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Als ich den Motor ausstelle, ist die Sonne bereits vollständig aufgegangen und blendet mich, als ich das Haus – dieses Mal durch den bekannten Eingang – betrete. Völlig geschafft falle ich auf das Sofa und schließe die Augen. Lange kann ich mich aber nicht so halten, zu sehr nagt mein schlechtes Gewissen an mir. Aber ein zweiter Anruf kommt nicht in Frage. Schlecht gelaunt schlurfe ich in die Küche und öffne den Kühlschrank. Anscheinend hat sich jemand die Mühe gemacht, unsere Vorräte aufzufüllen, jedenfalls fallen mir mehrere Eier entgegen, weil die einzelnen Bretter hoffnungslos überfüllt sind. Und weil ich nicht schnell genug reagiere, klatschen sie ausnahmslos auf den Boden, wo sie den Stein in eine glitschige Rutschbahn verwandeln. Seufzend schließe ich die Tür wieder und suche mir einen Lappen, um die Sauerei zu entfernen. Dabei schweifen meine Gedanken zu den Angreifern von heute morgen, als ich mein verbundenes Handgelenk sehe. Wer waren die, und vor allem, was wollten sie von mir? Hätten sie mich umbringen wollen, hätten sie das machen können. Ich habe mich kaum gewehrt und lag da wie ein Kalb, das man zur Schlachtbank führen will. Obwohl ich vermutlich weniger Gegenwehr geleistet habe. So sehr ich es auch versuche, ich kann mich noch nicht einmal an ihre Gesichter erinnern. Mir ist nur in Erinnerung geblieben, dass einer der Angreifer eine Frau war. Vielleicht bringt uns die Obduktion des Toten mehr. Aber dass das eine ausgewachsene Laboruntersuchung wird, glaube ich selbst nicht. Doc hat nur seine Arzttasche zur Verfügung und das sich da drin ein Massenspektrometer befindet bezweifle ich ernsthaft. Mit etwas Glück werden wir ihn über seine Fingerabdrücke identifizieren können. Und wenn das scheitert, werden wir seine Identität nie herausfinden. Ich habe wenig Lust, mir über den Vorfall weiterhin den Kopf zu zerbrechen, zu klar ist mir, dass ich ohne Fothys Hilfe versagt hätte. Als ich die Eier vom Boden entfernt habe, suche ich mir etwas Essbares aus einem anderen Vorratsregal und schmeiße mich wieder auf das Sofa. In diesem Moment geht die Haustür wieder auf. Doc, Fothy und Bernie sind wieder da und sehen noch schlimmer aus als ich mich fühle. Anscheinend haben sie nicht an der Tankstelle gehalten, um sich mit Getränken zu versorgen und da ich mit meinem Geländewagen gefahren bin, hatten sie nur noch den kleineren Wagen mit Glasdach zur Verfügung. „Das tut mir so leid!" Ich springe auf und hole Wasser aus der Küche. Fothy setzt sich eine Flasche an den Mund an und hört erst auf zu trinken, als sie leer ist. „Gib mir noch eine!" Ich reiche ihm eine zweite, die er auf dieselbe Art leert. Doc und Bernie tun es ihm gleich und so ist ein Sixpack mit Wasserflaschen schneller leer als ich gucken kann. Schuldbewusst starre ich auf den Boden und warte darauf, dass sie mir Vorwürfe machen werden, aber sie sagen nichts. Das ist beinahe noch schlimmer als schreien. Fothy kommt auf mich zu und nimmt mich in die Arme. „Wir haben mit ihm gesprochen. Anscheinend hast du einen ganz schönen Schaden bei ihm angerichtet. Aber er ist niemals unloyal. Du kannst ihm nach wie vor vertrauen. Dein Leben ist ihm immer noch wichtiger als seins und das wird sich niemals ändern. Dafür wurde er geboren und deshalb wird er sterben." Als ich geschockt die Luft einziehe, legt er nach: „Natürlich nicht sofort und auch nicht in naher Zukunft. Aber selbst ein junger Gott wie er muss diese Erde irgendwann verlassen." Als er registriert, was er gesagt hat, wird er rot und schweigt. Trotzdem bin ich ihm dankbar und das sieht er auch. „Und weil wir uns dachten, dass ihr beide einen Neuanfang braucht, wird Clara nun von einem anderen Kontaktmann aus Bologna betreut und wir haben Bez einfach mitgebracht." Doc öffnet die Haustür und er tritt ein. Im ersten Moment bin ich unendlich sauer auf die drei, dass sie mich jetzt sofort mit ihm konfrontieren, aber mein Unmut legt sich sehr schnell. „Meine Königin..." Bez starrt auf den Boden. Ich renne auf ihn zu und falle ihm um den Hals. „Es tut mir so leid", flüstere ich knapp neben seinem Ohr. „Und es tut mir leid, was ich gesagt habe. Aber ich kann Jaxx nicht vergessen." Bez nickt verständnisvoll und flüstert zurück: „Das sollst du auch gar nicht. Ich werde mich in gebührendem Abstand von dir fernhalten, aber ich bleibe immer bei dir." Ich wünsche mir, ich hätte ihm das nie gesagt. Hätte ich ihm verschwiegen, was ich über Jaxx denke, wäre alles in Ordnung geblieben und keiner hätte es je erfahren müssen. Aber jetzt ist es zu spät und wir müssen mit der Situation klar kommen. Also machen wir das Beste daraus.


Nachmittags kommt ein Informant vorbei und versucht ebenfalls, den Ursprung der Stick-Kopie festzustellen. „Wir haben jemanden bei der Cosa Nostra eingeschleust, aber der konnt auch nichts Näheres sagen. Er ist momentan Kapitän, aber ihm wurde nichts gesagt. Das heißt, entweder hat der Capo, sein Berater oder der Unterboss eine Ahnung. Es kommen also lediglich sechs Personen, wobei die Berater zu viert sind, in Frage, etwas über die Datei zu wissen." Fothy kneift seine Lippen zusammen und ich gehe los, dem Mann etwas zu trinken zu besorgen. Anscheinend sind nicht sehr viele Leute mit der Gabe gesegnet, im rechten Moment von der Autobahn abzufahren um sich an der Tankstelle etwas Flüssigkeit zu kaufen. Dankbar beginnt er zu trinken, was ähnlich aussieht wie Fothys Aktion. „Ich habe die Pläne aller Häuser dabei, in denen die sechs Personen wohnen. Jedes ist speziell und vor allem individuell gesichert, die Pläne sind also nicht ganz vollständig. Wir wissen zumindest von einem Haus, in dessen Garten mehrere Bärenfallen ausgelegt sind." Ich verdrehe die Augen und schaue mir die Zeichnungen an. Der Informant bleibt noch eine Weile und unterhält sich mit den anderen. Währenddessen studieren Bez und ich die Pläne genau. „Zumindest diesen Plan können wir ausschließen", sage ich und ziehe einen Bogen aus dem Stapel. „Das sieht aus wie ein altes Kloster oder so etwas in der Richtung. Anscheinend ist das nur eine Art Außenstelle. Auf jeden Fall gibt es keinen Strom und den braucht man für einen Computer." Natürlich könnte es sich auch um einen Laptop gehandelt haben, aber laut Bernie wurde der Stick auf einem Standrechner kopiert. Und der hat in einem Kloster eindeutig nichts verloren. Bez nickt und wirft ebenfalls einen Bogen zu Seite. „Das sieht etwa genau so aus. Es bleiben nur noch vier Häuser zur Auswahl. Anhand der Pläne können wir aber keins mehr ausschließen." Frustriert kicken wir das Papier zur Seite und lehnen uns zurück. Kurz darauf kommen die anderen zu uns und wir berichten von unseren Erkenntnissen. „Dann teilen wir uns auf und überwachen die Häuser allesamt. Irgendwann wird einer der Einwohner einen Fehler machen und dann haben wir ihn an den Eiern." Überrascht von dieser vulgären Formulierung aus Docs Mund muss ich laut loslachen, bis schließlich alle zumindest kichern müssen. Mit hochrotem Kopf kann ich mich schließlich wieder fangen und hole tief Luft. „So machen wir es. Wer nimmt sich welches Haus vor?"


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt