Erschrocken lasse ich das Messer fallen und es färbt den Schnee rot. Mein Blick ist starr auf die Waffe gerichtet. Habe ich die Spitze gerade tatsächlich auf meine eigene Brust gerichtet? Nein! Das kann nicht sein! Ich habe meinem Vater versprochen, dass ich versuchen würde zu gewinnen. Was er jetzt wohl von mir denkt? Meine Mutter! Sie hat sehen müssen, wie ihre eigene Tochter für die Spiele ausgelost wurde. Sie hat Abschied nehmen müssen, in der Gewissheit, ihre Tochter nie wieder lebendig sehen zu können. Sie muss ohnehin schon genug leiden und ich habe ihren Schmerz nur vergrößert.Meine Beine geben unter mir nach und ich knicke ein, falle in den Schnee. Den Tränen, die in meinen Augen brennen, lasse ich freien Lauf. Sie brennen wie Feuer, als sie meine Wangen hinunterlaufen. Durch den Tränenschleier sehe ich ihn. Den Jungen, den ich getötet habe. Der mich getötet hätte, wenn nicht ich es getan hätte. Aber auch er war nur eine Marionette des Kapitols. So wie ich eine Marionette bin. Ich habe mir geschworen. Ich habe mir geschworen, dass ich mich nicht von ihnen benutzen lasse. Dass ich mich nicht wie eine willenlose Spielfigur hin und her schieben lasse. Ich habe schon jetzt verloren.
Er liegt ruhig da. Fast als würde er schlafen. Wäre da nicht das Blut, das seinen Overall tränkt und den Schnee um ihn herum tiefrot gefärbt hat. Wäre da nicht das Messer, das blutig vor mir liegt. Wäre da nicht die Gewissheit, dass ich diejenige bin, die das Messer in seine Brust gerammt hat. Ich würge. Reflexartig lehne ich mich zur Seite und erbreche Wasser und Galle, da nichts mehr in meinem Magen ist, was es zu erbrechen gäbe. Ich würge erneut. Doch es kommt nichts mehr. Meine Kehle brennt und mein Kopf pocht. Mein Kreislauf wird jeden Moment zusammenklappen. Ich zittere am ganzen Körper.
Wie gerne würde ich jetzt mit dem Jungen aus Distrikt 7 tauschen. Er ist zwar tot, aber er muss nicht mehr leiden. Aber ich darf nicht aufgeben. Ich habe es meinem Vater versprochen. Ich habe mir versprochen, dass ich für Durian gewinnen würde. Wenn überhaupt, dann habe ich nur als Siegerin die Möglichkeit, ihm zu helfen. Und Lacey – ich muss ihr das Halstuch wieder geben. Es gehört mir nicht. Mit meiner rechten Hand fasse ich unter den Overall, doch sie zittert so stark, sodass ich ewig brauche, bis ich den Stoff zu fassen bekomme. Ich ziehe das Halstuch hervor und presse mein Gesicht hinein. Ich atme tief und zitternd ein. Es riecht nach meiner besten Freundin. Und nach Distrikt 8. Meinem Zuhause.
Plötzlich werde ich mir einer Sache bewusst. Zittrig schiebe ich das Tuch wieder in den Overall. Ich versuche, mich aufzurichten und sofort beginnt sich wieder alles um mich herum zu drehen. Keuchend sinke ich zurück in den Schnee. Ich atme tief durch. Ich muss hier weg. Die Kanone ist schon längst ertönt und sie werden ihn holen wollen. Ich muss hier weg. Oder sie werden etwas machen, damit ich fliehen muss. Vor meinem inneren Auge erscheint eine grausige Mutation - eine Mischung aus Wolf und Bär, mit der sie letztes Jahr die Tribute gejagt haben.
Ohne darüber nachzudenken, greife ich nach dem Messer, das immer noch neben mir auf dem Boden liegt. Möglich, dass ich es noch brauchen werde. Dann versuche ich erneut, mich aufzurichten. Ich möchte die Augen schließen, doch ich bezweifle, dass es dadurch besser wird. Langsam, um meinen Kreislauf nicht zu überfordern, richte ich mich auf. Doch selbst die kleinsten Bewegungen sind zu viel. Die Bäume um mich herum schwanken und die Kopfschmerzen sind so stark, dass mein ohnehin schon unsicheres Blickfeld verschwimmt.
Vielleicht sollte ich doch hier warten, bis sie versuchen, mich zu vertreiben? In diesem Zustand komme ich nicht weit. Vielleicht ist es das Beste, wenn ich warte, bis sie mich umbringen. Ich werde sowieso früher oder später sterben. Warum nicht jetzt?
Nein! Ich schüttele energisch den Kopf und kann mir gerade noch rechtzeitig die freie Hand in den Mund stecken, bevor ich von Schmerzen gepeinigt aufschreie. Ich schwanke und fuchtele mit der Hand, die das Messer hält herum, um das Gleichgewicht wieder zu erlangen. Wie ein Sack Mehl falle ich um und kippe zufällig gegen einen Baum, der mir Halt gibt. Mit der freien Hand umklammere ich den Baum.
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Die 101. Hungerspiele★
FanfictionCorina Henson ist 16 Jahre alt und kommt aus Distrikt 8. Vor knapp 3 1/2 Jahren verlor sie bei einem Arbeitsunfall ihr Gehör. Als sie für die diesjährigen Hungerspielen ausgelost wird, scheint alles verloren. Doch dann beschließt Corina zu kämpfen...