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Am nächsten Morgen wache ich sehr früh auf und betrachte den Sonnenaufgang vom Küchenfenster aus. Mit der Kaffeetasse in der Hand gehe ich die Treppe hoch und ziehe mich an. Mein Entschluss steht fest: Ich werde die Kinder retten. Und wenn es meinen Tod bedeutet, ist es halt so.


Fothy wartet im Wohnzimmer auf mich. „Ich wollte noch mit dir sprechen, bevor du die anderen siehst." Er zieht mich neben sich aufs Sofa und nimmt meine Hand in seine. „Emilia, ich möchte dass du weißt, dass ich dich sehr schätze. Und egal was die anderen dir raten, ich will nicht, dass du dich in Gefahr bringst. Du bedeutest Fortschritt und du bedeutest Erfolg. Ich bin nun schon seit meiner Kindheit bei der Mafia und ich habe viele Verbrecher zu Grunde gehen sehen. Du bist so viel mehr als jeder von ihnen und du sollst nicht so enden." Ich umarme ihn fest und drücke mein Gesicht an seine Schulter. Fothy riecht nach dieser unverwechselbaren Mischung aus Lebenswille und Zigarre. Vielleicht ist auch ein bisschen Wein dabei. „Danke." Mehr kann ich nicht sagen, mehr fällt mich auch nicht ein. Wir verlassen meine Wohnung und machen uns über die Garage auf den Weg in die Zentrale. Doc hält mir die große Glastür auf und wir setzen uns an einen der Schreibtische. „Ich habe eine Idee. Mir ist klar, dass du den Austausch machen wirst. Aber wenn er auf neutralem Boden stattfindet, hat die Gegenseite keinen Vorteil." Ich schaue Fothy zweifelnd an. „Und wo ist unser Vorteil?" Er schaut verdutzt auf und verzieht nachdenklich den Mund. „Da ist was dran. Wie dem auch sei, ich schlage Deutschland als Treffpunkt vor. Dort leben die bürokratischsten Menschen auf diesem Planeten. Das geht so weit, dass Nachbarn bei der Polizei anrufen um dich anzuzeigen, weil du ein paar Zentimeter zu nah an ihrem Grundstück dein Auto geparkt hast." Wer macht denn bitte so etwas? „Auf jeden Fall haben wir auch dort einige Kontakte und die Deutschen erledigen unfreiwillig den Rest. Außerdem ist die deutsche Polizei sehr bürokratisch aufgebaut und da es sich um einen Rechtsstaat handelt, haben amerikanische Behörden keine Befugnis auch nur einen Finger zu erheben." „Das klingt gut. Aber wie können wir sicher sein, dass sie die Kinder mitbringen?" Fothy grinst mich an. „Es ist mir gestern noch gelungen, einen Kontaktmann im Justizministerium zu verständigen. Er überwacht jeden Schritt gegen dich und hält uns auf dem Laufenden. Wenn die Kinder in den Staaten bleiben, verschwinden wir einfach sehr schnell wieder und verstecken uns eine Zeit lang in Russland." Ich frage besser gar nicht erst, wieso wir nach Russland fliehen sollen. „Dein Plan ist gut. Besprich dich mit Bez, der ist momentan sauer auf mich." Verständlicher Weise. Fothy nickt wissend und macht sich auf den Weg. Ich verlasse die Zentrale und laufe ziellos durch die Baze. Von allen Seiten werde ich gegrüßt und alle lächeln mich an. Wenn die wüssten wie ich eigentlich bin, würde ich vermutlich vor einer tobenden Menge davonrennen, die mich teeren und federn will. Aber die Unwissenheit der anderen schützt mich. Wieso habe ich die ganze Zeit so schwarze Gedanken? Und wieso klinge ich so philosophisch? Ich erreiche die Garage und stemme die massive Metalltür auf. Der Geruch der Autos weckt mich aus meiner Trance und holt mich zurück in die Gegenwart. Ich setze mich hinter das Steuer des erstbesten Autos und streiche sanft über das Lenkrad. Wenn Copper seine Kinder jemals wieder sehen soll, muss ich mich konzentrieren. Einen Fehler bezahlen entweder die Kleinen oder ich mit dem Leben. Auch wenn ich noch nicht weiß, was die Regierung von mir möchte. Theoretisch wäre es auch möglich, dass der Präsident mich nur zum Tee einladen will. Das halte ich aber für eher unwahrscheinlich. Wie dem auch sei, ich sollte packen.


In meiner Wohnung steht bereits ein leerer Koffer und wartet darauf, von mir gefüllt zu werden. So kommt sich vermutlich ein Häftling in der Todeszelle vor. Das endlose Warten auf das Ende ist vermutlich schlimmer als der Tod selbst. Ich schleppe das Teil in mein Ankleidezimmer und werfe wahllos irgendwelche Textilien hinein. Zuletzt krame ich auch ein Shirt aus Jaxx Schublade hervor und verstaue es sorgfältig zwischen den anderen Sachen. Nachdem ich fertig bin, mache ich mich wieder auf den Weg nach unten und lege mich auf das Sofa. In diesem Moment ist es, als säße Jaxx neben mir auf dem Boden, so wie es immer der Fall war, als ich noch in die Schule gegangen bin. Ich habe lange nicht mehr nach hinten geschaut. Damals, als mein Vater und mein Verlobter noch gelebt haben. Und jetzt sitze ich hier und gehe nahezu depressiv meinen Gedanken nach. Und bin bereit aufzugeben. Der Job hat mich meine gesamten Nerven gekostet. Zwar ist mir nahezu alles in den Schoß gefallen – schießen und Messerwerfen konnte ich auf Anhieb – aber das scheint mir nicht genug. Mir fehlt es eindeutig an Erfahrung. Ich wurde in dieses Metier von heute auf morgen einfach hineingeschubst und bin bisher auch gut zurechtgekommen. Bevor ich mich weiter in meinen Gedanken verlieren kann, öffnet sich die Aufzugtür und gibt den Blick auf Fothy frei. Er sieht gut gelaunt aus und hat ein herrlich duftendes Mittagessen in der Hand, das er mir überreicht. „Gute Neuigkeiten: Bernie hat es gerade eben geschafft, die Kamera zu orten, die die Kinder filmt." Mit einem Mal sind alle meine Gedanken wie begraben. Ich lache laut auf und falle Fothy um den Hals. „Das scheint dich aber wirklich zu freuen", fällt ihm dazu nur ein. Ich nicke wie wild und hüpfe auf der Stelle auf und ab. Und mit der guten Laune kommt auch meine Boshaftigkeit zurück. „Wir fliegen trotzdem nach Europa. Die können sich auf was gefasst machen." Fothy strahlt über beide Ohren. „So kenne ich mein Mädchen. Machen wir sie fertig!"


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt