Ich muss tatsächlich eingeschlafen sein, denn einige Zeit später werde ich unsanft wachgerüttelt. Ich öffne erschrocken die Augen und blicke in das genervte Gesicht von Hestia. Sobald sie merkt, dass ich wach bin, stolziert sie auch schon aus meinem Abteil. Ich blicke ihr verwundert hinterher. Warum bitte hat sie mich geweckt, wenn sie sofort wieder verschwindet? Und warum war sie so gereizt? Wahrscheinlich hat sie ein paar Mal versucht, mich mit Rufen zu wecken und als ich nicht reagiert habe, hat sie mich schütteln müssen. Hinzu kommt vermutlich noch, dass ich auf dem Boden geschlafen habe. Das ziemt sich im Kapitol sicherlich nicht. Aber dieser Boden ist bequemer als Leas und mein Bett zuhause in Distrikt 8.In diesem Moment stürmt erneut jemand durch meine Abteiltür und ich zucke zusammen, als die Betreuerin wieder erscheint. Sie scheint nun nicht mehr nur genervt, sondern fast schon zornig sein. Ihr Gesicht ist von roten Flecken übersäht. Sie schimpft mit mir und zieht mich dann unsanft auf die Füße, bevor sie abermals aus dem Abteil rauscht. Ich begreife. Offenbar hat sie mich nicht nur geweckt, um mich zu ärgern, sondern damit ich ins Gemeinschaftsabteil komme. Gibt es schon Abendessen? Oder...wahrscheinlich zeigen sie jetzt die Zusammenfassung der Ernten, dass muss es sein.
Ich streiche kurz mein Erntekleid glatt – ich wage es nicht, mich noch umziehen, sonst müsste ich Hestia noch länger warte lassen – und verlasse mein Abteil.
Als ich im Gemeinschaftsabteil angekommen bin, sitzen die anderen bereits schon in der Sitzecke vor dem Fernseher, der gerade den Beginn der Ernte in Distrikt 1 zeigt. Mit gesenktem Kopf tapse ich zu ihnen und setze mich neben meinen Mittribut auf das Sofa. Ich keuche kurz auf, als es nachgibt, und habe Angst, ich könne in dem Stoff verschwinden. Ich werfe den anderen einen kurzen Blick zu. Hestia taxiert mich mit bösen Blicken, Yarnn schaut beinahe enttäuscht und mein Mittribut starrt mich mit einer Mischung aus Verwirren und Mitleid an, vermutlich weil Hestia sauer auf mich ist.
Wir richten alle unsere Blicke auf den riesigen Bildschirm, als sie im Großformat das Mädchen zeigen, dass sich in Distrikt 1 freiwillig gemeldet hat. Sie ist riesig. Bestimmt an die zwei Meter. Und kräftig. Natürlich, die Jugendlichen in 1, 2 und 4 trainieren ja auch an Akademien, die sie auf die Hungerspiele vorbereiten sollen. Das Mädchen wirft ihre blonden, langen Haare nach hinten und stolziert mit einem gewinnenden Lächeln nach vorne zur Bühne. Sie macht mir Angst. Der Junge aus ihrem Distrikt ist nicht besser. Er scheint ein einziges Muskelpaket zu sein und ist genauso groß wie seine Partnerin.
Weiter geht es mit Distrikt 2. Auch hier gibt es zwei Freiwillige. Das Mädchen ist 17, groß und hat schwarze Haare. Der Junge ist 18 Jahre alt und kann es offenbar gar nicht erwarten, endlich in die Arena zu kommen. Er scheint sogar noch gefährlicher als die beiden aus 1 zu sein.
Nach Distrikt 2 kommt Distrikt 3. Der Name des Mädchens wird genannt und sofort schwenkt die Kamera zu einem zierlichen Mädchen in der Reihe der Fünfzehnjährigen. Sie wird kalkweiß im Gesicht und rührt sich einen Moment lang nicht von der Stelle. Dann setzt sie eine entschlossene Miene auf, streicht sich eine hellbraune Strähne zurück und geht mit schnellen, aber festen Schritten auf die Bühne zu. Ihr Distriktpartner ist ein Jahr älter als sie und als er zur Bühne geht, lächelt er.
Ich kann ihn nicht verstehen. Die Karrieros freuen sich immer auf die Hungerspiele, das ist nichts neues, aber er kommt aus Distrikt 3.
Als nächstes zeigen sie die Ernte in Distrikt 4. Das Mädchen ist eine 18-Jährige Freiwillige. Ihre rotbraunen Haare stehen zu allen Seiten ab und ihre Augen funkeln angriffslustig. Der Junge ist ebenfalls 18, allerdings ein Geloster, was für einen Karrierodistrikt recht ungewöhnlich ist, ihn aber nicht weniger gefährlich macht. Er ist wenn nicht so groß wie die beiden aus 1, dennoch mindestens einen Kopf größer als ich und dreimal so breit – nicht, weil er übergewichtig wäre, sondern wegen der Muskeln. Mir erscheint die diesjährige Karrierogruppe viel stärker als sonst, aber vielleicht liegt das auch daran, dass sie dieses Mal meine Gegner sind.
In Distrikt 5 sieht es schon wieder anders aus. Das Mädchen fängt an zu weinen, nachdem ihr Name gesagt wurde. Ich schätze sie auf etwa 14 Jahre, genauso alt wie mein Mittribut. Sie ist zwar nicht so dürr wie ich selbst oder die aus 3, trotzdem wirkt sie nicht besonders gefährlich auf mich. Ihr Distriktpartner ist 17 Jahre und möchte offenbar genauso stark wirken, wie der Junge aus 3, aber mich täuscht er nicht. Seit auf meine Ohren kein Verlass mehr ist, beobachte ich alles viel genauer mit meinen Augen und so merke ich, wie sich, kurz bevor er eine lächelnde Maske aufsetzt, die Augen des Jungen aus 5 vor Entsetzen weiten.
In Distrikt 6 trifft es die Tochter des Bürgermeisters. Ich erkenne noch bevor die Kamera zu der 15-Jährigen schwenkt, wie der Bürgermeister vor Schreck erstarrt. Seine Tochter scheint recht gefasst zu sein, und da sie die Tochter des Bürgermeisters ist, ist sie auch relativ gut genährt. Der Junge aus ihrem Distrikt hingegen kommt wie ich aus dem Saum. Er ist 12. Und winzig. Er sieht so aus, als würde er sofort ohnmächtig werden. Irgendwie schafft er es trotzdem, die Bühne zu erreichen, ohne zusammenzubrechen. Er tut mir leid. Er hat sicherlich eine noch geringere Chance als ich, zu gewinnen und er weiß das auch.
In Distrikt 7 wird eine 13-Jährige ausgelost. Niemand meldet sich freiwillig, wie auch bei dem Jungen aus 6. Das Mädchen erstarrt und wischt sich, bevor sie zur Bühne läuft, mit der Hand über das Gesicht – in ihren Augen glitzern Tränen. Ihr Distriktpartner ist ein 18-Jähriger Hüne, der seinem Körperbau nach zu schließen nie zu wenig zu essen hatte.
Als Nächstes kommt Distrikt 8. Ich sehe, wie Hestia das Los zieht und meinen Namen vorliest. Dann schwenkt die Kamera zu mir. Ich sehe, wie Lacey erbleicht und wie ich mich ihr zuwende. Sie zeigt mit der Hand erst auf mich und dann zur Bühne. Als ich verstehe, steigen mir Tränen in die Augen, die ich wie das Mädchen aus 7 wegwische, bevor ich zur Bühne laufe. Man sieht, dass meine Beine zittern. Kein guter Start, um Sponsoren zu gewinnen. Als mein Mittribut ausgelost wird, sieht man ihn erbleichen und als er zur Bühne läuft, weint er. Er tut mir immer noch leid.
Die beiden aus 9 sind nicht sonderlich auffällig. Das Mädchen ist 17 und zittert leicht, als sie zur Bühne hinaufgeht, der Junge ist ein Jahr jünger als sie und setzt ein künstliches Lächeln auf.
In Distrikt 10 wird ein zwölfjähriges Mädchen gelost, aber es meldet sich eine 18-Jährige. Die beiden haben dieselben rotbräunlichen Haare, offenbar Schwestern. Und als das Mädchen oben auf der Bühne steht, kann ich die Angst in ihren Augen sehen. Offenbar bereut sie es schon jetzt, sich freiwillig gemeldet zu haben. Ihr Distriktpartner ist ein 15-Jähriger, der selbstbewusst nach vorne zur Bühne geht. Er sieht ziemlich gut aus und wird bestimmt einige Sponsoren allein durch sein Aussehen gewinnen können.
In Distrikt 11 wird ein 14-Jähriges Zwillingspaar gelost. Sie sind wie die meisten aus Distrikt 11 dunkelhäutig und unterernährt.
Den Abschluss macht Distrikt 12 mit zwei Sechzehnjährigen.
Der Bildschirm wird schwarz. Hestia sieht meinen Mittribut und mich durchdringend an und fragt irgendetwas. Ich sehe meinen Mittribut kurz angebunden antworten, dann richten sich alle Blicke auf mich. Ich schlucke. Nun werde ich es ihnen sagen müssen. Wie werden sie reagieren? Vor allem Yarnn. Ich fixiere angestrengt eine silberne Karaffe, die rechts neben dem Fernseher auf einem der Serviertische steht und hole tief Luft.
Ich öffne den Mund und sage: „Ich kann nicht hören!"
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Die 101. Hungerspiele★
FanfictionCorina Henson ist 16 Jahre alt und kommt aus Distrikt 8. Vor knapp 3 1/2 Jahren verlor sie bei einem Arbeitsunfall ihr Gehör. Als sie für die diesjährigen Hungerspielen ausgelost wird, scheint alles verloren. Doch dann beschließt Corina zu kämpfen...