der Wert des Sieges

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Als  Willow mich gegen Mitternacht aufweckt, fühle ich mich nicht gut.  Vorhin, als ich in den Schlafsack gekrochen bin, habe ich gefroren.  Jetzt ist mir ungewöhnlich heiß. Die Hitze kommt nicht etwa vom  Schlafsack, sondern scheint von mir selbst auszuströmen. Mein Hals fühlt  sich rau an.

Ich mache Anstalten, mich vorsichtig, ohne Ava zu  wecken, aus dem Schlafsack zu schälen, doch Willow schüttelt bestimmt  den Kopf, ihr Blick sorgenvoll. Sie zieht den Handschuh von ihrer  rechten Hand und legt diese auf meine Stirn. Wütend schlage ich sie weg  und bemühe mich weiter, aus dem Schlafsack zu kriechen. Das andere  Mädchen hält mich fest und schüttelt erneut den Kopf.

Ich  schüttele den meinen, als sie andeutet, dass ich mich wieder schlafen  legen soll. Sie darf nicht für mich auf ihren Schlaf verzichten. Ich  habe es nicht verdient, dass alle meine Verbündeten mich beschützen  wollen und für mich sich selbst zurücknehmen. Auch sie braucht ihre  Kraft. Wenn ich krank werde, dann ist das so. Dann habe ich es nicht  anders verdient. Ich – eine Mörderin und ein Monster. Es ist eine  Strafe, die ich verdient habe. Ich lasse nicht zu, dass Willow für ein  Monster, wie ich eines bin, sich selbst vernachlässigt. Es wäre besser  für sie und für Ava, wenn ich tot wäre. Nun ist Ava nicht mehr allein,  wenn ich gehe. Aber kann ich wirklich schon gehen? Ich habe Angst.

Willow  gibt nicht nach, also tue ich es irgendwann. Nicht, weil ich mich  geschlagen gebe, sondern weil meine Kräfte mich verlassen. Erschöpft  sinke ich zurück in den Schlafsack und noch ehe Willow sich wieder auf  ihren Wachplatz begeben hat, bin ich erneut eingeschlafen.

Am  nächsten Morgen weiß ich, dass ich tatsächlich krank bin. Ich schwitze  und zittere zugleich, mein Hals brennt höllisch und meine Nase ist  verstopft. Ich habe gedacht, dass ich mich an die Kopfschmerzen, wenn  sie auch bisher auf Wasser-, Schlaf- und Nahrungsmangel zurückzuführen  waren, gewöhnt hätte, aber nun fühlt sich mein Kopf wieder an, als würde  er explodieren.

Ich weiß, dass es keine Strafe ist. Jedenfalls  nicht für das, was ich getan habe. Nicht für die Ermordung der Jungen  aus 3 und 7. Nicht einmal die Spielmacher können das beeinflussen und  wenn, würden sie es nicht tun. Die Krankheit ist eine Strafe für meine  eigene Dummheit. Ich habe versucht, das Blut meiner Opfer von meiner  Kleidung zu waschen. Habe ich nicht auch versucht, die Schuld von mir zu  waschen? Aber das kann ich nicht. Ich habe zwei unschuldige Menschen  auf dem Gewissen. Jetzt bis in alle Ewigkeit oder bis zu meinem Tod, der  bald folgen wird. Welche Chancen habe ich denn noch? Wenn Ava und  Willow vernünftig sind, lassen sie mich zurück und verschwinden von  hier. Ich werde hier liegen bleiben. In der Hoffnung, dass die Karrieros  mich finden und alldem ein Ende setzen, bevor das Fieber mir ein langes  und qualvolles Ende bereitet.

Ich spüre, wie sich meine Augen  mit Tränen füllen. Tränen, die nur deswegen nicht gefrieren, weil mein  Kopf wie die Kohlen eines Feuers zu glühen scheint. Ich habe es doch so  weit geschafft. Habe das Füllhorn überlebt und den Eisregen. Nur, um  jetzt zu sterben? An einer einfachen Erkältung? Ich werde sie nie  wiedersehen – meine Mama, meinen Papa, Lea, Lacey und Durian. Ich habe  ihm versprochen, dass ich gewinnen werde. Ich habe mir versprochen, dass  ich ihn aus der Hölle des Kapitols befreien werde. Ich habe meinem Papa  versprochen, dass ich gewinnen werde.

Eine Hand in meinem  Nacken, die meinen Kopf leicht aufrichtet, reißt mich aus meinen  Gedanken. Meine Augen brauchen einen Moment, bis sie das Mädchen aus 11  erkennen, das vor mir auf dem Boden kniet und eine eiskalte Flasche an  meine Lippen hält. Ich möchte das Wasser ablehnen, doch ich kann nicht.  Der Blick Avas, die neben Willow kniet, ist so voller Sorge, ich ertrage  es nicht. Ich ertrage den Durst nicht mehr, der mich beinahe wahnsinnig  macht. Gierig schlucke ich das eisige Wasser, das in meiner brennenden  Kehle so schmerzt, dass ich meine, ohnmächtig werden zu müssen. Viel zu  schnell ist die Flasche leer. Ich beobachte, wie die Elferin Hände voll  Schnee in die Flasche stopft, diese verschließt und unter ihren Overall  steckt.

Die 101. Hungerspiele★ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt