• E I N S •

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J o y c e l i n
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Für mich gibt es nichts Schöneres, als die Freiheit. Wenn mich die Erkenntnis durchströmt, zu nichts verpflichtet zu sein, keine Regeln befolgen zu müssen und tun zu können, was ich will, so würde ich am liebsten die Zeit anhalten und mich für immer von diesem Gefühl einlullen lassen.

Doch in einer Welt, die voll von Gewalt, Gesetzen und Verpflichtungen ist, fühle ich mich unwohl.

Ich, Joycelin Andrews, 16-Jahre und bestimmt schüchternstes Mädchen im gesamten Universum, bin dazu verpflichtet, zur Schule zu gehen. Gesetze sind zwar dafür da, uns Menschen vor allem Bösen zu schützen, das wir uns täglich aufs Neue gegenseitig antun. Auf der anderen Seite schränken sie auch unsere eigene Freiheit ein. Und Freiheit sollte grenzenlos sein. Und zuletzt noch die Gewalt, die überall in allen Ecken auf dieser großen Welt stattfindet. Sogar bei uns auf dem Pausenhof der Schule und sei es nur zwischen zwei Jungs, die sich um das Herz eines Mädchens streiten, die jedoch wie der Rest des weiblichen Volks jemandem aus dem Kreis der beliebten Schülern verfallen ist. Einfach nur unnötig und meist auch noch vermeidbar.

Natürlich gebe ich gerne zu, dass die Jungs aus dieser Stufe der Schul-Hierarchie gut aussehen. Doch genauso, wie sie unverschämt gut aussehen, sind sie meistens auch unverschämt arrogant und nervtötend.

Und da gelange ich immer wieder an den Punkt, dass ich einfach nur unglaublich erleichtert bin, dass ich nicht ihrem Fan-Club beigetreten, sondern das typische unsichtbare Mauerblümchen der Schule bin. Ich bin am liebsten alleine mit mir und meinen Gedanken. Und wenn ich an einem schönen Sommertag wie heute auf einer gemütlichen hölzernen Bank umgeben von Blumen und Sträuchern sitze, während um mich herum Schmetterlinge in allen möglichen Farben und Mustern fliegen, denke ich am liebsten über tiefsinnige Dinge nach. Oder wünsche mir einfach nur, einer von diesen Schmetterlingen zu sein.

Ich seufze tief, als ich diesen zarten Wesen dabei zusehe, wie sie in einem scheinbar riesigen Chaos durcheinander fliegen, um von einer Blüte zur Nächsten zu gelangen. Es sind so viele, dass ich mich kaum auf einen fixieren kann, ohne ihn ein paar Sekunden später auch schon aus den Augen zu verlieren.

Und ich fühle mich nirgendwo wohler, als hier. In meinem Garten, der mir alles bedeutet. Mal ganz abgesehen von Dad. Aber der ist ja sowieso kaum da.

»Joycelin!« Ich zucke zusammen. Ich war eindeutig ziemlich tief in meinen Gedanken versunken und ein Stich durchfährt mein Herz, als ich wieder in die Realität zurück geschleudert werde, der ich so oft versuche zu entfliehen. Ich hebe meinen Kopf und blicke in Richtung des eher altmodischen Hauses, dessen Außenmauern von Kletterpflanzen überwuchert sind, während am Boden unzählige verschiedene Wildblumen aus der Erde sprießen.

»Wo bist du denn, verdammt nochmal!«, flucht eine weibliche Stimme, die sehr verärgert klingt. Sie passt so gar nicht in die friedliche, fast idyllische Atmosphäre, die ich bis gerade eben noch verspürt habe. Ich ziehe eine Augenbraue nach oben. Außerdem sollte meine Stiefmutter Angelina nach zwei Jahren des Zusammenlebens schön langsam mal begreifen, dass ich ihr nie antworten werde.

Doch das liegt nicht daran, dass ich sie nicht mag. Ich verabscheue diese Frau regelrecht. Aber der Grund, weshalb mich fast alle Leute für stumm halten, ist schlicht und ergreifend dieser, weil ich nicht sprechen möchte. Naja, rein theoretisch kann ich es auch wirklich nicht mehr, wie ein Facharzt vor zwei Jahren festgestellt hat. Doch ich versuche es auch nicht einmal.

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