Kapitel 20

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Jayden hielt den kleinen zerbrechlichen Körper seiner Schwester in seinen Armen. Ihr Kopf lehnte an seiner Brust und ihre blauen Augen waren geschlossen. Die Arme lagen schlapp auf ihrem Bauch und die Atmung... fehlte. "Wach auf, Prinzessin. Bitte mach die Augen auf. Du darfst nicht sterben.", flehte Jayden sie an, während die Tränen aus seinen Augen auf ihr Gesicht fielen. "Nur wegen euch ist sie jetzt tot. Das ist eure gerechte Strafe.", ertönte Brads Stimme. "Nein. Es tut mir so leid. Mach die Augen auf, Saphira, und ich schwöre dir, dass ich alles wieder gut mache.", versprach ihr Bruder. Doch wem? Saphira hatte ihre letzten Atemzüge schon hinter sich gebracht. Es war vorbei. "Gib es auf. Sie wird nicht mehr aufwachen. Sie ist tot. Deine Schwester ist tot, Jayden. Sie wird nicht von den Toten erwachen.", hörte man wieder Brads Stimme. "Es ist alles meine Schuld.", hauchte Jayden. 

Mit diesen Worten schrak Saphira aus einem weiteren Albtraum. Schwer atmend saß sie kerzengerade in ihrem Bett und versuchte sich zu beruhigen.

Nur ein Traum. Nur ein Traum. Alles ist gut. Du bist nicht tot. Immer und immer wieder wiederholte sie die Worte im Kopf, bis sie sich langsam beruhigte. Sie griff zur kleinen Wasserflasche neben ihrem Bett und trank sie zur Hälfte aus. Anschließend umschloss sie die Wasserflasche mit beiden Händen und blieb einfach im Bett sitzen. Sie blickte aus dem Fenster in die pechschwarze Nacht. Kayla und Saphira hatten mal wieder vergessen die Gardinen zu zuziehen.
Noch ein paar mal atmete sie tief und ruhig durch, bevor sie aus dem Bett stieg und auf ihren Kleiderschrank zusteuerte. Leise und darauf bedacht nicht ihre Mutter oder Kayla zu wecken, nahm sie sich Kleidung raus und verstaute noch die Perücke, die sie trug, im Schrank. Danach schlich sie mit den Kleidern ins Bad. Dort schaltete sie das Licht an und blickte in den Spiegel. Sie hatte noch immer blau getönte Haare. Nachdem sie im Internat angekommen war, hatte sie keine Zeit mehr gehabt, sich die Haare auszuwaschen. Deshalb hatte sie sich die schwarze Perücke geschnappt, diese aufgesetzt und hastig Bett fertig gemacht, um im Bett zu liegen, bevor Kayla und ihre Mutter zurückkamen. Saphira zog sich aus und stellte sich anschließend unter die heiße Dusche. 

Während das Wasser den ganzen Schweiß vom Kampf und von ihrem Albtraum abwusch, schaltete sie ihren Kopf einfach aus. Einfach an nichts denken und Ruhe vor allem haben. Auch wenn es nur für den Moment war. Automatisch machte sie ihre Routine und verließ schneller als ihr lieb war, die Wärme der Dusche. Sie trocknete ihren Körper, wickelte sich das Handtuch um die Haare und zog sich an. 

Angezogen kümmerte sie sich darum ihre Haare zu trocken. Als letztes stand Saphira vor dem Spiegel und nahm behutsam das feuchte Pflaster an ihrem Schlüsselbein ab. Langsam sammelte sich wieder Blut an der Wunde, doch Saphira klebte ein neues weißes Pflaster auf die Wunde. Da ihre Haut sehr blass war, fiel ein weißes Pflaster weniger auf und das T-Shirt, das sie trug verdeckte den Rest.
Aus dem Fenster im Bad sah sie wie die Sonne aufging. Möglicherweise hatte sie doch länger unter der Dusche gestanden als gedacht. Doch Kayla und ihre Mutter würden jetzt nicht aufstehen. Gestern hatten sie noch beschlossen, dass Saphira, die Jungs und ihre Eltern gemeinsam frühstücken gehen wollen und sich dort von ihren Eltern verabschieden. Saphira schaltete das Licht im Bad aus und ging zurück ins Zimmer, um sich ihre Turnschuhe anzuziehen und das Zimmer zu verlassen. Fast bei der Treppe angekommen bemerkte sie einen braunhaarigen Jungen, der auf einer Treppenstufe in der Mitte der Treppe saß. Es war Jayden. 

Ohne drüber nachzudenken setzte sie sich schweigend neben ihn auf die Treppe. Jayden hatte sie bemerkt, doch er sagte nichts. Er saß nur da und sah seine ineinandergefalteten Hände an. "Ich hab verloren. Du kannst sagen, dass du es mir doch gesagt hast.", brach er nach einigen Minuten die Stille. Saphira blieb still. Darauf wollte sie nicht antworten. Oder sie wusste einfach nicht, was sie antworten sollte. "Aber ich hab sie verletzt. Das haben viele nicht mehr hingekriegt.", meinte er stolz. Wie stolz wäre er noch, wenn er wüsste, dass er seine kleine Schwester verletzt hat? Das kleine Mädchen, dass er vergötterte? Er würde sich hassen, wenn er es raus fand. Am besten legte sie sich schon mal die Worte zurecht, um ihm den Hass auf sich selbst abzunehmen. Wie sehr sie sich doch wünschte, dass sie es geschafft hätte, ihn von seinem Vorhaben abzuhalten. "Hast du dich verletzt?", stellte sie ihm eine Frage ohne auf seine Aussage einzugehen. "Hier und da vielleicht ein kleiner blauen Fleck, aber nichts tut weh.", antwortete er und legte ihr den Arm um ihre Schultern. "Es gibt kein nächstes Mal, oder?"

The Brothers I lostWo Geschichten leben. Entdecke jetzt