J o y c e l i n
🦋Genau zwei Tage später sitze ich zusammen mit Dad im Garten und wir sind der Nachmittagssonne erbarmungslos ausgeliefert. Wir haben es uns im Gras gemütlich gemacht und beobachten den Himmel und die vorbeiziehenden Wolken, während immer mal wieder ein Schmetterling über uns schwirrt. Manchmal kommt es mir so vor, als wären die Wolken zum Greifen nah. Doch dann wirkt es, als wären sie unerreichbar. Genauso scheint es auch mit Mum zu sein. Es gibt Momente, da bin ich mir fast schon sicher, dass sie bei mir ist. Allerdings verfliegt dieses Gefühl öfter und ich weiß nicht, ob sie immer noch da ist. Es verwirrt mich.
Dad neben mir scheint völlig friedlich vor sich hin zu dösen, als würden ihn solche Gedanken nicht einmal in den Sinn kommen. Er hat heute beschlossen, den ganzen Tag mit mir zu verbringen und alles zu machen, was ich will. Der Grund dafür ist mein siebzehnter Geburtstag. Und ich muss sagen, dass heute ein äußerst merkwürdiger Tag ist.
Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft mein bevorstehender Geburtstag das Gesprächsthema Nummer Eins bei Sav und Em war und wie eifrig sie ihn durchgeplant haben. Allerdings scheinen sie ihn heute irgendwie vergessen zu haben. Denn würde ich nicht wissen, dass ich heute Geburtstag hätte, wäre es ein Tag wie jeder andere auch. Die Schule zog sich endlos hin, ich verstecke mich im Flur hinter Bücher, wenn ich zu meinem Spind gehe und verbringe meine Mittagspause mit Mace.
Es ist aber nicht so, dass ich nicht froh wäre. Ehrlich gesagt bin ich sogar erleichtert. Immerhin bleibt mir so eine Menge Aufmerksamkeit erspart.
»Weißt du, was mit Angelina zur Zeit los ist?«, fragt Dad auf einmal und schneidet so genau das eine Thema an, über das ich heute auf keinen Fall reden möchte. Okay, eigentlich will ich nie über sie reden.
Dad dreht seinen Kopf zu mir und ich schüttle mit dem Kopf. Dann blicke ich ihn fragend an.
»Sie sieht die letzten Tage ziemlich blass aus. Ich glaube, sie hat sich was eingefangen«, meint er nur, bevor er sich wieder dem Himmel zuwendet. Und ich vergesse ihre Krankheit auch gleich wieder. Solange es nichts Tödliches oder Ansteckendes ist, ist es mir relativ egal.
Plötzlich hebt er seinen Arm in die Höhe, sodass er auf seine Armbanduhr sehen kann. Dann setzt er sich auf und sieht mich eine Weile stumm an. Fast so, als könne er es kaum glauben, dass seine einzige Tochter jetzt siebzehn Jahre alt ist. Dann beginnt er die bunten Wildblumen um uns herum zu pflücken und sammelt sie alle in seinem Schoß. Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen, während ich zu ergründen versuche, was er vorhat.
Als er anscheinend genügend hat, dreht er mir ein wenig den Rücken zu, sodass ich nicht erkennen kann, was er mit ihnen macht. Ich zucke einfach nur mit den Achseln und beschließe, ihn einfach zu lassen. Stattdessen sehe ich weiter den Himmel an, dessen Wolken in Zeitlupe vorbeifliegen. Ich erinnere mich daran, wie ich das erste mal in einem Flugzeug saß. Damals waren wir auf dem Weg nach Venedig, weil mein Dad meiner Mum dort vor sieben Jahren einen Heiratsantrag gemacht hatte. Ich war erst vier Jahre alt und hatte panische Angst, als wir im Flugzeug saßen. Die Panik davor, dass wir abstürzen und qualvoll im Meer sterben würden, hatte sich damals in meinem Gehirn festgesetzt und wurde auch nicht leichter, als wir schon eine Stunde flogen. Und dann erzählte mir Mum etwas über die Wolken. Sie erklärte mir, dass die Wolken, über denen wir nun flogen, riesige, flauschige Watte waren und dass wir von ihnen aufgefangen werden würden. Und das hat mein Vierjähriges-Ich extrem beruhigt.
Natürlich weiß ich heutzutage, dass Wolken nicht aus weicher Watte bestehen, die einen Menschen im Falle eines Sturzes auffangen können. Aber diese Vorstellung finde ich trotzdem schön. Vor allem, weil sie mit Mum zusammenhängt. Und solche Erinnerungen sind sehr wertvoll.
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Shutterfly
Novela JuvenilJoycelin Andrews ist eigentlich ein ganz normales Mädchen. Mal ganz davon abgesehen, dass sie stumm ist und ihr Garten im Sommer von Schmetterlingen nur so wimmelt. Sie ist der Inbegriff des Einzelgängers und lebt die meiste Zeit in ihrer eigenen kl...