• S I E B E N U N D Z W A N Z I G •

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J o y c e l i n
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Am nächsten Morgen graut es mich davor, die Schule auch nur zu betreten. Als ich aus Lukes Auto aussteige, bin ich schon kurz davor, mit ihm zu den anderen zu gehen, obwohl ich von weitem schon Cameron erblicken kann. Doch ich entscheide mich schlussendlich dagegen. Ich glaube nicht, dass Crystal mich heute wieder schikanieren wird. Diese Niederlage ist noch zu frisch.

Als ich meinen Rucksack schultere, klimpert mein Armkettchen mit den Schmetterlings- und Blumenanhänger fröhlich vor sich hin und erinnert mich dadurch wieder an gestern, wie Dad und ich zu einem Flohmarkt im Nachbarort gefahren sind. Als ich noch kleiner war, sind wir öfter spontan zu solchen Märkten gefahren und haben mitgenommen, was uns gefällt. Gestern war es ein weiterer Anhänger für mein Armband gewesen. Jetzt schmückt nicht nur ein Schmetterling, sondern auch eine wunderschöne, silberne Blume mein Handgelenk. Ich lächle leicht vor mich hin, als ich die Schule betrete.

Es befinden sich noch nicht viele Leute drinnen, trotzdem halte ich mit klopfendem Herzen Ausschau nach einer bestimmten Person, die den gestrigen Tag zum reinsten Desaster hat mutieren lassen.

Und als ich um die Ecke biege, in dessen Gang sich mein Spind befindet, entdecke ich sie auch schon direkt davor. Mein Gesicht fällt in sich zusammen und ich habe das Gefühl, jeden Moment ohnmächtig zu werden.

Das kann doch nicht ihr Ernst sein.

Ich dachte, sie würde mich jetzt zumindest für eine Zeit lang in Ruhe lassen. Ich habe gehofft, dass sie diese Niederlage von gestern noch nicht verdaut hat, vor allem, da auch Mace sehr wütend auf sie ist und die ganze Schule weiß, dass sie insgeheim auf ihn steht.

Aber nichts da. Mit ihren perfekten, in auffälligem Pink lackierten Acrylnägeln steht sie vor meinem Spind, während sie die Arme verschränkt hat. Sie sieht sich um, doch noch hat sie mich nicht gesehen. Noch hätte ich die Chance, einfach umzudrehen und mich vorsichtshalber zu Mace und den anderen zu begeben. Und fast hätte ich das auch getan, wäre da nicht diese unbändige Wut und der Ekel, der jedes Mal in mir aufsteigt, wenn ich sie sehe.

Vor meinem Auge spielen sich all die Szenen ab, in denen sie schon andere Leute runtergemacht und sie vor den Augen aller anderer gedemütigt hat. Crystal kennt kein Erbarmen. Sie ist skrupellos und niemand hat sich je getraut, sich mit ihr anzulegen oder den Opfern zu helfen.

In mir macht sich die lächerliche Vorstellung breit, dass ich ja diese Person sein könnte, die sich für Crystals Opfer einsetzt und gegen sie vorgeht. Doch schnell fällt mir ein, dass ich wahrscheinlich herzlichst wenig ausrichten kann. Genau, wie sie gestern sagte: Ich bin kaputt. Ich bin nicht einmal dazu imstande, ihr meine Meinung zu sagen. Wie könnte jemand wie ich gegen jemanden wie sie ankommen?

Als ich leicht von hinten angerempelt werde, da ich mitten im Flur stehe, bekomme ich das kaum mit. Es ist, als wäre ich in einer Art Verzweiflungs-Trance. Die Geräusche und Bewegungen um mich herum nehme ich kaum wahr. Nur das Klimpern der Anhänger meines Armbandes höre ich klar und deutlich. Die Blume und ein Schmetterling.

Plötzlich muss ich wieder an Mum denken und daran, dass sie immer wollte, dass ich stark bin und mich von niemandem unterkriegen lassen sollte. Sie hat an mich geglaubt und mich ermutigt, das zu tun, was ich für richtig halte. Und wenn sie jetzt hier wäre, würde sie garantiert hinter mir stehen. Und vor allem wäre sie stolz auf mich.

Genau diese Gedanken befeuern mich, sodass ich ohne groß zu überlegen losstampfe. Meine Hände habe ich zu Fäusten geballt und mein Gesicht zeigt keinerlei Gefühle. In ihrer Gegenwart muss ich ab jetzt vollkommen kalt rüberkommen.

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