(AVAS POV)
„Aber wir können Corina nicht alleine lassen", protestiere ich mit gedämpfter Stimme, auch wenn Corina uns nicht einmal hören würde, wenn ich laut brüllen würde. Die Karrieros würden uns hören. Willow widerspricht mir: „Wir müssen! Die Nachricht aus dem Fallschirm ist eindeutig!" – „Und wenn sie uns damit nur Angst machen wollen, die Spielmacher?", entgegne ich, „Was ist, wenn die Pfeile uns geradewegs zu den Karrieros führen?"
„Wir haben keine Wahl", sagt das Mädchen aus Distrikt 11 mit fester Stimme, „Sonst machen sie mit der Todesdrohung ernst. Wer sind wir schon? Zwei kleine Mädchen aus 7 und 11. Wenn sie wollten, dass wir gewinnen, hätten wir längst schon den ein oder anderen Fallschirm bekommen, oder nicht?" – „Aber Corina", meine ich verzweifelt, „Sie hat keine Chance, gegen niemanden."
„Wenn wir den Pfeilen, die uns ganz sicher zu ihrer Medizin führen, hat sie keine Chance. Wenn wir also nicht den Pfeilen folgen, ist sie spätestens morgen tot", spricht Willow das Unaussprechliche aus. Ich schüttele den Kopf. Ich will es nicht wahrhaben, auch wenn ich weiß, dass die Vierzehnjährige Recht hat. Selbst in dem ersten fahlen Morgenlicht glänzt Corinas Gesicht vom Fieberschweiß und in der Nacht hat sie sich ständig stöhnend hin und her gewälzt. Zuhause in Distrikt 7 gehört es zum Alltag, dass Kinder, ältere Menschen, aber auch vergleichsweise kräftige Erwachsene, die eigentlich vollkommen gesund zu sein schienen, von einem Fieber dahingerafft werden.
„Vielleicht...", setze ich an, räuspere mich und fahre fort: „Vielleicht hast du Recht!" Die Ältere sieht so aus, als wolle sie etwas sagen wie „Natürlich habe ich Recht!", schweigt aber. So gibt sie mir die Möglichkeit, weiter meine Ängste und Zweifel zu äußern. Jede Nacht träume ich vom Füllhorn. Von dem Jungen aus Distrikt 1, der seinen Speer in das Mädchen aus Distrikt 5 stößt, bis das Blut nur so spritzt. Von dem Jungen aus Distrikt 9, die Mordlust in seinen Augen, die langsam erlischt, als er mit dem Speer in der Brust meinen zierlichen Körper unter sich begräbt. Die Todesangst, während ich drohe, unter der Leiche zu ersticken. Wenn die Karrieros Corina finden, ist sie tot. Aber wer sagt, dass Willow und ich das Mädchen aus Distrikt 8 gegen sie verteidigen könnten? Willow mit ihrem selbstgebastelten Bogen und ich mit...bloßen Fäusten?
„Wir müssen gehen, bevor es zu spät ist", betont Willow und sieht mich dabei eindringlich an. Ich bemerke die ersten Strahlen der Sonne, die durch die Baumkronen dringen und die Eissplitter, die immer noch den Boden bedecken, in Regenbogenfarben leuchten lassen. Einen Moment bin ich von dem Anblick abgelenkt, bis Willow mich sanft schüttelt und wieder in die Realität versetzt. Die tödliche Realität der Arena.
Ich sehe mich um. Noch zeigen die leuchtenden Pfeile am Boden einen eindeutigen Weg. Doch wie lange noch? Wann ist das Morgengrauen zu Ende?
Wir platzieren den Rucksack so, dass Corina ihn ohne große Anstrengungen erreichen kann, wenn sie aufwacht. Falls sie aufwacht. Ich schlucke und verdränge den Gedanken. Ich kann meine einzige Freundin an diesem schrecklichen Ort nicht verlieren. Das kann ich nicht.
Auch den Fallschirm und die Nachricht lassen wir in Corinas Reichweite zurück. Willow schultert ihren Bogen und steuert auf den ersten leuchtenden Pfeil zu. Ich bleibe noch einen Moment bei Corina zurück. „Wir werden uns wieder sehen", flüstere ich, mehr um mich selbst zu überzeugen, als irgendetwas bei Corina zu erreichen. Selbst wenn sie wach wäre, könnte sie mich nicht hören. Nach einem letzten Blick auf die Sechzehnjährige wende ich mich schweren Herzens ab und haste zu Willow, die sich ungeduldig zu mir umgedreht hat. Ich zwinge mich zu jedem einzelnen Schritt. Die Angst, Corina nie wieder zu sehen, nagt an mir, doch ich weiß, dass wir gehen müssen, wenn Corina eine Chance zu überleben haben soll.
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Die 101. Hungerspiele★
FanfictionCorina Henson ist 16 Jahre alt und kommt aus Distrikt 8. Vor knapp 3 1/2 Jahren verlor sie bei einem Arbeitsunfall ihr Gehör. Als sie für die diesjährigen Hungerspielen ausgelost wird, scheint alles verloren. Doch dann beschließt Corina zu kämpfen...