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Tatsächlich ist mir ein bisschen flau im Magen, als Bez nach gefühlten zwei Stunden endlich langsamer wird und schließlich ganz stehen bleibt. Ich kann hören, wie er mit dem Posten am Tor verhandelt und innerlich bereite ich mich schon darauf vor, im Notfall mit Waffengewalt in die Anlage einzudringen. Aber Bez scheint sich geschickt aus der Bredouille zu reden. Schließlich geht der Motor wieder an und der Wagen setzt sich wieder in Bewegung, nur um hinter dem Tor an einem Verladeterminal wieder anzuhalten. Durch ein kleines Loch in der Metalltür kann ich sehen, wie die LKW-Plane zurückgezogen wird und andere Männer, die ebenfalls Camouflage tragen, damit beginnen, die Ladefläche auszuräumen. Der Inhalt der Kisten ist etwas modifiziert. Nach einem Zufallsprinzip haben wir die Kisten teils mit Sprengstoff und teils mit Kokain bepackt. Campinelli erwartet tatsächlich eine Ladung mit Kokain, aber den echten Transporter haben Fothy und Doc in der Zeit unserer Fahrt aus dem Verkehr gezogen. Unser Kokain haben wir aus einem Standort in Italien geholt. Ich wusste zwar nicht, dass unsere Einrichtung in diesem Umfang mit Drogen handelt, aber es überrascht mich auch nicht mehr wirklich. Jedenfalls war es genug, um den LKW zu füllen. Nach einer Viertelstunde ist die Ladefläche leer und das Terminal wirkt ebenfalls verlassen. Vorsichtig öffne ich den Verschluss der Türen und zwänge mich durch den kleinen Spalt ins Freie. Ich schaue versteckt hinter einer Plane in alle Richtungen und als die Luft rein ist, renne ich in das Terminal. Hinter der ersten Wand hole ich Luft und mache mich klein. Bez' Standpunkt kann ich auf einem kleinen Bildschirm erkennen, der an meinem Handgelenk befestigt ist: Momentan ist der in einer der Mannschaftsunterkünfte und unterhält sich mit seinen „Kollegen". Ungesehen arbeite ich mich weiter vor und sprinte von Ecke zu Ecke. Laut Plan muss ich noch zwei Häuser durchqueren, bis ich das Haus mit den Computerterminals erreicht habe. Und bis jetzt läuft es gar nicht mal so schlecht. Das nächste Haus ist voller Schlafzimmer und somit weitgehend verlassen, nur ein kleiner Junge von etwa zehn Jahren spielt mit einer Holzeisenbahn und schaut dabei fern. Jetzt befindet sich nur noch ein Haus zwischen mir und meinem Ziel. Ab hier endet der Spaziergang. Eine ganze Armada von Wachen steht vor dieser einen Tür und bewacht sie. Auf dem Plan steht nicht, was sich dahinter befindet, aber es scheint wichtig zu sein. Hinter einer Mauer stehend setze ich mich auf den Boden und fingere leise nach einer Rauchbombenkapsel, die sich in meinem kleinen Rucksack befindet. Von wegen leicht erreichbar! Völlig entnervt ziehe ich das Teil aus und nehme gleich mehrere der Metallkapseln in die Hand, frei nach dem Motto ‚Viel hilft viel'. Mit den Zähnen entferne ich die Stifte und schmeiße die Teile in Richtung Tür. Und sie tun, was sie sollen: Direkt unter den Füßen der Wachen gehen sie hoch und verwandeln den ganzen Flur in eine einzige Rauchhölle. In der entstehenden Verwirrung kann ich auf allen Vieren zwischen den Beinen hindurchkriechen. Das war doch einfacher als gedacht. Die Tür ist leider trotzdem verschlossen. Frustriert schlage ich dagegen. Bisher haben die Wachen noch nicht geschossen sondern nur geschrien und sind rumgerannt, aber der von mir verursachte Lärm scheint sie zur Gesinnung zu bringen. Ich kann hören, wie die Sicherungen der vollautomatischen Gewehre klicken und die Läufe sich auf mich richten. Verdammt! Zwar können sie mich immer noch nicht sehen, mich aber hören. Ich habe mit meinem Leben schon abgeschlossen, als sich die Tür öffnet. Bevor ich die Lage ganz begreifen kann, flutsche ich schon durch den Türrahmen und kicke den Mann auf den Gang hinaus. Hinter ihm trete ich die Tür ins Schloss. Anscheinend handelt es sich bei diesem Haus um das Büro von Campinelli. Kein Wunder, dass das so gut gesichert war. In diesem Moment geht der Alarm los und scheppert blechern in meinen Ohren. Jetzt wissen sie immerhin, das ich da bin. Und erneut mit der Eleganz eines Flusspferdes. Bernie und Fothy, die sich via Videobrille inzwischen zugeschaltet haben, diskutieren gerade laut darüber, wie das passieren konnte. „Ist dieses Büro brauchbar?", frage ich zwischen ihren Streitereien. „Nein. Aber du hast noch einen kleinen Sprengsatz dabei, oder?" „In meinem Rucksack, ja." „Dann öffne den Computer des Ziels und bringe ihn dort an." Das ist mir jetzt zu umständlich, ich schiebe die flache Platte einfach in das CD-Laufwerk und renne weiter. Wie zu erwarten war, sind auf der anderen Seite der Tür inzwischen ebenfalls Wachen eingetroffen und belagern sie. Einen Schritt zu viel und ich bin tot. Die gute Nachricht ist, dass ich hier auf der Seite der Tür sicher bin. Es handelt sich bei dem Büro nämlich um einen Panikraum, dessen Türen nur von innen zu öffnen sind. Mal ganz abgesehen von der Standhaftigkeit eben Dieser. Meine einzige Chance ist, vor der Tür zu sprengen. Deshalb suche ich mir den flachen Sprengsatz aus dem Computer wieder und schiebe ihn unter der Tür hindurch. Auf meiner Seite zünde ich das Teil und verkrieche mich unter dem Tisch. Wo ich schon mal hier bin, zerlege ich Campinellis Computer tatsächlich und nehme die Festplatte an mich sowie das ein oder andere Kassenbuch, das auf dem Tisch herumliegt. Und obwohl mein Rucksack jetzt etwa doppelt so schwer ist, bin ich froh um meine Entscheidung. In diesem Moment ertönt die Sprengung und beult die Tür ein wenig nach innen. Ich haste unter dem Tisch hervor, reiße die Tür auf und renne auf gut Glück zur nächsten Tür. Auf meinem Weg erschieße ich den einen oder anderen Wachmann und fange mir selber eine Kugel in der Schulter ein. Fluchend verstecke ich mich hinter der nächsten Tür. Die Männer auf der Basis hier sind anscheinend nicht die Hellsten, denn ich befinde mich im Raum der Computerterminals. Ich habe es tatsächlich geschafft und jauchze vor mich hin. „Gibs ihnen! Verwandle sie in Staub!", schreien Fothy und Bernie immer noch, sie werden von Doc aber zum Schweigen gebracht, als er sie darauf aufmerksam macht, dass ich mein Ziel längst erreicht habe. In diesem Moment öffnet sich ein Ventil an der Decke und ein Gas strömt in den Raum. Anscheinend sind die doch nicht so doof. „Zieh dir die Maske auf!", kreischt Fothy panisch. Hastig streife ich mir das Gummiteil, das schon um meinen Hals hängt, über Mund und Nase. In diesem Moment setzt ein heftiges Brennen in den Augen ein. „Das ist auch für die Augen giftig", keuche ich. Im selben Moment hat sich das Gas auch schon wieder verzogen. Vor der Tür warten die Soldaten vermutlich nur noch ab, bis ich hier drinnen umfalle und sie mich vom Boden sammeln können wie ein welkes Blatt. Aber ich hatte eine Maske auf. Nur meine Augen nicht. Keuchend erreiche ich das Terminal von Campinelli zu dem Bernie mich dirigiert und fummele fahring an dem Taschenverschluss meiner Hose herum. Der USB-Stick fällt mir aus der Hand, weil er so klein ist. Inzwischen setzt die Wirkung des Gases vollständig ein und raubt mir die Sicht. Mein Sichtfeld verkleinert sich drastisch, weshalb ich den Boden mehr abtaste als dass ich den Stick tatsächlich sehen würde. Schließlich finde ich ihn bei meiner linken Hand und richte mich am Tisch wieder auf. „Siehst du den Port?" „Was?" „Den Port!", wiederholt Bernie in meinem Ohr. „Ich sehe gar nicht mehr. Ich glaube, meine Augen sind zugeschwollen." „Und ich habe es dir noch gesagt, dass du vor solchen Attacken acht geben musst." Hat er gar nicht. „Richte deine Brille mal auf dich selbst." Gesagt, getan. „Oh du heilige Scheiße!", kreischt Doc auf und übernimmt das Mikro. „Kommst du an deinen Rucksack dran, da ist ein Medikit drin, das helfen kann." Bernie entreißt ihm das Mikro wieder. „Kümmere dich zuerst um den Port!" „Was?" Ich verstehe gar nichts mehr, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass sich die beiden am anderen Ende der Leitung inzwischen zu prügeln scheinen und gar nicht mehr auf mich hören. Ich seufze genervt und suche im Alleingang nach dem Port, ich finde sogar gleich mehrere Öffnungen im Metallgehäuse des Laptops. „Leute!", rufe ich, was Bernie und Doc zur Vernunft zu bringen scheint. „Ich sehe wirklich gar nichts mehr und hier sind mehrere Öffnungen." Hätten wir es nicht doch besser so eingerichtet, dass auch die Leute in der Baze mit mir kommunizieren können, dann wäre ich hier schon längst fertig. Aber nein, stattdessen schlage ich mich hier mit diesen Experten herum. „Äh... Ach so. Versuche dem Dritten von vorne", antwortet Bernie endlich. Ich taste mich entlang und friemele den Stick mit Bernies Regieanweisungen irgendwie in die Öffnung. „Jetzt noch Enter drücken." „Wo ist das?" „Also wirklich, du wirst doch schon mal eine Tastatur zu Gesicht bekommen haben", echauffiert sich Bernie. Bevor jetzt weiter diskutiert wird, haue ich mit beiden Handflächen auf die Tastatur. „... Oder so." Docs Stimme erklingt wieder. „Jetzt bin ich aber wieder dran, sonst ist der Schaden bald bleibend." Ich fingere an meinem Rücken herum und ziehe mir den Gurt des Rucksacks über den Kopf. „Sehr gut. Such in der großen Öffnung nach einem etwa handgroßen Kästchen aus Metall." Ich tue wie geheißen und halte kurz darauf besagten Gegenstand in der Hand. „Jetzt drücke an einer der kurzen Seiten einen Finger in die kleine Vertiefung. Sehr gut. Eine kleine Klappe ist gerade aufgegangen. Du kannst jetzt zwei kleine Ampullen fühlen. Die sind aus einem besonderen Polymer. Leg dich hin und platziere die Teile auf deinen Augen." Dafür muss ich die Videobrille ablegen, sodass Doc jetzt blind ist. „Vermutlich ganz gut. Jetzt brich das Ende der Ampullen ab und warte einen Moment." Erneut setzt ein abartiger Schmerz ein, der mir, wenn ich noch etwas sehen könnte, ebenfalls die Sicht nehmen würde. Ich kann spüren, wie das Blut aus den geschwollenen Stellen mit einem verdammt hohen Druck zurück in den Rest des Körpers gedrängt wird und wie meine Augen spürbar abschwellen. „Jetzt sind zwei Minuten um. Nimm die Ampullen von den Augen und mach sie wieder auf. Aber schau auf keinen Fall in einen Spiegel." Ich befolge Docs Anweisungen. Tatsächlich kann ich wieder etwas sehen. „Klappt super." „Na da bin ich aber beruhigt. Und nimm die Ampullen bloß wieder mit!" Ich tue wie mich geheißen, setze die Videobrille wieder auf und rappele mich hoch. „Du bist dir sicher, dass du den Stick richtig angebracht hast?", versichert Bernie sich erneut. „Ja." Zum Beweis schwenke ich die Brille auf die diskutierte Stelle und nehme ein zufriedenes Grunzen wahr. Schnell versiegele ich das Terminal mit einer Bahn aus dünnem Metall das ich an den Seiten in das Gehäuse der Computer niete. „Ich gehe jetzt. Bez, bist du auf Position?" „Ja. Ich musste meinen Standpunkt ein wenig optimieren, etwa zwei Meter weiter Richtung Tor." Gut zu wissen. Wie abgemacht ziehe ich meinen letzten Vorrat an Rauchkapseln aus dem Rucksack, ziehe meine Maske wieder über – hierfür war sie eigentlich auch gedacht – und entferne die Stäbe. Augenblicklich wird es um mich herum grau und ich taste mich zu der Tür auf der anderen Seite hinüber. Ich lege mich auf den Boden und stoße sie auf. Im selben Moment ertönen die ersten Schüsse die nur die Terminals treffen. Anscheinend haben die Leute hier immer noch nicht verstanden, dass ich mich die ganze Zeit ein Stockwerk weiter unten bewege. Immer noch auf dem Bauch robbe ich mich auf den Gang hinaus, erschieße eine Wache die mir im Weg steht und hechte in den nächsten Raum. Ich verbarrikadiere die Tür hinter mir und öffne das Fenster. Schnell knote ich mein Seil am erstbesten Gegenstand fest, den ich in diesem Raum finden kann und schwinge mich aus dem Fenster. Die Last an meinen Händen ist größer als erwartet und führt dazu, dass ich schmerzhaft am Seil entlangrutsche und unsanft auf den Boden knalle. Schnell drücke ich mich wieder hoch und sprinte in Richtung Laster. Zum Glück entdeckt mich niemand, mit meinem Aufzug halten sie mich für eine von ihnen und lassen mich passieren. Der LKW steht tatsächlich weiter vorne und zwar so weit von den Blumenkästen entfernt, dass ich nicht mehr auf die Ladefläche springen kann. Aber an der Seite des Lasters befindet sich eine Leiter und so klettere ich im Schutz der Mauer auf das Dach des LKWs. „Kann losgehen", flüstere ich und Bez startet den Motor. Von hier oben aus habe ich einen viel besseren Überblick und kann gemütlich die Wachen erschießen, die mich entdecken und auf mich aufmerksam machen wollen. Panisch klammere ich mich an die Seile, mit denen die Plane auf dem Heck befestigt ist und muss alle Muskeln anspannen, um nicht von meiner Position geschleudert zu werden. Wir werden nicht verfolgt.


Völlig geschlaucht klettere ich an einer Tankstelle vom Dach des Lasters herunter. Meine Arme hängen nur noch schlaff an meinen Seiten herab und auch meine sonstigen Muskelgruppen sind nicht sonderlich erfreut. Bez kommt auf mich zu. „Ach du scheiße, was ist denn mit dir passiert?" Geschockt starrt er mich an. Ich zucke unwissend mit den Augenbrauen und ziehe mir endlich die Maske vom Gesicht. „Ich habe keine Ahnung. Aber ich habe eine Kugel in der Schulter stecken. Und ich glaube auch eine im Bein, das habe ich nicht mehr so genau mitbekommen", lalle ich und falle um.


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt