Diejenigen, die aufgerufen werden, verlassen den Speisesaal und kommen nicht wieder. Je mehr Tribute zu ihren Einzeltrainings aufgerufen werden, desto weniger sitzen im Speisesaal. Während die meisten von uns schweigen und versuchen, niemandes Blick zu begegnen, reden die Karrieros wie in einer gewöhnlichen Mittagspause miteinander. Zumindest meine ich das an ihrer Gestik und Mimik und auch an einigen flüchtigen Blicken der anderen Tribute in ihre Richtung zu erkennen.Als schließlich der Junge aus 4 aufgerufen wird und das Mädchen aus seinem Distrikt niemanden mehr hat, mit dem es reden könnte, beginnt auch sie, ihren Blick durch den Raum schweifen zu lassen – mit dem Unterschied, dass sie jeden, der nicht schnell genug wegzuschauen vermag, mit ihren Blicken einzuschüchtern versucht. Ich versuche sie zu ignorieren. Wenngleich sie mir sehr gefährlich vorkommt, habe ich bei weitem nicht so viel Angst vor ihr wie vor dem Jungen aus Distrikt 1, der - warum auch immer - mich auf seiner Abschussliste an erste Stelle gesetzt hat. Er wird wohl kaum glauben, ich könne eine ersthafte Bedrohung für ihn werden und er müsse mich deshalb so bald wie möglich beseitigen. Wenn das stimmen würde, sollte ich mir um ihn eigentlich keine Sorgen machen, wenn er vor einem gehörlosen Mädchen aus Distrikt 8 Angst hat. Aber das hat er nicht. Wer hat das schon? Ich hätte auch keine Angst vor mir.
Das Mädchen aus Distrikt 4 erhebt sich und verlässt den Speisesaal zu ihrem Einzeltraining und im Raum wird es etwas ruhiger, als einige andere sich erleichtert, dass nun keiner der Karrieros mehr anwesend ist, entspannen. Dabei sind die Karrieros uns noch nicht gefährlich. Das sind sie erst übermorgen früh, wenn sie die Erlaubnis haben, uns zu töten.
Als Ava aufgerufen wird, wirft sie mir einen ängstlichen Blick zu. Ich drücke ihre Hand und lächele ihr ermutigend zu. Einmal mehr würde ich mir wünschen, etwas sagen zu dürfen. Aber Yarnn hat es mir verboten und ich werde nicht so kurz vor der Arena meinen – wenn auch lächerlich kleinen und sehr wahrscheinlich vollkommen nutzlosen – „Trumpf" aufgeben, wenn man es denn so nennen mag. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als der Dreizehnjährigen hilflos hinterher zu blicken, als sie auf leicht zittrigen Beinen den Raum verlässt.
Ich hoffe, sie kann die Spielemacher mit ihren Kletterkünsten überzeugen. Ich jedenfalls habe noch nie jemanden gesehen, der so gut zu klettern vermochte wie sie. Nicht einmal der Junge aus ihrem Distrikt, wenngleich er fünf Jahre älter ist als sie. Er und seine beiden Verbündeten aus Distrikt 3 und 5 haben sich lediglich kurz im Kletterareal, sonst jedoch die meiste Zeit wie die Karrieros an den Stationen mit den Waffen aufgehalten.
Es dauert nicht lange, da wird Sash aufgerufen und verlässt fluchtartig den Raum, sodass ich ihm nicht einmal durch Blicke Glück wünschen könnte.
Nach Sash bin ich die Nächste. Ich habe Angst, mit meinen Messern die Zielscheibe zu verfehlen. Die Spielemacher haben vor mir mit Sash bereits 15 Tribute gesehen – was ist, wenn sie nicht mehr das geringste Interesse an meinen Würfen zeigen? Ich muss jedenfalls sehr gut treffen, da sie mich sonst sicherlich nicht mehr beachten. Wenn sie mich nicht beachten oder ich einen Fehler mache, werde ich eine schlechte Punktzahl bekommen. Wenn ich eine schlechte Punktzahl bekomme, werde ich keine Sponsoren bekommen. Wenn ich keine Sponsoren bekomme, werde ich keine Fallschirme bekommen. Wenn ich keine Fallschirme bekomme, bin so gut wie tot.
Wenn ich ehrlich bin, bin ich jetzt schon so gut wie tot. Die Drohung des Jungen aus Distrikt 1 vorhin beim Training war mehr als deutlich, wenngleich ich sie nicht gehört habe. Soll er mich töten. Aber wenn er mich tötet, möchte ich aller wenigstens den Grund erfahren, warum er diesen Hass gegenüber mir empfindet. Warum er mich seit unserer ersten flüchtigen Begegnung im Trainingscenter bevor es in das Erneuerungsstudio ging töten wollte. Natürlich möchte er uns alle töten – es mag nicht einmal zum Vergnügen sein, wie es bei vielen Karrieros der Fall zu sein scheint, sondern schlichtweg zum eigenen Überleben – aber gegenüber keinem der anderen Tribute hat er seine Absicht so offensichtlich dargelegt wie mir gegenüber. Wenn ich an seine Worte von vorhin denke, fröstelt es mich noch immer. Wenn ich am Füllhorn nicht schnell genug bin, wenn ich nicht rechtzeitig fliehen kann, bin ich eine der ersten, deren Gesicht am Himmel in der Arena eingeblendet wird. Aber es gibt doch so viele, für die ich leben muss!
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Die 101. Hungerspiele★
FanfictionCorina Henson ist 16 Jahre alt und kommt aus Distrikt 8. Vor knapp 3 1/2 Jahren verlor sie bei einem Arbeitsunfall ihr Gehör. Als sie für die diesjährigen Hungerspielen ausgelost wird, scheint alles verloren. Doch dann beschließt Corina zu kämpfen...