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Bez führt mich in meine Wohnung. Ich sinke auf das Sofa und rolle mich in eine Decke ein. Wie in Trance starre ich durch die Fensterscheibe auf das unruhige Meer hinaus. Die Wellen schlagen bestimmt hoch gegen den Felsen. Ohne Rast. Bez setzt sich neben mich. „Willst du die Versammlung abbrechen?" Ich schüttele den Kopf.

„Okay. In diesem Fall hast du morgen mehrere Verabredungen mit den Anführern verschiedener Länder. Ich gebe dir morgen früh eine Akte, die du dir durchliest. Und jetzt schlaf." Ohne ein Wort der Widerrede schließe ich die Augen. Vor mir sehe ich Jaxx. Er versinkt schmerzhaft langsam in der Dunkelheit. Ich möchte ihm folgen.

Ich werde mit dem penetranten Ton eines Weckers aus dem Schlaf gerissen. Um vier Uhr morgens. Ich kämpfe mich auf die Beine und taumle ins Badezimmer. Schnell dusche ich und gehe dann in den Kleiderschrank. Um nicht erst auf traurige Gedanken zu kommen, gehe ich ganz schnell an Jaxx Klamotten vorbei zu meiner Abteilung. Ich will ihn vergessen. Der Verlust des letzten halben Jahres nagt an mir. Erst mein Vater und jetzt Jaxx. Die einzigen Menschen, denen gegenüber ich offen war. Verraten von meiner nicht ganz so sauberen Halbschwester Thekla. Diese Schlange! Ich ziehe mich wie ferngesteuert an. Zu einem schwarzen Top eine schwarze Hose und schwarze Springerstiefel. Und um auch wie ein harter Verbrecher auszusehen, schnalle ich mir noch ein Holster um den linken Oberschenkel und stecke mir ein paar Wurfmesser in den Stiefelschaft. Während ich die Treppe hinunterlaufe, fällt mir ein schwarzes Etui auf dem Wohnzimmertisch auf. Die Krone. Bez tritt aus der Küche und reicht mir eine Tasse Kaffee. „Das ist jetzt vielleicht etwas fehl am Platz, aber ich wünsche dir alles Gute zum Geburtstag." Ich versuche zu lächeln, nehme die Tasse dankend entgegen und beginne, das warme Getränk zu genießen. Oder auch nicht. „Was ist das bitte?" Ich verziehe den Mund. „Was soll sein?" Bez schaut mich teilnahmslos an. Erst jetzt fallen mir seine leicht geröteten Augen auf. Hat er etwa geweint? Verständlich wäre es irgendwie, Jaxx war sein bester Freund. Ich stelle meine Tasse ab und umarme Bez. Der beginnt, leise zu schluchzen. „Er war mein bester Freund. Dieser verfluchte Penner!" Ich kneife die Augen zusammen. Aber meine Träne war wohl ein Unikat. 

Eine Weile stehen wir eng umschlungen da. Irgendwann löst Bez die Umarmung. „Wir müssen gehen." Ich nicke. Aber um diese Uhrzeit? Bez bemerkt mein Zögern. „Du hast einen Termin in einem örtlichen Tattoo-Studio." Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Wieso das?" „Erkennungszeichen. Solltest du schon längst haben, nur Jaxx war dagegen. Aber du hast entschieden und wir müssen weitermachen." Er klemmt sich das Kronenetui unter den Arm und reicht mir die Hand. Gemeinsam gehen wir in die Garage und nehmen den Bugatti- Schlüssel von dem Schlüsselboard an der Wand. Bez steigt freiwillig auf den Beifahrersitz. „Die Krone must du aufziehen. Solange die Versammlung noch andauert, musst du sie tragen. Ist Tradition." Ich seufze und stecke mir das Ding in die Haare. Mit quietschenden Reifen fahre ich los und kurve mit einem Affentempo durch das enge Parkhaus. Auf dem Weg zum Ausgang kommen wir an den Mechanikern vorbei. Kaum dass sie das Auto hören, stehen sie auf und nehmen ihre Kappen ab, die Blicke nach unten gerichtet. „Das ist schräg." Bez nickt. „Das wird die ganzen nächsten Tage so laufen. Du bist jetzt Witwe." „Wir waren aber nicht verheiratet." Bez zuckt die Schultern. Durch diese Gesten werde ich immer wieder an Jaxx erinnert. Ich möchte ihn vergessen. Er ist seit gestern Vergangenheit. Über verschüttete Milch zu weinen ergibt keinen Sinn. Wir erreichen das Ende des Parkhauses und der Schlagbaum öffnet sich automatisch. Das Sonnenlicht blendet mich. Links und rechts von der Straße kann ich meine ‚Untertanen' sehen, die allmählich zusammentrudeln, um die Messe in der Baze zu besuchen. Die nächsten Tage werden alle namhaften Verbrecher Techniken, Fischzüge und Sonstiges vorstellen. Taschendiebe werden Profit einfahren sobald man unachtsam wird und Hehler werden einem Kunstgegenstände oder Waffen anbieten. So hat es mir Doc jedenfalls erklärt. Ich fahre die Hauptstraße entlang, die parallel zum Ozean angelegt ist. „Du musst die erste Straße in der Stadt abbiegen und dann weiter geradeaus fahren." Ich folge Bez Beschreibung. Die mich umgebende Natur lässt mich völlig kalt, auch wenn die Blumen wunderschön in der Sonne tanzen. Bez lotst mich in einen kleinen ummauerten Hinterhof. „Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind?" Bez nickt. „Hier wohnt Danny. Bevor wir reingehen, sollte ich dich warnen. Danny ist vollblütiger Japaner, wiegt etwa 200 Kilo und hat sein Tätowierhandwerk noch bei den japanischen Meistern erlernt. Außerdem ist er verschwiegen wie ein Grab." Na dann. Wir gehen auf eine schmale Tür zu, die sich von der Backsteinwand kaum abhebt. Bez klopft drei Mal hintereinander in langen Abständen an. Die Tür öffnet sich, kaum dass seine Knöchel beim dritten Klopfer das Holz überhaupt berührt haben. Die 200 Kilo waren eher untertrieben. Danny der Japaner ist ungelogen so monströs, dass ihm sein T-Shirt in Zeltgröße kaum über den Bauchnabel reicht. Den man übrigens auch nicht sehen kann. Sein Alter ist nicht definierbar, aber immerhin stinkt Danny nicht. „Bez, mein Guter. Ist ne' Ewigkeit her." Die beiden begrüßen sich herzlich. Dann wendet Danny sich mir zu. „Das muss also die berühmte Victoria sein." Ich reiche ihm die Hand und er küsst sie überraschend galant. „Ist mir eine Ehre, Misses." Er dreht sich um und watschelt den schmalen Flur entlang zu einem nur erahnbaren Lichtfleck, den sein massiger Körper verdeckt. Das Licht kommt von einer Zahnarztleuchte, die über einer schwarzen Lederliege hängt und bedrohlich flackert. „Bitte da Platz nehmen." Ich lege mich auf die Liege. Danny schaut Bez wartend an. Der zieht einen weißen Zettel aus der Hosentasche und zeigt ihn Danny. „Sicher?" Bez nickt. Langsam bekomme ich ein mulmiges Gefühl im Bauch. „Was bekomme ich eigentlich für ein Motiv?" „Du hast es ihr nicht gesagt?", fragt Danny erstaunt. Bez schüttelt den Kopf. „Wieso auch." Na, wieso denn auch? Es geht ja nur um meine Haut. Aber auch egal. Ich schließe die Augen. Bez krempelt mein Shirt hoch und legt meine Hüfte frei. Seit ich bei der Mafia bin, habe ich abgenommen, dafür aber den einen oder anderen Muskel entdeckt. Deshalb steht mein Hüftknochen markant hervor. Ich will eigentlich nicht zuschauen, aber die Neugier hat mich gepackt. Ich öffne die Augen und verfolge gespannt, wie Danny mit einer Art Filzstift freihändig ein Motiv auf meine Haut malt. „Ist das..." Bez nickt. „Jap. Das ist ein Blitz." Ich verziehe die Augenbraue. „Bin ich jetzt Harry Potter, oder was?" Danny grinst. „Keine Angst, für Ron hat Bez zu dunkle Haare. Nein, nein, der Blitz ist ein Symbol der Macht, das auf die griechischen Götter der Antike zurückgeführt wird." Ich verdrehe die Augen und sinke zurück auf die Liege. "Eigentlich solltest du das Wort 'Victory'tätowiert bekommen, aber da du weiblich bist, lautet der Titel seit der Krönung 'Victoria'. Das ist aber nur wenigen Leuten bekannt, deshalb der Blitz." Danny hat inzwischen ein etwas seltsames Teil in der Hand und beginnt, die vorgemalten Linien nachzufahren. Fasziniert starrt Bez auf meine Hüfte und nickt zufrieden. Männer! Da ich eh nichts zu tun habe, schweifen meine Gedanken leider ab und landen bei Jaxx. Er hatte auch Tätowierungen. Einmal hat er vorgeschlagen, ich solle mir ein Hängebauchschwein tätowieren lassen. Aber bevor ich auf die blöde Idee kommen kann das laut zu sagen, verwerfe ich meine Erinnerung an Jaxx und widme der Prozedur meine volle Aufmerksamkeit. Nach weniger als einer halben Stunde ist Danny fertig und wischt ein letztes Mal mit einem Tuch über das frische Motiv. Bez hilft mir hoch und beginnt, die Tätowierung mit Folie zu umwickeln. „Muss das sein?" Er grinst. „Eigentlich nicht. Aber es macht Spaß!" Ich verdrehe die Augen und lasse ihn gewähren. Gemeinsam drängen wir uns wieder nach draußen vor die Tür. Das Auto steht zum Glück noch da, denn ich habe vergessen es abzuschließen, als wir angekommen sind. „Das ist jetzt nicht dein Ernst! Das Teil kostet eine Million Dollar und du vergisst, es abzuschließen! In einer dunklen Gasse!" Bez schüttelt ungläubig den Kopf. Ich war wohl zu sehr von dem Japaner abgelenkt, der auch jetzt wieder keuchend in seinem viel zu engen Türrahmen festzustecken scheint. Ich hebe zum Abschied die Hand und lasse mich hinter das Steuer gleiten. Bez klettert auf den Beifahrersitz. Mit quietschenden Reifen brettere ich los. „Du weißt aber schon, wo du hin musst?" Bez schaut mich zweifelnd an. „Ja, wieso?" „Naja, du bist in die falsche Richtung gefahren." Er lacht sich auf meine Kosten halb tot und ich stehe da wie ein Vollidiot. Immerhin hat einer Spaß und denkt nicht mehr an unseren Verlust. Mit quietschenden Reifen wende ich mitten auf der Straße und fahre ungerührt weiter. Ohne weitere Unterbrechungen erreichen wir die Baze. Um nicht mit der Folie um den Bauch aussteigen zu müssen – die Garage ist videoüberwacht - halte ich vor der Schranke und Bez hilft mir, das Cellophan zu entfernen. Etwas vorsichtiger als beim Rausfahren kurve ich an allen Autos vorbei und bleibe direkt vor der Tür zu meiner Wohnung stehen. Bez klettert heraus und öffnet mir die Tür. Galant will ich aussteigen. In diesem Moment wird mir schwarz vor Augen.


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt