Ava hebt ihre Arme über den Kopf, als Zeichen dafür, dass sie sich ergibt. Reflexartig tue ich es ihr gleich, obwohl ich weiß, dass es sinnlos ist.Die Karrieros wird dieses Zeichen der Ergebung nicht davon abhalten, uns zu töten. Eine Mutation des Kapitols noch weniger. Wenn jetzt unser Ende gekommen ist, dann ist es das. Dann kann ich es nicht ändern. Wie denn auch? Wir haben nichts. Nichts, womit wir uns verteidigen könnten. Den Pfeil, der mir zu Beginn der Spiele fast das Leben gekostet hat, haben wir irgendwann verloren. Aber auch er wäre nutzlos, wie sollten wir ihn einsetzen, ohne einen passenden Bogen? Zumal ich es nicht noch einmal kann. Töten. Schon zu viel Leid habe ich angerichtet. Eher sterbe ich selbst, steche mir das Messer in die eigene Brust, als dass ich noch einmal töte. Das Kapitol hat mich schon zweimal zu seiner Waffe gemacht. Schon zweimal zu einer Mörderin gemacht. Ich kann, ich werde es nicht zulassen, dass sie mich weiterhin benutzen wie eine ihrer Marionetten. Ich bin ein Monster, das kann ich nicht mehr ändern. Aber ich kann verhindern, dass noch mehr Menschen durch meine Hand sterben. Dass noch mehr Familien und Freunde leiden müssen, weil ich ihnen das Kind, den Bruder oder die Freundin genommen habe. Noch kann ich beweisen, dass das Kapitol mich nicht vollständig besitzt und wenn ich dafür selbst sterben muss, werde ich es tun. Ist sterben nicht sowieso besser als leben?
Aber warum tue ich es dann nicht, sterben. Es scheint als wäre die Zeit stehengeblieben. Eingefroren. Erstarrt wie die Splitter von Eis auf dem Waldboden. Vorsichtig, ganz langsam, bewege ich den Kopf, versuche mit den Augen die Quelle von Avas Reaktion ausfündig zu machen. Versuche zu ergründen, in welche Richtung sie blickt, um selbst zu erfahren, mit welcher Gefahr wir es zu tun haben. Nicht die Karrieros. Keine Mutation. Dann wäre ich nicht mehr hier, um darüber nachdenken zu können.
Als ich sie entdecke, weiten sich meine Augen als Zeichen der Überraschung und des Wiedererkennens. Ich verspüre keine Angst, obwohl der kümmerliche Pfeil auf ihrem mickrig wirkenden Bogen unmissverständlich auf Ava und mich gerichtet ist. Ich weiß, dass sie trifft, wenn sie will. Noch vor wenigen Minuten habe ich es mit eigenen Augen gesehen. Und dennoch habe ich keine Angst. Stattdessen mischt sich etwas wie untergründige Wut unter die Überraschung. Es sind noch keine 24 Stunden her. Warum war sie nicht da, als er Hilfe brauchte. Sie waren Verbündete. Und sie war nicht da. Hat ihn einfach sterben lassen. Einfach so. Ich spüre, wie die Wut stärker wird. Wie sie in mir hochkocht und alles andere verdrängt. Die Überraschung. Den Hunger. Den Durst. Die Kälte. Die Erschöpfung. Und zuletzt. Die Angst. Die Wut füllt mich aus und macht, dass ich zittere. Ich sehe mich um. Auf der Suche nach einem Ast oder irgendetwas. Einer Waffe. Ich möchte vorpreschen. Möchte mich auf sie stürzen. Nach vorne stürmen. Doch bevor ich es mache...
...tut sie es. Wobei „stürmen" das falsche Wort ist. Langsam, ganz langsam, sodass man es kaum wahrnimmt, bewegt sie sich Zentimeter um Zentimeter nach vorne, heraus aus dem Gebüsch, das sie bis eben noch so gut versteckt hat, dass sie bei den gegenwärtigen Lichtverhältnissen beinahe unsichtbar war. Aber nur beinahe. Ihren offenbar selbstgebauten Bogen mit dem Pfeil hält sie weiterhin auf uns gerichtet.
„Wir sind unbewaffnet, wir tun dir nichts", verlassen die Worte meinen Mund, bevor sie in meinem Kopf angekommen sind. Eine Lüge. Und ein Fehler. Willow zuckt erschrocken zusammen und die Sehne ihres Bogens rutscht aus den Fingern ihrer rechten Hand. Ich reiße Ava vor mir zu Boden und verhindere somit, dass der Pfeil sein vorbestimmtes Ziel findet. Den Luftzug spüre ich trotzdem.
Erschrocken, mit käseweißem Gesicht, starrt das Mädchen aus Distrikt 11 uns an. Nein, sie starrt mich an. Die Frage steht ihr ins Gesicht geschrieben.
Ich weiß nicht, ob es klug ist, sie einzuweihen. Sie war gerade im Begriff uns zu töten. Hätte es getan, wenn ich nicht schnell genug reagiert hätte. Andererseits. War nicht auch ich wieder in Begriff sie zu töten. Wie den Jungen aus Distrikt 7. Den aus 3. Blut. Überall Blut. Rot. So viel Blut. Ich bin eine Mörderin. So viel Blut.
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Die 101. Hungerspiele★
FanfictionCorina Henson ist 16 Jahre alt und kommt aus Distrikt 8. Vor knapp 3 1/2 Jahren verlor sie bei einem Arbeitsunfall ihr Gehör. Als sie für die diesjährigen Hungerspielen ausgelost wird, scheint alles verloren. Doch dann beschließt Corina zu kämpfen...