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Die Versammlung ist nun endgültig vorbei. Ein wenig wehleidig verstaue ich den letzten Umzugskarton im Umzugswagen und schließe die Ladefläche. Bez kommt beschwingt auf mich zu und zieht lässig an seiner Zigarette. „Das musst du dir unbedingt abgewöhnen." Er verzieht den Mund und lässt die Kippe fallen. Bernie kommt auf mich zu und reicht mir ein vollgepacktes Klemmbrett, das ich schnell überfliege. Irritiert schaue ich auf. „Ich dachte, ich gehe auf ein College." Bernie schüttelt den Kopf. „Wir haben es uns anders überlegt. Wir suchen schlaue Köpfe von Morgen. Leute fürs Grobe kann man überall suchen, Intelligenzbestien aber nicht." Irgendwie klar. „Aber wie soll ich da mithalten?" Bez nimmt meine Hände in Seine und drückt sie leicht. „Wenn das jemand schafft, dann du." Wenn er meint... Eine Menschentraube versammelt sich um mich. Um nicht komplett unterzugehen, stelle ich mich auf ein Gitter des Lasters. „An alle die mitkommen: Ich habe gerade eben erst erfahren, dass wir nach Cambridge, Massachusetts müssen. Ich werde am MIT studieren. Aber wahrscheinlich wussten das außer mir sowieso alle. Häuser sind schon gekauft, die Verteilungspläne gibt es bei Bernie. Bleibt nur noch, euch viel Spaß für die Fahrt zu wünschen." Ein paar klatschen, Stimmen werden laut und Autotüren schlagen zu. Ich klettere ins Führerhäuschen des Trucks und warte auf Bez, der auf der anderen Seite einsteigt. Fachmännisch startet er den Motor und schließt sich der Autokolonne an, die die Einfahrt verstopft. Als wir an der Reihe sind, biegt Bez in eine andere Richtung ab als der Rest. „Was genau wird das?" Bez schaut mich fragend an. „Wieso biegen wir hier ab und fahren den anderen nicht hinterher?" „Hast du mein Memo nicht gehört?" Ich schaue ihn verständnislos an. „Oh Mann. Wir fahren nach Miami und lassen dich auferstehen, die anderen bereiten in Cambridge schon mal alles vor. Dein Semester beginnt erst in zwei Wochen. Noch sind Ferien." Ach so. Ich lehne mich zurück. Normaler Weise würde ich jetzt neben Jaxx sitzen, mit ihm reden und lachen. Aber er ist nicht da. Schnell schlage ich mir das aus dem Kopf. Ich werde unvorsichtig und bin abgelenkt. Ein wenig ungelenk ziehe ich die Beine an und lege den Kopf auf meine Knie. Von der Seite betrachte ich Bez. Er sieht aus wie ein französischer Gott, der halt einen Jobwechsel hinter sich hat und nun Truck fährt. Er schaut mich an. „Ist was?" Ich zucke zusammen. „Nein, nein, alles okay." Bez zuckt mit den Schultern und fährt weiter. „Wie wäre es, wenn wir unsere Identitäten durchgehen?" Da mir nichts Besseres einfällt, sage ich zu. „Also gut. Hinter dir auf der Matratze liegt ein Klemmbrett mit den nötigen Informationen." Ich klettere von meinem gemütlichen Sitz herunter und suche die Blätter. Wieder neben Bez sitzend überfliege ich die Lebensläufe. „Soll das jetzt ein Scherz sein?" Ich schaue verärgert auf. „Nein. Eigentlich war die Rolle auf Jaxx zugeschnitten, aber Bernie meinte, wir sollten einfach alles so lassen, wie es jetzt ist." Meine Stirn kräuselt sich automatisch. Der Ring an meinem Finger wird wieder schwer. Ich weiß, dass ich die Rolle spielen kann, die für mich vorgesehen ist. Auch ohne Fehler. Das heißt aber trotzdem nicht, dass ich es gerne tue. „Also gut. Dann bin ich also Emilia Stoneforth und du mein Ehemann Jaden." Eigentlich bin ich das ja nicht mehr. Aber na gut. Mich selbst zu spielen ist immer noch am einfachsten. Bez deutet auf einen Punkt auf der Liste, der ein bisschen weiter unten steht. „Ich hoffe, du kannst sehr gut schauspielern, denn das wird bitter nötig sein. Da du jetzt wieder Emilia bist, brauchen wir eine sehr gute Ausrede, warum du so lange verschwunden bist." Ist ja irgendwie logisch. Ich strecke mich auf meinem Sitz und lege die Beine auf das Armaturenbrett. „Die Idee ist, dass du mit Hilfe eines privaten ‚Zeugenschutzprogramms' abgetaucht bist, weil du sehr viele anonyme Drohbriefe erhalten hast. Zur Polizei sind wir nicht gegangen, weil du von Maulwürfen ausgegangen bist." Ich nicke. „Wir haben vor, in Miami eine Pressekonferenz zu organisieren. Du wirst bekannt geben, dass du in deiner Zeit abseits der Heimat mich kennen gelernt und geheiratet hast." Wieso bin ich immer die Letzte, die so etwas erfährt? Eigentlich müsste ich diejenige sein, die solche Vorschläge überhaupt in den Raum stellt. Aber naja, dafür habe ich meine Leute ja alle. Obwohl Bez eigentlich nichts verbrochen hat, bin ich genervt und schließe schweigend die Augen. Er merkt wohl, dass ich nicht gut drauf bin und lässt mich in Ruhe. Bald werde ich wieder zu Hause ankommen. Oder zumindest dort, wo sich einmal mein Heim befand. Heute ist es einfach nur noch ein Haus wie viele andere auch. Keine wichtigen Erinnerungen binden mich an Miami. Dort bin ich aufgewachsen, in die Schule gegangen, habe meine Mutter und meinen Vater verloren, mit meinem beinahe – Mann in einem Haus gelebt (ohne meinen Vater) und gearbeitet. Aber jetzt habe ich mit all dem nichts mehr zu tun. Meine Kindheit spielt keine Rolle mehr, in die Schule gehe ich nicht mehr, meine Eltern sind tot und somit für mich nicht weiter von Belang. Jaxx ist auch tot, ihn werde ich zwar vermissen, aber davon kann ich mir auch nichts kaufen. Letztendlich bleibt nur noch mein Job bei Stoneforth, der Firma, die nach dem unfreiwilligen Tod meines Vaters nun mir gehört. Aber genau genommen habe ich auch dafür eine bessere Alternative: Ich bin eine Königin geworden. Oder nein, ich wurde als Königin anerkannt. Und nicht nur als irgendeine Königin irgendeines Stammes von Kannibalen im südamerikanischen Dschungel, nein, ich bin die mächtigste Königin dieser Welt. Ich herrsche über alle Verbrecher der Erde. Und dieser Posten hat gleich zu Anfang seinen Tribut gefordert.


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt