Wo ist Ava?!

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Es  wäre so schön, jetzt einfach einzuschlafen und nie mehr aufzuwachen.  Ich kann nicht mehr. Ich bin am Ende. Alles tut weh. Der Kopf, der Hals,  die Brust, die Hände. Diese unendliche Hitze. Mein Körper droht zu  verglühen. Ich schließe meine Augen, will, dass es aufhört.

Ich  sehe kunterbunte Flecken in allen Regenbogenfarben. Rot. Gelb. Grün.  Lila. Blau. Sie sind schön. Sie umgeben meinen Körper wie in einer  riesigen schützenden Blase. Sie pulsieren. Werden größer und kleiner.  Ich fühle mich schwerelos. Gleite durch die bunten Flecken. Vor mir  verdichten sich die Flecken wie vor einer unsichtbaren Wand und  mittendrin Durian. Er streckt seine Arme nach mir aus. Lächelt mir zu.  Es ist ein schönes Lächeln. Kein zungenloses Lächeln. Ich strecke ihm  meine Hände entgegen. Er zieht mich fort, durch die kunterbunten Flecken  hindurch. Ich spüre ein leichtes Kribbeln, als wir die Fleckenmauer  durchbrechen. Durian zieht mich weiter. Immer höher und höher. Dort sind  die Wolken. Wir springen. Springen von Wolke zu Wolke. Es fühlt sich an  wie die Betten im Trainingscenter. So weich und federleicht. Es ist,  als würden wir fliegen. Keine Schmerzen. Keine Hitze und kein Hunger. Es  ist so schön. Die Wolken sind lila. Wie aus Zuckerwatte. Es ist so  köstlich. Ich lächle. Ich bin frei.
Eine Erschütterung im Boden reißt  mich fort. Fort von den lila Wolken. Der Zuckerwatte. Der Freiheit und  Unbeschwertheit. Und von Durian. Sofort kehren sie zurück. Die  Schmerzen. Der Hunger. Der Durst. Die Angst. Todesangst. Und die Hitze.  Allen voran die Hitze. Wo bin ich? Ich verbrenne. Aber kann das sein?  Die Arena. Eine Wüste aus Eis. Eis ist kalt. Ich kann nicht. Die  Erschütterung. Eine Kanone. Wer ist...? Warum nicht ich? Warum bin ich  immer noch hier? Ich bin doch schon so gut wie tot. Nur noch halb  lebendig. Mein Leben hängt am seidenen Faden und sobald die Karrieros  mich entdecken, ist es vorbei. Warum können sie mich nicht endlich  erlösen? Womit habe ich das verdient? Es tut mir leid. Papa. Mama.  Lacey. Lea. Durian. Willow. Ava.

Ava. Willow. Wo sind sie? Was  ist, wenn die Kanone...? Nein, das darf nicht sein. Nicht wegen mir. Für  mich. Diese Medizin. Es ist sinnlos. Sie wird mich nicht retten. Ich bin  doch schon so gut wie tot. Aber ich würde es mir nie verzeihen. Nie.  Ava! Die kleine, unschuldige Ava! Sie hat es nicht verdient. Sie ist  doch noch so jung. Und Willow. Nur zwei Jahre älter. Noch so jung.

Ich  spüre etwas an meinen Lippen, doch ich bin zu schwach, um mich zu  wehren. Wenn es Gift ist... wenn es die Karrieros sind, soll es so sein.  Ich bin bereit. Keine Schmerzen mehr. Kein Hunger. Kein Durst. Keine  Hitze. Kein Junge aus Distrikt 7, der mir lächelnd verkündet, dass er  mich jetzt töten wird. Keiner aus Distrikt 3, der blutüberströmt und  wahnsinnig auf mich zu stürmt. Ich bin bereit. Gehorsam schlucke ich.  Wenn ich auch fast zu schwach dazu bin. Etwas rinnt langsam meine  verbrannte Kehle hinunter. Noch ein Schluck. Es ist eiskühlend und  mollig warm zugleich. Noch ein Schluck und dann ist da nichts mehr.

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Als  ich das nächste Mal blinzelnd die Augen öffne, ist es finstere Nacht.  Nur der Mond wirft seine kalten Strahlen durch das Blätterdickicht und  bringt die Eissplitter, die einfach nicht verschwinden wollen oder  können, zum Schimmern.

Ich lebe noch. Wie kann das sein? Die  Karrieros? Das Gift? Ich spüre den Stoff des Schlafsacks um mich herum.  Mir ist warm. Nicht heiß. Die Kopfschmerzen. Fast verschwunden. Ich kann  wieder atmen. Tief ein und aus. Ein und aus. Ich lebe!

Mühsam  richte ich mich auf meine Ellenbogen gestützt auf. Es kostet mich Kraft.  Aber nicht so viel, wie es mich gekostet hat, als das Fieber mich fast  umgebracht hat.

Am Rand der Lichtung nehme ich eine hektische  Bewegung wahr sobald ich mich gerührt habe. Doch ich habe keine Angst.  Wären es die Karrieros oder eine Mutation, wäre ich schon längst tot.  Die Karrieros würden mir nie helfen, dass ich wieder gesund werde. In  wenigen Sekunden kniet Willow neben mir. In ihren Augen glitzert die  Erleichterung. Doch etwas stimmt nicht. Ich lasse meinen Blick über die  Lichtung schweifen. Und noch einmal. Noch einmal. Ich spüre einen Stich  in meiner Brust, der immer größer und größer wird. Ich keuche und  schüttele den Kopf, der nicht mehr schmerzt, als mir die Tränen in die  Augen steigen. Ich ringe nach Atem. Doch es ist nicht die überstandene  Krankheit, die mich zu ersticken droht.

Die 101. Hungerspiele★ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt