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Wie so oft in letzter Zeit erwache ich aus meiner absichtlichen Ohnmacht auf einer Art Tisch. Das muss endlich ein Ende finden! Als ich mich mit immer noch geschlossenen Augen aufsetze, spüre ich auch dieses Mal zu meiner Verwunderung kühles Metall. Vorsichtig luge ich durch meine Wimpern. Ich befinde mich in einem abgedunkelten Raum, dessen Ausmaße ich nicht gänzlich erkennen kann. Neben meinem Tisch steht ein Tablett auf einem Ständer, der mit allerlei Utensilien gefüllt ist, bei denen es mir die Zehennägel kräuselt. Lauter Bürsten, Haarwickler, Klammern und Sonstiges. All das erinnert mich an Thekla, die Schwester, die mich umbringen wollte. Alarmiert schwinge ich die Beine vom Tisch und gehe die ersten Schritte schon sehr sicher. Ich folge der einzigen Lichtquelle, die dieses Zimmer zu bieten hat und lande an einer Tür, die in ein hell erleuchtetes Zimmer führt. Meine richtigen Klamotten sind nicht mehr an mir, ich trage stattdessen einen Krankenhausoverall. Trotzdem verlasse ich den dunklen Raum und stehe im Licht. Darauf gefasst, im nächsten Moment von irgendwelchen Kidnappern geschnappt zu werden verflüchtigt sich, als Bez das helle Zimmer betritt. „Ach, du bist schon wach. Hätte ich nicht gedacht. Aber hier." Er hält mir einen Kaffeebecher hin, der verführerisch duftet und ich nehme ihn dankbar an. „Was ist das für ein Raum?" Ich deute auf das dunkle Nebenzimmer. „Wir haben dich ein bisschen aufgemöbelt. War zwar nicht viel zu machen, aber wir dachten, dass es vielleicht besser für beide Seiten ist, wenn du dabei nicht wach bist." Ich schaue an mir hinunter. Tatsächlich habe ich frisch manikürte Finger – und Zehennägel, meine Haare glänzen ein wenig mehr als sonst und ich spüre, nachdem ich mich darauf konzentriere, etwas Kaltes ähnlich einer Gurkenmaske im Gesicht. „Ich dachte schon, ich wurde während meiner kleinen Unpässlichkeit entführt." Ich grinse Bez an und setze mich neben ihn auf das Sofa. Er legt wie selbstverständlich einen Arm um mich und ich lasse es geschehen. Genau genommen lehne ich mich sogar ein wenig näher an ihn an. Er ist warm und duftet nach der Art Mann, die nie still sitzt und nicht ziellos durchs Leben geht. Falls man das überhaupt riechen kann. „Welchen Tag haben wir heute?" Bez überlegt einen Augenblick. „Den 17. Morgen gehen wir in dein altes Haus." Ich seufze. So bleiben wir eine Weile sitzen, bis er sich wieder rührt. „Heute haben wir noch eine Videokonferenz." Er steht auf und kramt in einer massiven, schwarzen Kiste. Kurz darauf setzt er sich mit einem Laptop wieder neben mich und klappt dessen Deckel hoch. Das Logo von Victory erscheint und einen Moment später öffnet sich automatisch ein Fenster, das den Blick auf Bernies Stirn freigibt. Auf der anderen Seite der Leitung ist der gerade dabei, die Kamera in die richtige Position zu rücken, sodass ich alle Anwesenden sehen kann. Bernie beginnt zu sprechen. „Bevor wir anfangen habe ich hier einen Herrn, der eine Audienz bei der Königin erbittet." Ich schaue Bez mit hochgezogener Braue an. „Was?" „Du musst jetzt eigentlich nur zuhören und entscheiden, was du als richtige Lösung für das bestehende Problem empfindest. Egal was du sagst, es muss ausgeführt werden. Eine Audienz bei dir ist die letzte Instanz." Ich verdrehe die Augen und richte mich wieder dem Laptop zu. „Audienz gestattet." Dabei komme ich mir so lächerlich vor, dass ich mich dabei erwische, wie ich den Raum verstohlen nach Zuhörern absuche. Im Bild erscheint ein Mann, der mir allzu bekannt vorkommt. „Mr. Perez, ich erinnere mich an Sie." Genau genommen hat er bei meinem ersten Showauftritt mit Jaxx versucht, mich auffliegen zu lassen. Der Angesprochene wird rot. „Es ist mir eine Ehre. Lang lebe die Königin!" Meint der das ernst? Ich hebe die Hand, bevor er weiterschleimen kann. „Was gibt es für ein Problem?" Er wird, soweit möglich, noch roter. „Ich bin Waffenhändler und agiere hauptsächlich in Mexiko. Bisher ist mein Geschäft sehr gut gelaufen, sowohl legal als auch schwarz." Und was kümmert mich das? „Nun hat sich aber ein fies festsitzender Konkurrent auf dem Schwarzmarkt etabliert und droht, meine Geschäfte auffliegen zu lassen. Wenn das passiert, lande ich im Knast! Dann kann ich die nächsten zwanzig Jahre stiften gehen!" Jetzt schaut er mich fast bemitleidenswert an. Das ist schon frech. Jetzt kommt er wie ein Wurm angekrochen und verpetzt seinen Konkurrenten beim Oberlehrer. Schnell habe ich einen Entschluss gefasst. „Was ich sage ist zwingend ein Befehl?", frage ich Bez noch mal zur Sicherheit. „Ja, egal was du sagst." Perez sieht so aus, als würde er gleich vor Erwartung explodieren. Wahrscheinlich malt er sich schon aus, welchen Gewinn er ohne Konkurrenz macht. Sowohl legal als auch schwarz. „Mr. Perez, ich bin kein Fan davon, Artgenossen zu verpetzten." Er wird weiß im Gesicht. Also ehrlich, der sollte wirklich mal zum Arzt. Ein solches Farbspektrum im Gesicht ist nicht normal. „Da Sie nun aber gepetzt haben, denke ich, dass es eine gute Idee wäre, wenn Sie die letzten Tage, die Ihnen vergönnt sind, ganz einfach tot verbringen." Sein Gesichtsausdruck friert ein. „Sie können doch nicht... Was... Ich habe Kinder..." Zuckersüß lächle ich ihn an und winke mit einer Hand zum Abschied. Sein Kopf verschwindet aus dem Bild und Bernie erscheint wieder. „Was war das denn gerade eben?" Ich schaue genervt. „Ihr habt doch gesagt, dass ich machen kann, was ich will. Und Mr. Perez, der Gute, hat früher einmal versucht, mich auffliegen zu lassen. Außerdem: Ohne Konkurrenz schläft das Geschäft ein." Bernie zieht die Augenbrauen hoch, sagt aber nichts mehr. Bez dreht mich zu sich herum. „Wenn das bekannt wird, hast du weniger Arbeit am Hals, weil die kleinen Verbrecher sich nicht bei jedem klitzekleinen Problem angelaufen kommen und eine Lösung erzwingen wollen. Das war also gar nicht mal so schlecht. Außerdem hast du damit bewiesen, dass mit dir nicht zu spaßen ist, auch wenn du eine Frau und noch sehr jung bist." Was soll dass denn jetzt heißen? Pikiert ziehe ich eine Augenbraue hoch. Aber egal. Unberührt wende ich mich wieder Bernie zu. „Was gibt es sonst noch so?" „Wir haben jetzt bei Stoneforth im Firmengebäude zu einer Pressekonferenz eingeladen. Übermorgen wird es auf den Titelseiten aller Zeitungen stehen, dass das verloren geglaubte Schaf aus eigener Kraft wieder nach Hause gekommen ist. Außerdem haben wir mit Henry Copper, dem Chef des FBI gesprochen. Er wird es arrangieren, dass keine Befragungen stattfinden werden." Ich nicke. „Klingt gut. Ich bezweifle allerdings, dass Copper sehr erfreut sein wird." Bez grinst mich an. „Inzwischen kann er uns ziemlich gut leiden. Seine Frau fährt nämlich ein neues Auto und sein Haus hat sich samt Pool ein klein wenig vergrößert. Er hat gemerkt, dass wir auch sehr freundlich sein können, wenn wir wollen." Ich lächle ihn an. „Keine schlechte Idee. Noch was?" Bernie zuckt ein wenig zusammen. „Wir haben für dich deinen Kleiderschrank aufmotzen lassen und dir eine neue Stylistin besorgt. So erzeugen wir dir ein Image, das dich als absolut oberflächlich und durchschaubar darstellt. Keiner wird Verdacht schöpfen." Oh nein. Nicht schon wieder. „Hat jemand ihren Lebenslauf überprüft? Ich will nicht schon wieder umgebracht werden." Beschwichtigend hebt Bez die Hände. „Keine Angst, die Neue ist clean. Würde mich auch sehr wundern wenn nicht. Du kennst sie sogar." „Wer ist es?" Bez lächelt verschwörerisch. „Wir haben deine ‚Schulfreundin' Lara engagiert. Sie ist allerdings eine Außenstehende und hat keine Ahnung, wo du so lange warst. Sie hat auf jeden Fall so eine Art Lehre bei einem Modedesigner gemacht und ist jetzt mitten im Berufsleben. Relativ erfolglos, zumindest bisher." Lara also. Ich hätte nicht damit gerechnet, sie jemals wieder zu sehen. Sie ist ein Teil meines früheren Lebens, das ich losgelassen habe. Jetzt kommt es wieder, ob ich will oder nicht. Immerhin weiß ich genau, dass sie nicht kriminell ist. Ich zucke lustlos mit den Schultern. „Wann kommt sie?" Bez klappt den Laptop zu und zieht mich vom Sofa hoch. „Ich bringe dich noch heute in dein Haus, wo sie schon auf dich warten wird. Es soll so aussehen, als würde sie sich schon länger um dich kümmern. Das bedeutet, dass du dich ein bisschen mit ihr warm spielen musst." Ich erhebe mich vom Sofa und drehe ein paar Runden um die Sitzgruppe. „Wieso glaubst du, dass ich am MIT mithalten kann? Ich bin seit einer halben Ewigkeit nicht einmal mehr in der Schule gewesen!" Bez zieht mich wieder neben sich. „Jaxx hat geglaubt, dass du das kannst. Und ich verlasse mich auf ihn. Außerdem kannst du die anderen Studenten ohne große Mühe mit einem einzigen Atemzug wegpusten. Was haben die in ihrem Leben schon erreicht? Vielleicht eine Modellrakete gebaut? Du bist eine Königin! Wenn das jemand schafft, dann du." Wow. Bez sollte wirklich Motivationstrainer werden. Immerhin habe ich jetzt zumindest das Gefühl, wenigstens annähernd klar zu kommen. Ich gehe ins Badezimmer um zu duschen, bevor ich Lara wiedersehe. Meine neuen Nägel sind dieses kleine Bisschen zu lang, um wirklich angenehm oder unauffällig zu sein und meine Haare sind so glatt, dass sogar der Haargummi rausrutscht, mit dem ich einen Zopf fixieren will. Ich hatte vergessen, wie lästig mein altes Leben war. Letztendlich steige ich dann einfach mit offenen Haaren unter die Dusche und lasse mir das Wasser auf den Kopf prasseln. Der feine Duft nach Beeren, der von dem garantiert sündhaft teuren Duschgel ausgeht, beruhigt mich und lullt mich in eine Wolke aus Gleichgültigkeit. Wen auch immer ich heute noch sehen muss, es ist mir egal. Das ist mein Job, so habe ich mich entschieden. Ich drehe das Wasser ab und trete aus der gläsernen Dusche. Die Handtücher sind warm und riechen nach Waschmittel. Eingekuschelt mache ich mich auf den Weg zurück zu Bez, um mir Kleidung abzuholen. „...nein, natürlich nicht. Sie hat nicht einmal einen Verdacht." Bez spricht sehr leise in sein Handy, es ist bemerkbar, dass ich nicht mithören soll, da sich sonst niemand in diesen Räumen aufhält. So leise wie möglich trete ich zurück ins Badezimmer. Ich erreiche die Tür. Bez lauscht noch immer. Meine Finger ertasten den Rand der Tür und wollen sie vorsichtig öffnen. Ein leises Quietschen ertönt, Bez schreckt im selben Moment hoch und versteckt sein Handy so gut wie möglich in seiner Hosentasche. „Schon fertig?", begrüßt er mich und deutet auf einen Koffer, der inzwischen geöffnet auf dem Boden liegt. „Such dir Klamotten raus. Ich gehe los und besorge uns was zu Essen." Mit einem Grinsen auf den Lippen verschwindet er durch eine mächtige Holztür. Darauf bedacht, das Handtuch nicht fallen zu lassen, knie ich mich vor den Koffer und beginne, dessen Inhalt genauer unter die Lupe zu nehmen. Wer auch immer gepackt hat, ich bezweifle ehrlich gesagt, dass es sich dabei um eine Frau gehandelt hat: Bei nahezu allen Klamotten handelt es sich um Unterwäsche in allen Farbvariationen. Ganz unten finde ich dann aber doch eine Jeans und ein Oberteil. Schnell schlüpfe ich in die Klamotten und ziehe mir Sportschuhe über die Füße. Da Bez immer noch nicht da ist, beginne ich, die Räume aufzuräumen. Um möglichst wenig Spuren zu hinterlassen putze ich das Badezimmer mit aggressiven Reinigern, wische über den Metalltisch auf dem ich geschlafen habe und schüttele die Bezüge des Sofas aus dem Fenster, natürlich mit anschließender Fensterbrettvollreinigung. Nachdem ich fertig bin, bin ich total geschafft. Aber wenn ich mich jetzt auf die Couch setzte, war die ganze Arbeit umsonst. Ich muss wohl oder über stehen bleiben. Wegen mangelnder Alternative beginne ich kurz darauf, das Tapetenmuster mit einem Kugelschreiber auf die Jeans über meinem Oberschenkel zu malen. Plötzlich drehen sich Schlüssel im Schloss. Vor lauter Schreck rutsche ich ab und zerstöre mein episches Kunstwerk mit einem fetten Strich. Bez steht in der Tür, unter seinen Armen befinden sich Bäckertüten und in der Hand hält er zwei Kaffeebecher. Einen davon reicht er mir. „Du hast zuletzt vor zwanzig Stunden etwas gegessen. Hau rein!" Er gibt mir auch eine der Tüten, in der sich ein riesiges, wirklich riesiges Croissant befindet. Gierig beiße ich hinein. Bez grinst mich an. „Die Tüte kann man aber nicht essen." Als Antwort schmeiße ich ihm die komprimiert ins Gesicht.


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt