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Mein Arbeitsplatz hat meinen ursprünglichen Biorhythmus total aus der Bahn geworfen, sodass ich inzwischen einschlafe, wenn es taghell ist und nachts arbeite. Und wenn man mal von meinem kleinen Aussetzer im Wald absieht, bin ich so selten in der Sonne, dass ich schließlich auch wegen meiner Hautfarbe zum Vampir werde. Aber bevor ich mir deshalb weiterhin den Kopf zerbrechen kann und zwangsläufig immer mehr nach Lara klinge, schließe ich mich lieber der Diskussion an, die in diesem Moment tobt. Da das Anschnallzeichen erloschen ist, stehe ich einfach so auf und gehe zu Bez hinüber. „Worüber streitet ihr euch gerade?" Fothy grinst. „Würden wir niemals tun!" Sein Blick in diesem Moment ist unbezahlbar. „Wir versuchen gerade, den Grundriss dieses Hauses richtig zu lesen", rettet Bernie ihn und schiebt mir ein riesiges Blatt Papier herüber. „Da wohnt das erste Ziel. Aber das Haus ist so alt, dass die Pläne unlesbar geworden sind. Und andere haben wir nicht." Mein Blick rast hin und her, um ein mögliches Muster zu erkennen. Aber da ist keins. „Das kann nicht sein. Wir müssen zuschlagen, wenn das Ziel außer Haus ist. Wo arbeitet dieser Mensch?" Bernie blättert in einem Ordner. „Bei einer Versicherung in der Rechtsabteilung." Wieso kennt so jemand das Geheimnis dieser Welt? Aber das ist zweitrangig. Bez starrt Löcher in die Luft und scheint dabei nachzudenken. „Es gibt nicht viele Möglichkeiten. Die Stadt ist sehr belebt und der Typ bewegt sich nur dort. Wenn wir nicht in sein Haus kommen, müssen wir ihn uns vorknöpfen, wenn ansonsten niemand anwesend ist." Fothy jongliert mit einem Messer. Hoffentlich trifft er keine schwache Stelle, denn seine Finger sind gefährlich nah an der tödlich scharfen Klinge. Schwach. Schwach... „Ich habs!" Die anderen schauen mich erwartungsvoll an. „Die einzige Schwachstelle in einer großen Stadt ist das Auto. Wenn man daran vorbeigeht, schaut man als Passant für gewöhnlich nicht näher hin." Bernie lächelt und nickt anerkennend. „Aber ein Schuss wäre selbst mit Schalldämpfer zu laut. Wir brauchen einen stillen Mord." „Autsch!" Fothy flucht los und umklammert dabei seine Hand. Habe ich es nicht gesagt? Okay, habe ich nicht. Aber gedacht habe ich es. Ich gehe los und hole das Medikit, das Doc vorhin mit an Bord gebracht hat. Sorgfältig beginne ich damit, Fothy die Hand zu verbinden. Beim Anblick seiner Finger von denen das Blut tropft, läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter. Beinahe überrascht verdränge ich dieses Gefühl so schnell wie möglich und schüttele den Kopf kurz. „Alles okay?" Fothy beobachtet mich besorgt und greift nach meiner Hand. Als ich ihn wieder anschaue, ist das Gefühl schon wieder verschwunden. „Ja, alles okay. Mir war nur einen Moment schwindelig." Er sieht zwar nicht überzeugt aus, sagt aber nichts mehr. „Bitte anschnallen", ertönt es aus einem kleinen Lautsprecher in der Wand. „Wir werden in Kürze in Wisconsin landen." Bez seufzt und zieht mich zu einem der Sessel, setzt mich auf seinen Schoß und gurtet uns zusammen fest. Er ist so lieb und hat mich absolut nicht verdient. Aber wenn ich ihn so anschaue, kann ich ihm nicht das Herz brechen. Dafür bin ich zu egoistisch. Und ich hoffe für ihn, dass er das niemals vergisst. Ich bin keine gute Partie. Das Flugzeug sinkt langsam und verursacht einen unangenehmen Druck auf den Ohren. „Ist es ungesund, so oft zu fliegen?" Doc lehnt sich zu und herüber. „Nein. Das macht nichts, solange wir die die Erdatmosphäre nicht verlassen. Dann kann es passieren, dass eure Knochen ihr Calcium verlieren und brüchig werden." Ich lächle ihn gezwungen an und wende mich wieder Bez zu. Unter seinem Shirt spüre ich seinen Herzschlag, dem sich mein eigener gerade anpasst. Aber ich fühle dabei nichts. Und wieso zur Hölle werde ich auf einmal so emotional? Wir setzen auf der Landebahn auf und warden aus den Sitzen gerissen, als das Flugzeug abbremst. Kurz darauf haben wir die Park Position erreicht und die Luke öffnet sich. Froh, von Bez wegzukommen, klettere ich aus dem Sitz und betrete den Flughafen. Das Wetter ist leider schlecht und verursacht eine leichte Gänsehaut auf meinen Armen. Bez bleibt neben mir stehen und schaut sich um. „Viel ist hier aber nicht los." Tatsächlich haben wir das einzige Flugzeug auf dem gesamten Flughafen. Anscheinend ist das ein Privatflughafen. Bez reicht mir eine Jacke, in die ich dankbar hineinschlüpfe und mir den Reißverschluss bis unter das Kinn ziehe. „Wir müssen gleich losfahren, damit wir heute noch weiterfliegen können." Ich nicke und helfe mit, das nötige Equipment in die Autos zu verladen, die inzwischen von einem Limousinenservice vorbeigebracht wurden. Als wir fertig sind, ziehe ich mich noch um und statte mich mit kleinen Waffen aus. „Haben wir inzwischen eigentlich einen Plan?", fragt Bernie und schaut mich dabei gespannt an. Ich schüttele den Kopf. „Ich glaube nicht. Wir müssen improvisieren. Aber immerhin dürfen wir coole Klamotten tragen." Bernie schüttelt ungläubig den Kopf, schnappt sich einen Laptop und setzt sich ins Auto. Fothy folgt ihm. Bez und ich wollen in das andere Auto steigen, aber Doc kommt beinahe panisch auf uns zugerannt. „Ich komme mit." Ich schüttele den Kopf. „Du bleibst hier, bis wir wieder da sind." Ohne eine Antwort abzuwarten klemme ich mich hinter das Lenkrad und starte den Motor. Im Rückspiegel sehe ich Doc, wie er sich neben den Männern die die Autos gebracht haben niederlässt und deprimiert auf den Boden starrt. Bez schaut mich vom Beifahrersitz aus vorwurfsvoll an, sagt aber nichts. „Was ist?" „Hat er nicht langsam genug gelitten?" „Eher nicht. Wie soll ich ihm vertrauen können, wenn er die letzten Monate geheim gehalten hat, was er tut?" Bez verdreht die Augen. „Du vertraust doch sowieso niemandem außer dir." Das hat gesessen. „Stimmt doch gar nicht", platzt es aus mir heraus. Zweifelnd betrachtet er mich von der Seite. „Bist du dir sicher, dass du dir das nicht nur einbildest?" „Ich vertraue dir und Fothy und Bernie", sage ich patzig. Damit ist das Thema für mich erledigt. Bez wendet seinen Blick seinem Handy zu und ruft Bernie an. „Habt ihr das Ziel schon gefunden?" Bernie tippt über den Freisprecher hörbar auf den Tasten herum. „Ich habe die Verkehrsüberwachungskameras angezapft und lasse gerade ein Rasterprogramm durchlaufen. Und wenn das Auto mir dem richtigen Kennzeichen vorbei... Moment, ich habe ihn!" Er tippt hektischer. „Green Bay. Wir müssen etwa eineinhalb Stunden fahren. Das Auto befindet sich in der Innenstadt und parkt an einer öffentlichen Straße." Das lässt sich leicht ändern. Aber fürs Erste fahre ich einfach nur hinter Fothy und Bernie auf dem Highway und versuche, mich nicht von meinen Gefühlen beeinflussen zu lassen, die gerade in diesem stillen Auto präsenter sind als jemals zuvor. Das Loch in meinem Bauch fühlt sich gerade noch tiefer und noch schwärzer an als jemals zuvor. Und ignorieren kann ich das beim besten Willen nicht. „Was ist los?" Bez schaut besorgt zu mir herüber. Ich umklammere das Lenkrad fester und versuche zu lächeln. Zum Glück kann er nur eine Hälfte meines Gesichtes sehen. „Es ist alles in Ordnung. Ich will das nur so schnell wie möglich hinter mich bringen." Eine kleine Pause entsteht. „Was hältst du davon, wenn wir nach dieser Aktion in den Urlaub fahren?" Ich schaue ungläubig zu ihm hinüber. „Wie soll das denn bitte gehen? Ich habe den ganzen Tag damit zu tun, irgendetwas zu tun. Da bleibt doch keine Zeit für Urlaub." Bez lacht. „Du kannst machen, was du willst. Es gibt niemanden, der dich daran hindern kann. Und wenn es jemand versucht, tut der mir jetzt schon leid. Ehrlich, du hast keine Grenzen." Ich knirsche mit den Zähnen. „Wieso sagen das immer alle? Mir hat bisher keiner erklärt, was ich tun soll oder lassen kann. Und ich bezweifle ernsthaft, dass es so eine Art Gebrauchsanweisung für mich gibt. Ich weiß nicht, was ich machen soll." Jetzt ist es raus. Ich bin total verunsichert. Und das habe ich bisher nicht einmal mir selbst eingestanden. Beziehungsweise ich habe es einfach ignoriert. Bez schnaubt. „Wenn das dein einziges Problem ist: Genau genommen müsstest du hier nicht einmal mitmachen. Niemand hat dir etwas erklärt, weil es für dich keine Einschränkungen gibt. Unser System hat bisher so gut funktioniert, weil es ein echter Mensch regiert hat. Ob die Unterworfenen den Stil der Regentschaft mögen, ist etwas anderes. Aber keiner würde sich einem königlichen Befehl widersetzen." Ich runzele die Stirn. „Mein Vater wurde umgebracht. Nur so nebenbei." „Zugegeben, das reißt ein Loch in diese Theorie. Aber dein Vater war sehr unbeliebt." Kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich habe ihn auch kaum gekannt. „Er hat diese Bürokratie in das System gebracht. Wir brauchen jetzt Formulare und Stempel. Wenn jemand einen Überfall ab einem bestimmten Betrag plant, muss er es vorher ankündigen und hinterher einen Teil des Gewinns abgeben." Wieso weiß ich so etwas nicht?! „Ehrlich gesagt finde ich das schrecklich. Wie kann es in dem gesetzlosen Teil der Gesellschaft Gesetze und eine Regierung geben? Ist das nicht widersprüchlich?" Bez zuckt mit den Schultern. „Wir müssen das tun, was der König sagt. Und das gilt so lange, bis der nächste das ändert. Und einen König muss es geben, damit der andere Teil der Welt leben kann. Du bist so zu sagen das Bindeglied zwischen diesen beiden Parteien, du hältst das ganze am Laufen." Darauf fällt mir keine Antwort ein und den Rest der Fahrt verbringen wir schweigend.


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt