCalls bester Freund Stiles Stilinski. Im Gegensatz zu Liam scheint er sich in keiner Weise verändert zu haben. Was mir jedoch sofort auffällt ist, dass Malia Hale - seine damalige Freundin - auf der anderen Seite des Raumes steht.

Sie blockiert die geschlossene Türe, die von dem Jungenzimmer in ein Badezimmer führt. Sie lehnt sich in dieser Sekunde locker an das weiße Holz und hat dabei die Arme vor der Brust verschränkt. Doch bevor ich sie genauer in Augenschein nehmen kann, fällt mir Isaac Lahey auf der neben ihr steht. Er hat sich locker auf Höhe des Fenster gegen die Wand gelehnt und drückt seinen Rücken somit gegen das geschlossene Fensterglas. Seine Haare scheinen in dem letzten Jahr - im Gegensatz zu Liam's - wenige Zentimeter kürzer geworden zu sein. Sonst scheint er jedoch ebenfalls noch immer der Alte.

Ich atme tief durch als mir erleichtert auffällt, dass sich in dem vergangenen Jahr doch nicht so viel verändert hat, wie von mir über lange Zeit vermutet.

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