Sein Gesicht verzieht sich zu einer grässlichen Fratze, als er sich zu mir hinunterbeugt und sein Messer an meine Kehle drückt. Ich spüre wie die Klinge in die oberste Schicht meiner Haut schneidet und Blutstropfen hervorquellen.
Nein! Ich will nicht sterben. Hilfe! Ich will nicht sterben.
„Ich werde dich töten, Acht", flüstert er und seine Stimme zischt wie eine Schlange, „Ich werde dich töten und du kannst nichts dagegen tun!" – „Nein", wispere ich, „Bitte, töte mich nicht!" Seine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. Er nimmt das Messer von meiner Kehle und rammt es tief in meine Brust. Ich krümme mich zusammen. Die Schmerzen sind unerträglich. Ich halte das nicht aus! Ich schlage um mich, obwohl ich weiß, dass ich nichts mehr tun kann. Ich werde sterben. Hier und jetzt. Papa, es tut mir so leid!
Der Junge aus Distrikt 7 kniet immer noch über mir und lächelt mich an. Doch das Lachen – das Lachen, das ich höre. Es kommt nicht von ihm. Ich drehe den Kopf, sodass ich an ihm vorbei hinauf in die Bäume schauen kann. In einer der Kronen zwischen dem dichten grünen Laub erkenne ich Ava. Die Kleine deutet mit der rechten Hand auf mich. Sie lacht.
Ich fahre aus dem Schlaf hoch. Mein Atem geht schnell. Mein Körper ist klatschnass vom Angstschweiß. Es war nur ein Traum. Nur ein Traum. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Einatmen.
Langsam beruhigt sich mein Atem und die grauenvollen Bilder meines Traumes verblassen. Es war nur ein Traum. Ich lebe.
Es ist immer noch Nacht, die lediglich vom Mond, der durch das dichte Blätterwerk dringt, erhellt wird. Ich muss eingeschlafen sein. Jetzt sitze ich kerzengerade im Schlafsack, den seltsamen Apfel von Ava immer noch in der Hand. Ava! Wo ist sie? Ich lasse meinen Blick nach oben in den Baum schweifen, in dem sie eben noch saß und gelacht hat. Nein! Sie hat nicht gelacht. Es war ein Traum. Ich meine, in den Schatten zwischen den Ästen die kleine Gestalt meiner Verbündeten zu erahnen und atme erleichtert auf. Ich habe gedacht, sie hätte mich verlassen. Grund genug hätte sie. Aber sie ist geblieben.
Ich umklammere den Apfel und beiße hinein. Selbst im schwachen Licht des Mondes kann ich das leuchtende Lila, das unter der Schale aufleuchtet, sehen. Erschrocken spucke ich das Stück, das ich abgebissen habe, in den Schnee. Vorsichtshalber wische ich mir mit der linken Hand über den Mund. Mein Atem geht wieder schneller. Lilafarbige Äpfel? Wollte Ava mich vergiften? Als Vergeltung dafür, was ich dem Jungen aus ihrem Distrikt angetan habe? Ich habe ihn getötet, ich hätte es verdient.
Nein! Ava ist nicht so wie ich oder er oder der Junge aus Distrikt 1. Sie könnte nie töten. Egal wie gerechtfertigt es wäre.
Misstrauisch betrachte ich den Apfel im Mondlicht. Das Lila leuchtet verräterisch und schreit geradewegs danach, dass es giftig ist und ich es nicht essen sollte. Doch Ava hat auch davon gegessen, oder nicht? Und sie lebt noch. Ich muss es zumindest versuchen. Außerdem, wenn ich nicht bald etwas Festes in den Magen bekomme, lebe ich nicht mehr lange. Ich will nicht verhungern. Ich würde jeden Tod dem des Verhungerns oder Verdurstens vorziehen. Wirklich jeden.
Unsicher führe ich den Apfel wieder zum Mund und nehme einen Bissen. Schließe den Mund und kaue. Die Frucht schmeckt süßlich, in etwa wie eine Orange, aber da ist noch ein Beigeschmack. Ich denke, dass es Kokos ist. Im Kapitol gab es einmal Hühnchen in Kokossoße. Beim Gedanken daran läuft mir das Wasser im Mund zusammen, aber die Frucht schmeckt auch gut. Besser, als ich gedacht habe. Sobald ich den Bissen hinuntergeschluckt habe, beiße ich erneut ab. Ich zwinge mich, langsam zu essen. Es ist so lange her, dass ich etwas Richtiges gelesen habe – ich denke nicht, dass es gut wäre, jetzt zu schlingen.
Während ich esse, breitet sich ein wohlig-warmes Gefühl in meinem Magen aus. Der Apfel ist anders als ein gewöhnlicher Apfel. Als ich fertig bin, fühle ich mich so satt wie schon lange nicht mehr.
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Die 101. Hungerspiele★
FanfictionCorina Henson ist 16 Jahre alt und kommt aus Distrikt 8. Vor knapp 3 1/2 Jahren verlor sie bei einem Arbeitsunfall ihr Gehör. Als sie für die diesjährigen Hungerspielen ausgelost wird, scheint alles verloren. Doch dann beschließt Corina zu kämpfen...