• S E C H S U N D Z W A N Z I G •

415 25 2
                                    

M a s o n
🦋

Bin ich fassungslos wegen dem, was gerade passiert ist? Ja.

Bin ich unglaublich sauer auf Crystal, weil sie auf Joyce und Em losgegangen ist? Definitiv.

Freut sich trotzdem ein ganz winziger Teil von mir, dass das alles passiert ist, da ich so Joyce in die Arme schließen konnte? Verdammt, ja!

Und ich habe keine Ahnung, ob mich das zu einem guten oder einen bösen Menschen macht. Denn wenn ich die Wahl hätte zu entscheiden, ob Crystal auf Joyce und Em losgehen soll oder nicht, würde ich Crystal natürlich sofort aufhalten. Dennoch fände ich es wirklich schade, da ich deshalb keinen Grund mehr hätte, sie zu umarmen.

Als ich sie an mich gedrückt habe, habe ich gemerkt, wie angespannt und nervös sie in Wirklichkeit war, obwohl sie von außen hin keine Gefühlsregungen preisgegeben hat. Sie hat sich regelrecht in mein T-Shirt gekrallt und selbst, als ich sie zu ihrem Klassenzimmer gebracht habe, lag mein Arm die ganze Zeit um ihre Schulter. Als ich ihr Gesicht betrachte, kann ich bereits jetzt schon Erschöpfung in ihren grauen Augen erkennen, obwohl der Schultag noch nicht einmal richtig angefangen hat. Sie ist auch blasser als sonst, sodass ihre Sommersprossen noch deutlicher hervorstechen. Obwohl ich sie ziemlich süß finde, macht mir diese Tatsache jedoch Sorgen.

Als wir vor der geöffneten Tür des Biologie-Raumes ankommen, bleiben wir stehen und sehen uns an. »Da wären wir«, seufze ich, da es mir nun umso schwerer fällt, sie jetzt alleine zu lassen. Der einzige Trost ist, dass sie die nächsten beide Stunden nicht mit Crystal in einem Raum verbringen muss. Wie es aber in der dritten Stunde aussehen wird, wenn Crystal wieder auf Joyce stoßen könnte, wage ich mir gar nicht auszumalen. Ich weiß nicht, wie ich ihr helfen kann.

»Heute in der Mittagspause wieder an unserem Tisch?« Ein Schmunzeln breitet sich auf ihren Lippen aus und sofort nickt sie. Unser Tisch, der als unser Treffpunkt gilt, steht ziemlich in der Ecke der Cafeteria, also dort, wo sich normalerweise nicht viele Schüler aufhalten, da sich die meisten in die Mitte setzen. Unser Tisch ist somit nie belegt und mittlerweile treffen wir uns dort fast schon jeden Tag, manchmal sogar, ohne dass wir uns vorher abgesprochen haben.

Auf einmal macht Joyce einen Schritt auf mich zu und umschließt meine Hand mit ihren beiden. Sanft drückt sie zu und sieht mich dabei mit einem intensiven Blick an, fast so, als wolle sie mir durch ihre Augen etwas sagen. Und ich verstehe sie.

»Du brauchst dich nicht bei mir bedanken, Joyce. Eher sollte ich mich entschuldigen, dass ich nicht schon früher gekommen bin.« Trotzig schüttelt sie den Kopf, als wolle sie damit sagen, dass ich mich dafür nicht entschuldigen brauche. Aber es ist die Wahrheit. Ich habe keine Ahnung, was Crystal zu ihnen gesagt hat. Aber aus Erfahrung weiß ich, dass sie immer die schlimmsten Karten ausspielt und es ist keine Seltenheit, dass ihre Opfer in Tränen ausbrechen. So gesehen lässt Joyce Crystals Worte entweder nicht so sehr an sich ran oder sie ist stärker als die meisten anderen.

Als Joyce noch einen weiteren kleinen Schritt auf mich zumacht, halte ich augenblicklich inne. Unsere Zehenspitzen berühren sich und ich kann ihren Duft von Frühling und Blumen wahrnehmen, den sie immer verströmt. Kein einziges Mal bricht einer von uns den Blick ab und es dauert nicht lange, bis sich ihr Gesicht dem meinen nähert. Fast schon befürchte ich, dass mir das Herz aus der Brust springt, so schnell schlägt es in diesem Moment und ich bin zu keinem einzigen Gedanken fähig.

Und kurz, bevor sich unsere Lippen berühren, dreht sie den Kopf zur Seite und küsst mich auf die Wange. Es ist nur ein kurzer, unschuldiger Kuss, trotzdem bricht in mir ein Feuerwerk aus. Die ganze Zeit über habe ich den Atem angehalten und alles scheint in Zeitlupe zu vergehen. Ich nehme den Moment so intensiv wahr, sodass ich mir sogar einbilde, auch ihr wild klopfendes Herz zu spüren, als sich unsere Oberkörper berührten. Und dann, als sie sich wieder mit hochrotem Kopf von mir entfernt und schüchtern winkend in das Klassenzimmer verschwindet, ist der magische Moment vorbei. Ich werde wieder in die Realität geschleudert und bin völlig perplex. Einige Zeit lang stehe ich nur da und starre Löcher in die Luft, bis der Lehrer die Türe des Klassenzimmers zuknallt und ich deshalb zusammenzucke. Erst dann bemerke ich, dass der Unterricht soeben angefangen hat und ich - mal wieder - zu spät komme.

ShutterflyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt