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Wie schon so oft in der Vergangenheit werde ich von dem Piepsen des Herzmonitors geweckt und will die Augen nicht öffnen, da gefühlt zehn Lampen direkt auf mich gerichtet sind. Ich drehe mich auf den Bauch und drücke mich langsam hoch, die Augen nach wie vor fest zugekniffen. Mir kommen Hände zur Hilfe und ein paar Sekunden später sitze ich aufrecht auf der Bettkante. Vorsichtig schiele ich durch meine Wimpern und da das Licht erträglich ist, öffne ich die Augen komplett. Bez steht neben mir, bereit, mich aufzufangen. „Was ist passiert?" „Du bist in Ohnmacht gefallen, als du aus dem Auto aussteigen wolltest." Ich versuche mich an irgendetwas zu erinnern, aber es ist alles weg. Langsam wird das hier wirklich zur Routine. Und zu keiner guten! Doc, der Arzt der Organisation, tritt durch die Schwingtür in mein Zimmer und blättert geschäftig in einer Akte. Vermutlich meine. „Da wären wir mal wieder. Habe dich schon hier vermisst", sagt er sarkastisch. Ich grinse. „Eine Woche ohne Verletzung und du bekommst kalte Füße?" Er grinst zurück. Bez mischt sich ein: „Ich will eure kleine Party ja nicht stören, aber wir müssen klären, was passiert ist." Doc wird sofort wieder ernst. „Hast du in letzter Zeit was gegessen, Victoria?" Ich schaue Bez an und er antwortet. „Sie hat heute Morgen was getrunken." Doc schüttelt den Kopf. „Hast du Hunger?" Ich überlege einen Moment. „Nein, nicht wirklich." „Victoria." Er schaut mir ernst in die Augen. „Okay, vielleicht ein bisschen." Bez seufzt und verlässt den Raum. Kurz darauf kommt er mit einer Orange in der Hand zurück und gibt sie mir. „Essen." Ich gehorche. „Kann ich jetzt gehen?" Doc zuckt mit den Schultern und misst meinen Puls. Dann nickt er. „Von mir aus. Aber übertreibe nicht. Du hattest einen schweren Schicksalsschlag." Dankeschön, das war meine Portion Jaxx für heute. Ich springe vom Bett, rupfe die Kabel ab und gehe mit Bez zur Tür. „Ach so, Victoria?" Ich drehe mich noch einmal um. „Du musst heute nach New York fliegen, die haben ein paar Probleme. Bernie hat gerade angerufen." Prima. Ich gehe durch die Flügeltür und beginne, die Orange zu schälen. Bevor ich die Krankenstation komplett verlassen kann, hält Bez mich zurück. „Da draußen befinden sich die Verbrecher dieser Erde und du trägst momentan nur Unterwäsche. Ich bezweifle, dass es eine gute Idee ist, so da raus zu gehen." Ich schaue an mir herunter. „Ups. Hast du was dabei?" Er reicht mir ein Kleid und ich schlüpfe hinein. Barfuß und unter Beobachtung gehe ich mit Bez auf die Aufzugtür zu meiner Wohnung zu und drücke den Knopf. „Wann fliegen wir nach New York?" Bez grinst. „Du kannst oben noch deine Sachen packen, der Helikopter, der uns zum Flughafen bringt, steht schon bereit." Nein, wie dekadent. Ich seufze. Immerhin muss ich so nicht auf der „Messe" bleiben, die momentan die Baze beherrscht. Wir besteigen die Fahrstuhlkabine und die Türen schließen sich automatisch. Kaum sind wir oben angekommen, rennt Bez auch schon los, um zu packen. Gedankenverloren streife ich durch die Wohnung und lande in der Küche. Wenn ich schon gerade hier bin... Ich beginne, die Schränke nach etwas Essbarem zu durchsuchen. Mit Schwung öffne ich eine Klappe, in der Hoffnung, auf eine verirrte Dose Erdnussbutter zu stoßen, aber stattdessen finde ich ein kleines Waffenarsenal. In der Mitte liegt ein kleiner Briefumschlag. Vorsichtig öffne ich ihn. ‚Da ich weiß, dass du Schnulzigkeit hasst, beginne ich diesen Brief nicht mit ‚Meine liebste, süßeste und wertvollste Victoria'. Wenn du das liest, ist die Versammlung aller Fußfesselträger am Laufen. Für diese Zeit ist das Waffenlager streng bewacht und versiegelt. Deshalb habe ich dir vorher das eine oder andere Werkzeug zusammengesucht. Die Pistole in der Mitte ist von deinem