Mitten in der Nacht wache ich auf. So leise wie möglich verlasse ich das Schlafzimmer, um Bez nicht zu wecken. Im Schlafanzug gehe ich die Treppe hinunter und steuere auf das große Badezimmer zu. Doch anstatt mich wie geplant in die riesige Wanne zu legen, springe ich nur kurz unter die Dusche und verlasse meine Wohnung kurz darauf mit nassen Haaren und etwas Eleganterem als meinem Pyjama. Das Pling des Aufzugs kann mich jetzt nicht mehr aufregen. Auf dem Weg zur Kommandozentrale begegne ich kaum einem Menschen, die scheinen alle zu schlafen oder konzentriert zu arbeiten. Die Glastüren der Zentrale sind verschlossen und Jalousien versperren die Sicht ins Innere. Aber dank meines Fingerabdruckes komme ich trotzdem rein. Der Raum ist, wie auch schon die Flure es waren, nahezu leer. Lediglich in der Mitte haben sich drei Personen um einen Bildschirm herum versammelt und starren ihn an. Ich gehe auf sie zu und schaue über Fothys Schulter. Zu sehen ist Doc, der in seinem Zimmer auf und ab geht, weiter aber nicht beschäftigt zu sein scheint. „Wieso schaut ihr euch das alle an?" Fothy fährt herum. „Ich habe dich gar nicht kommen hören!" Theatralisch fasst er sich an sein Herz, beantwortet aber dann meine Frage: „Das geht die ganze Zeit schon so. Wir warten auf eine mögliche Kontaktaufnahme." Ich nicke und schaue ebenfalls wieder auf den Bildschirm. Und anscheinend bin ich genau im richtigen Moment erschienen: Doc geht zu seinem Schreibtisch und zieht ein Handy hervor, das vermutlich unter dem Tisch festgeklebt war. Fahrig schlägt er seinen Hemdsärmel zurück und hämmert nervös auf seine Armbanduhr. Dann, als es genau ein Uhr ist, tippt er eine Nummer ein und drückt auf grün. Seine Stimme ist sehr leise und kaum zu verstehen. „Wir müssen uns treffen. Jemand weiß etwas. Ich brauche hier Nachschub und erweiterte Informationen." Eine Weile bleibt es still, schließlich verabschiedet er sich knapp, legt auf und lässt sich auf sein Bett fallen. Ich habe genug gesehen und wende mich ab. „Ich habe jetzt zwar nichts mitbekommen, aber wissen wir, wo und wann er sich mit wem treffen wird?" Chili dreht sich um und geht zu einem Drucker, der in diesem Moment ein Blatt ausspuckt. „Wir haben das Gespräch angezapft und ein Protokoll aufgezeichnet." Er reicht mir die Seite, die ich schnell überfliege. „Der hat echt was auf dem Kerbholz", sagt Bernie, nachdem er den Text gelesen hat. „Wieso das?" „Naja, die Bar, in der er sich mit dem Kontaktmann treffen will, ist in der übelsten Gegend von Malibu. Da würde ich nicht nachts lang gehen wollen." In etwa habe ich verstanden was er meint. „Dann würde ich sagen, wir bereiten alles vor. Und noch einmal: Außer uns und Bez hat kein Mensch davon eine Ahnung. Das bleibt gefälligst auch so." Ich schaue nacheinander jedem in die Augen und zwinge sie mit meinem Blick, diesem Befehl zu folgen. Um ihret Willen. Doch keiner von ihnen schein die Absicht zu hegen, mir in den Rücken zu fallen. Wir wenden uns wieder dem Bildschirm zu, aber Doc hat zwischenzeitlich das Licht ausgeschaltet und liegt in seinem Bett. Ich beauftrage Chili und Bernie aufzupassen und sich zu melden, falls sich etwas tun sollte. „Wir kümmern uns jetzt um diese Bar und um das Treffen. Ich will so viele Verräter wie möglich auf einmal ins Netz bekommen." Gemeinsam verlassen wir die Zentrale, ich gehe in die Garage, die anderen suchen Kameras und weiteren technischen Schnickschnack. Wahllos greife ich nach einem Autoschlüssel und probiere nacheinander mehrere aus, bis ich einen finde, der zu einem großen schwarzen Kastenwagen mit getönten Scheiben gehört und fahre diesen dann vor. Auch wenn der nicht gerade unauffällig ist. Chili betritt die Garage mit mehreren Kisten auf einem Rollbrett und wir beginnen, die Sachen im Kofferraum zu verstauen. Fothy stößt zu uns und ist ebenfalls voll bepackt. „Ist das etwa eine Glückskatze die winken kann?" Ungläubig starre ich ihn an. „Natürlich, was denn sonst? Die bringen Glück!", verteidigt er sich. Kopfschüttelnd schmeiße ich das Teil zurück in den Karton und verstaue ihn hinten. „Alles einsteigen", rufe ich. Zwischen Chili und Fothy entbrennt ein kleiner Streit, wer neben mir sitzen darf. Ich beginne zu lachen. „Das sollten wir aufnehmen!" In diesem Moment stolpert Bez mit nacktem Oberkörper verschlafen in die Garage und hält sich eine Hand vor die Augen. „Was machst du denn hier?" Er kommt auf mich zu und nimmt mich in die Arme. Fothy und Chili, die inzwischen beide hinten bereits angeschnallt sitzen, lugen neugierig zu uns herüber. „Die beiden sind echt wie zwei kleine Kinder", flüstere ich ihm zu, was ihn zum schmunzeln bringt. „Kann ich mir vorstellen. Wo wolltet ihr hin? Ich habe dich gesucht." „Ich konnte nicht schlafen und bin in die Zentrale gegangen. Da haben wir dann ein geheimes Gespräch von Doc abgefangen und fahren jetzt los, um den Treffpunkt der Verräter zu präparieren." Bez lässt mich los, öffnet die vordere Autotür und steigt ebenfalls ein. „Dann wollen wir mal." Verblüfft schaue ich ihn an. „Ich will ja jetzt nichts sagen, aber du trägst nur eine Schlafanzughose." Er zuckt mit den Schultern. „Ist doch egal. Den Rest kennst du eh schon." Vom Rücksitz tönt ein aufgeregtes Quietschen. Na dann... Ich gehe um das Auto herum und starte den Motor. Schnell fahre ich aus der Garage und setze mir eine Sonnenbrille auf, bis ich registriere, dass ich gar nichts mehr sehen kann. Vielleicht hätte ich doch den einen oder anderen Espresso trinken sollen, bevor wir losgefahren sind. Seufzend schaue ich nach Straßenschildern und folge der Küstenstraße in die Innenstadt von Malibu, die bei Nacht warum auch immer noch verwirrender ist als sonst. Mit Chilis Hilfe erreichen wir aber schließlich eine dunkle Gasse, in der sich lediglich eine einzige Tür befindet. Präzise halte ich direkt davor und wir steigen aus. Chili scheint die Bar zu kennen, denn als wir an die Tür klopfen, öffnet ein Mann, der ihm sofort in die Arme fällt. „Hey, Kumpel, ist ne Weile her. Wie geht's, Spargel? Was hast du so gemacht?" Er wartet die Antwort erst gar nicht ab, sondern beginnt sofort damit, uns andere nacheinander zu umarmen und durchzuschütteln. Als ich an der Reihe bin, muss ich die Luft anhalten, um diesem Kerl nicht auf der Stelle vor die Füße zu kotzen. Der riecht echt übel, nach einer Mischung aus Zigarettenrauch, Alkohol und ranziger Milch, mit der würzigen Note ‚Ungewaschen' im Abgang. Den anderen scheint es nicht anders zu ergehen, Fothy würgt sogar tatsächlich ein bisschen, hat sich aber schnell wieder unter Kontrolle. „Ach so, hab ich in der Aufregung ganz vergessen: Ich bin Cedric. Mir gehört dieser coole Schuppen hier. Hab' ich vor ein paar Jahren von Spargel hier gekauft, ne', weißte noch? War nen gutes Geschäft, mein Lieber." Ist der bekifft? „Kommt rein, kommt rein. Wollt ihr was trinken? Hey Gus, bring uns mal einen Eimer ordentlich salzige Margarita!", brüllt er über seine Schulter in die Dunkelheit. Der ist hundertprozentig bekifft. Zweifelnd schauen Bez und ich uns an. Wie soll das jemals etwas werden? Meine Zweifel verstärken sich noch weiter, als im nächsten Moment tatsächlich ein Mann angeschlurft kommt und einen Eimer vor uns auf den Boden stellt, der mit einer undurchsichtigen Flüssigkeit gefüllt ist, die verdächtig nach Wischwasser aussieht. Cedric scheint das nicht zu stören, denn im nächsten Moment schnappt er sich einen Plastikbecher, taucht ihn in die Brühe und beginnt zu trinken. Vermutlich wäre ich einfach gegangen, wenn Chili nicht eingegriffen hätte. Der nimmt Cedric nämlich den Becher aus der Hand und bedeutet ihm, die Klappe zu halten. Merkwürdiger Weise funktioniert das. „Cedric, das ich mein Boss." Chili deutet auf mich. Dem Barbesitzer fallen beinahe die Augen aus den Höhlen. „Oh scheiße! Kannst du mir das nicht vorher sagen? Dann hätte ich dieses Theater gar nicht veranstalten brauchen." Jetzt verstehe ich die Welt nicht mehr. Der Typ kommt mir auf einmal zurechnungsfähig vor. Etwas unelegant schüttelt er mir erneut die Hand. „Es tut mir ja so was von Leid, Victory. Ich hatte ja keine Ahnung." „Kein Problem. Gutes Schauspiel." Geschmeichelt schiebt er sich eine Strähne seines schulterlangen Haares hinter das linke Ohr und lotst uns in ein stilles Hinterzimmer. Achtsam verschließt er die Tür. Ich ziehe Chili zur Seite. „Was genau ist das hier?" Chili dreht sich zu Cedric um und legt ihm einen Arm um die Schultern. „Vor ein paar Jahren bekam ich von deinem Vater den Auftrag, ein paar Bars, die wild über das ganze Land verteilt sind, in so genannte Outposts zu verwandeln. Hier werden Waffen gelagert und manchmal wird von solchen Einrichtungen aus auch die örtliche Schutzgelderpressung organisiert." Ich nicke beeindruckt. „Und Doc weiß wohl nicht, dass es sich hier um einen Outpost handelt." „Nein, nur vier Leute wissen in der Zentrale, welche Bars geheime Stützpunkte sind. Und bei Bedarf werden nur verlesenen Leuten einzelne Adressen verraten." Das heißt, wir können den Verräterkreis ein kleines bisschen weiter eingrenzen. „Wer weiß es?" Chili kratzt sich am Kopf. „Naja, dein Vater wusste es, dessen beide Berater und ich." Na gut. Die nächste Stunde verbringen wir damit, die gesamte Bar mit Kameras auszustatten, sogar die Toiletten werden überwacht. Cedric wird in einen Teil des Plans eingeweiht und spricht mit Chili seine Rolle durch. Bez und ich klettern in die Lüftungsschächte, die in erstaunlich gutem Zustand sind und verteilen Bewegungsmelder. Das ist zwar ein bisschen paranoid, aber man weiß ja nie. Fothy streift währenddessen hin und her und probiert sich ein bisschen als Barmann. Kaum sind wir wieder aus dem Lüftungssystem herausgekrochen, da steht er mit einem Tablett vor uns und zwingt und ein paar Becher auf, die mit Flüssigkeiten unterschiedlichster Farben gefüllt sind. Vorsichtig nippe ich nacheinander an jedem der Becher und leere den letzten komplett, da ich einen riesigenDurst habe. „Kann es sein, dass das alles gleich schmeckt?" Gleich beschissen? Mit säuerlicher Miene schüttelt er den Kopf. „Hier drüben hätten wir eine Mischung aus einem leichten Tequila mit etwas hawaiianischem Meersalz und dazu ein kleiner Schluck Hibiskus." Daher kommt also dieser penetrante Geschmack. „Sind die etwa alle mit Alkohol?" Fothy nickt. „Das haben alkoholhaltige Cocktails und Shortdrinks so an sich." Wieso auch immer hat meine Vernunft anscheinend ausgesetzt, denn ich habe den Alkohol wirklich nicht wahrgenommen. Bez stellt den Becher ab, den er sich gerade erst genommen hat. „Ich glaube es ist besser, wenn ich nach Hause fahre", sagt er und klaut mir die Autoschlüssel aus der Hosentasche. Schließlich überprüfen wir nur noch gemeinsam die Funktionstüchtigkeit der Mikrofone, die wir in der spärlichen Dekoration der Theke versteckt haben.
Gegen vier Uhr verlassen wir Cedrics Bar durch den Hintereingang, Bez fährt tatsächlich. Inzwischen hat der Alkohol mich nämlich ziemlich ausgenoggt und ich hänge mehr in meinem Sitz. Mein Kopf pocht stark, den Schmerz blende ich dieses Mal bewusst aus. „Kann mich jemand davon abhalten, jemals wieder was zu trinken? Ich glaube, ich habe einen verdammt dicken Schädel." Bez lacht. „Eher einen Dickschädel." Ich boxe ihm spielerische gegen den Arm. Fothy schnaubt leise. „War ja irgendwie klar, dass da Alkohol drin ist." Ich winke ab und versuche ihn zu beschwichtigen: „Ist ja eigentlich meine Schuld. Alles okay."
Ziemlich müde erreichen wir die Baze, als der Morgen gerade die Wolken durchbricht und uns unangenehm in den Augen sticht. Komplett ausgelaugt wollen wir uns in unsere Wohnungen schleppen. Die anderen schaffen das auch, aber ich werde sofort aufgehalten, als ich die Baze betreten habe. Mindestens zehn Leute fordern meine Unterschrift (gegen diese Bürokratie muss ich unbedingt etwas unternehmen), andere wollen einen Rat haben und schließlich laufe ich noch Bernie über den Weg, der mir seinen Bericht überreicht, den er kreativer Weise als Brötchentüte getarnt hat. Völlig am Ende meiner Kräfte schleppe ich mich in die Wohnung und esse auf dem Weg dahin das Croissant von Bernie. Motorisch völlig unbegabt versuche ich, die Tüte auseinanderzufalten, um den Bericht zu lesen, scheitere aber haushoch. Schließlich drücke ich einfach Bez die Tüte in die Hand und strecke mich auf dem Sofa aus. Keine Sekunde später schlafe ich tief und fest.
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Victories (Buch 2)
ActionJaxx ist tot, er wurde während der Krönungszeremonie erschossen. Von Rachegedanken geplagt versucht Emilia Stoneforth als neue Victoria nun, die verantwortlichen Rebellen aufzuspüren - um ihnen zu geben, was sie verdienen...