• E I N U N D D R E I ß I G •

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J o y c e l i n
🦋

Ich habe mich schon gefragt, was die beiden solange gebraucht haben. Allerdings wage ich es nicht, ihn danach zu fragen. Es geht mich nichts an. Vielleicht wird er es mir ja selbst irgendwann erzählen.

»Da bin ich wieder. Tut mir leid, dass du so lange warten musstest«, sagt Mace, als er vor mir stehen bleibt.

Ich mache eine wegwerfende Handbewegung und ein erleichtertes Lächeln umspielt seine Lippen.

Ohne ein Wort zu sagen strecke ich ihm dann meine Hand entgegen, die er wie gewohnt sofort in die Seine nimmt und dann ziehe ich ihn die Treppe der Veranda runter in den Garten.

Es packt mich schon fast wie ein Impuls, Mason mit dorthinein zu nehmen. Als würde jemand mir sagen, dass wir zwischen all den Sträuchern und Gebüschen verschwinden sollten.

Ich weiß nicht, wie das möglich ist. Auf einmal weiß ich genau, zu welcher Stelle ich ihn bringen möchte und bekomme zugleich Angst. Das Versteck mit der Bank und der Kiste mit allen wichtigen Erinnerungen von Mum war so geheim und so privat für uns, sodass nicht mal Dad es in all den Jahren gewagt hat, jemals einen Fuß hineinzusetzen. Es ist also logisch, dass noch nie eine andere Person außer Mum und ich dort waren und es erfüllt mich mit beängstigender Vorfreude, dass ich das gleich ändern werde.

Ein kleiner Teil in mir meint, dass ich Mums Tradition brechen würde. Doch ich ignoriere es. Mason bedeutet mir so viel, dass ich es gar nicht in Worte fassen kann. Ich möchte diesen wichtigen Ort mit ihm teilen und möchte, dass er auch den geheimsten Teil meiner Persönlichkeit kennenlernt.

Ich weiß, dass dies ein großer Schritt ist, den ich gleich tun werde. Das bändigt meine Aufregung keineswegs. Trotzdem bin ich fest entschlossen, das durchzuziehen.

»Wohin entführst du mich denn?«, witzelt Mace und lacht dabei heiser. Ich werfe ihm nur ein geheimnisvolles Lächeln zu, ehe wir schließlich unter das Absperrband hindurch tauchen, das die Leute davon abhalten soll, den Garten zu betreten. Zu meiner großen Überraschung hat sich bis jetzt anscheinend noch niemand hineingewagt. Aber die Party ist ja auch noch lange nicht vorbei. Und wer weiß, zu was die Leute fähig sind, wenn sie mit der Zeit immer mehr Alkohol in sich hineinkippen?

Wir gehen an Blumen vorbei, deren Farben man kaum in der Dunkelheit erkennen kann. Der Mond spendet gerade mal so viel Licht, dass ich die Umrisse erkenne und sie nicht zertrete. Mace allerdings scheint mir blind vertrauen zu müssen.

»Ohne dich werde ich nie wieder herausfinden«, murmelt er und wenn ich könnte, hätte ich jetzt gekichert.

Stattdessen gehen wir immer tiefer hinein und es ist komisch, alles in dunklen Farben zu sehen. Und noch komischer ist es, dass kein einziger Schmetterling herumschwirrt. Ich war nur immer nachts hier, wenn Mum und ich im Sommer spontan beschlossen haben, im Garten zu übernachten um uns die Sterne anzusehen.

Als wir nach ein paar Abzweigungen endlich die zwei Buchsbüsche erreicht haben, die den geheimen Eingang darstellen, werde ich plötzlich nervös. Ich lasse seine Hand los und schreibe eilig etwas auf einen Notizzettel. Dann gebe ich ihn Mace, der kurzerhand die Taschenlampe seines Handys aktiviert und damit den Zettel beleuchtet.

[Der Ort, an dem ich dich bringe, bedeutet mir die Welt. Es war das Geheimversteck von meiner Mum und mir. Du bist die erste Person, die ich hierhin mitnehme.]

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