Vater, die auf der linken Seite von mir. Die Messer sind Solinger Klingen, nur das Feinste vom Feinen. Pass auf dich auf, mein Schatz.' Ich sollte an diesem Punkt eigentlich weinen, aber es kommt – oh Wunder – keine Träne in meinen Augen an. Frustriert lege ich den Brief zurück und schnappe mir Jaxx Pistole. Ich will sie in den Hosenbund stecken, aber leider habe ich keinen. Unaufmerksam verlasse ich die Küche und schaue im Vorbeigehen aus dem Fenster auf den Ozean. Was das Grundstück der Baze wohl gekostet hat? Auf jeden Fall übersehe ich den Mann, der in meinem Wohnzimmer mit dreckigen Schuhen! auf meinem Teppich steht, bis ich förmlich in ihn hineinlaufe. Alarmiert schaue ich auf. „Wer sind Sie?" Der Typ grinst nur schief und deutet mit seiner Hand, in der er eine Waffe hält, aufs Sofa. Dort sitzt Bez mit erhobenen Händen. Klar, Waffen sind ja nicht erlaubt. „Wie sind Sie an die Pistole gekommen?" Er winkt ab. „Irrelevant. Viel wichtiger ist: Ich möchte, dass du mir den Weg zur Garage öffnest. Da dein Liebster jetzt tot ist, bist du die Einzige, deren Fingerabdrücke das Schloss öffnen können." Ganz habe ich die Situation noch nicht erfasst, bin aber geistesgegenwärtig genug, meine Waffe hinter meinem Rücken zu verstecken. „Was haben Sie vor?" Ich glaube, der Kerl ist doof, denn er antwortet auf meine Frage. „In der Garage warten meine Leute. Wenn du Thekla freilässt, passiert dir nichts." Daher weht der Wind also. Meine ‚Schwester' hat also noch Asse im Ärmel. Ich dachte eigentlich, das komplette Unkraut ausgerottet zu haben. Ich folge der Aufforderung des Typen und gehe auf die Garage zu. Er folgt mir und bedeutet auch Bez, ihm zu folgen. Leider kann ich dem nicht in die Augen sehen. Mit langsamen Bewegungen öffne ich die Tür und betrete die Schleuse. Lichter flackern auf und beleuchten den breiten Weg. „Vorgehen." Ich setzte einen Fuß vor den anderen, bis wir schließlich die andere Tür erreicht haben, hinter der sich die Garage verbirgt. „Schalldicht?" Ich hoffe, dass Bez mich versteht, und das schnell. „Ja." Mit einer minimalen Bewegung richte ich den Lauf auf den dummen Mann und drücke ab. „Mann, hatte der lahme Reflexe." Bez grinst mich an. Er schnappt sich die Waffe des Mannes und ich öffne langsam die letzte Tür. Mit der Pistole hinter dem Rücken trete ich in die Garage hinaus. In einem Halbkreis um die Tür herum stehen durchschnittlich gekleidete Männer mit erhobenen Waffen. Einer steht ein bisschen näher an mir als der Rest der Versammlung, weshalb ich ihn als den Anführer sehe. „Langsam herkommen, Hände über den Kopf." Seine Stimme ist erstaunlich ruhig. Bez steht so nah, dass ich heimlich meine Waffe in seine Hosentasche stecken kann. Hoffentlich sehen die das nicht. Doch meine Glücksfee scheint ihren Dienst quittiert zu haben. „Was soll das?" Der Anführer macht eine Bewegung mit dem Kopf und zwei seiner Leute kommen auf uns zu und tasten uns ab. Dabei entdecken sie auch Bez Waffe, die er zuvor in seinen Hosenbund gesteckt hat. Was sollen wir jetzt tun? Mit komplett angespannten Muskeln warte ich auf irgendetwas, aber nichts passiert. Also brauche ich Zeit. „Was wollt ihr?" Der Anführer kommt auf mich zu, doch Bez stellt sich ihm in den Weg. Einer der Helfer hält ihm daraufhin die Hände hinter dem Rücken fest. Mit einem fiesen Grinsen entblößt der Chef seine gelben Zähne und boxt Bez mit voller Wucht in die Magengrube. Unter einem leisen Stöhnen geht dieser in die Knie und beugt sich ungesund nach vorne. Demonstrativ steigt der Anführer mit einem großen Schritt über Bez hinweg und steht nun direkt vor mir. „Wir wollen nur dein Leben, meine Kleine. Aber langsam und schmerzhaft. Es sei denn, du gibst Thekla heraus. Dann überlege ich mir das mit dem langsam noch einmal, ob die schnellere Variante vielleicht nicht doch meine Nerven stärker schont." Ich überlege für den Bruchteil einer Sekunde. Wenn ich eins in der Vergangenheit gelernt habe, dann ist es, dass ich stärker bin als alle anderen. Auch wenn es mir irgendwie peinlich ist. Aber kann ich es mit so vielen aufnehmen? Ja, kann ich. „Hast du dich schon entschieden?" Ich blende die Stimme aus und schließe die Augen. Verschmelze mit der Umgebung. Wenn man nichts sieht, verlässt man sich auf seine anderen Sinne. Ich höre die Angreifer. Höre ihren Atem. Kann zwei sogar riechen. Und spüre genau, wo sie stehen. Einen Schritt auf mich zu, rechts von mir. Meine Hand schnellt nach oben und bekommt einen Lauf zu fassen, das linke Knie schwingt mit voller Wucht sicher ins Ziel. Das alles geht so schnell, dass keiner der anderen Angreifer reagieren kann. Mit nach wie vor geschlossenen Augen wirbele ich herum und ramme meine Faust in ein Gesicht. Das darauf folgende Knacken klingt nicht sonderlich gesund. Ich ducke mich instinktiv und spüre, wie ein Arm über meinen Kopf hinwegfegt. Auf dem Boden angekommen drehe ich mich blitzschnell um meine eigene Achse und reiße jemanden von den Füßen. Ein Schuss fällt. Vielleicht sollte ich doch mal die Augen öffnen. Bez scheint gut zurechtzukommen: Er wirbelt hin und her und verteilt Faustschläge wie andere Süßigkeiten an Halloween. Über die Schulter hinweg grinst er mich an und macht munter weiter. Doch ich übersehe einen Arm und werde von den Füßen geholt und lande, wie meine persönliche Glücksfee leider nicht auf ihrem Konto verbuchen kann, direkt neben dem Anführer der ganzen Bande. Sein Atem stinkt ekelhaft, als er sich auf mich wälzt und mich mit seinem Gewicht am Boden hält. Widerstand bringt nicht wirklich viel. „Wen haben wir denn da? Die Frau Königin." Ich spucke ihm ins Gesicht, was ihn kranker Weise zum Lachen bringt. Ohne Rücksicht verlagert er sein Gewicht und bringt mich dem Steinboden noch ein wenig näher als das sowieso schon der Fall war. Wie kleine Kinder beginnen wir, miteinander zu rangeln. Ich lande einen stolzen Treffer auf seine Nase, der ihn zurückweichen lässt. In diesem Moment beginnt der Fettkloß auf mir zu schwabbeln und kippt schließlich von mir herunter. Schmerzhaft füllen sich meine Lungen wieder komplett mit Sauerstoff. Bez steht über mir und richtet eine Waffe auf den Chef, der aus dem Oberschenkel blutet. Ein wenig unsicher rappele ich mich auf und trete neben ihn. Die Garage ein wenig verwüstet zu nennen wäre dezent untertrieben. Es sieht so aus, als hätte Bez hier einen Amoklauf veranstaltet: In den Motorhauben meiner Autos stecken Schraubenzieher und skurriler Weise das ein oder andere Körperteil und den Blutsee auf dem Boden könnte man als olympisches Schwimmbecken verwenden. „Was war das denn?" Bez zuckt mit den Schultern. „Auf Rattengift ist heutzutage auch kein Verlass mehr." Mit hochgezogenen Brauen schaue ich ihn an, doch er bemerkt es gar nicht. „Wie beseitigen wir die Sauerei? Das fängt sonst an zu stinken." „Keine Ahnung. Müssen wir glaube ich selbst erledigen." Bez verdreht genervt die Augen. „Aber vorher..." Er geht zum Chef, der sich wie ein Fisch auf dem Trockenen windet und hockt sich vor ihn. „Wie viele gibt es da draußen noch von eurer Sorte?" Der Dicke antwortet nicht. „Na gut." Mit geschäftiger Miene untersucht Bez ihn und drückt kurz darauf mit einem schadenfrohen Gesichtsausdruck auf die Schusswunde am Bein des Verräters. Dessen Augen treten ein wenig hervor. „Noch einmal. Wie viele gibt es noch?" Der Mann scheint ein wenig kooperativer, immerhin öffnet er die Lippen und versucht etwas zu sagen. Leider kommt nur Blut raus, die Informationen bleiben gänzlich aus. „Anscheinend hat des den Guten gerade gerissen. Hätte halt nicht so viel rauchen dürfen." Bez steht kopfschüttelnd auf.


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt