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Genau in dem Augenblick in dem ich die letzte Zahlungsbewilligung unterschreibe, klingelt es an der Tür und ein Säuberungstrupp bestehend aus vier Mann betritt das Wohnzimmer. Ich stehe auf und reiche allen die Hand. Sie setzen zur Verbeugung an, aber ich winke ab. „Das ist nicht nötig." Sie schauen verlegen zu Boden. Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Anscheinend mache ich die Herrschaften mit meiner Anwesenheit nervös oder verlegen. Oder beides zugleich. Hilfe suchend schaue ich Bez an. Der versteht meinen Blick zum Glück und beginnt, mit den Männern zu sprechen und ihnen unser kleines Problem zu zeigen. Froh, etwas tun zu können, beginnen sie mit ihrer Arbeit und lassen uns zurück. „Das ist schräg. Ich bin doch auch nur ein Mensch. Wieso reden die nicht einfach?" Bez schüttelt lächelnd den Kopf, legt mir einen Arm um die Schulter und führt mich ins obere Stockwerk. „Ganz einfach. Du bist ihre Königin. Du stehst in allen Angelegenheiten über ihnen, du kannst machen was du willst. Überleg mal wie es dir gehen würde, wenn du vor einem Menschen stehen würdest, der mit deinem Leben machen kann, was er will, ohne das jemand protestiert." Okay, das wäre in der Tat scheiße. „Mannomann. Wie soll man das nur aushalten?" „Deshalb hast du ja auch Fothy und mich. Wir vertrauen dir, weil wir dich genau kennen." Klingt einleuchtend. Bez betritt einen Raum, den ich bisher nur auf dem Plan gesehen habe. Ich folge ihm. „Das ist dein Schlafzimmer." Staunend schaue ich mich um. In der Mitte des Zimmers steht ein riesiges Doppelbett. Darum herum ist ein riesiger Schreibtisch angeordnet. „Der Schreibtisch ist nur ein Alibi. Dein richtiger Arbeitsplatz liegt im Keller, den kein Mensch sehen wird. Wenn er es nicht darauf anlegt, von dir zerlegt zu werden." Ich verdrehe die Augen. „Wieso ist da ein Doppelbett?" Jetzt schaut Bez peinlich berührt auf den Boden. „Genau genommen sind wir ja verheiratet. Das ist nur Tarnung. Ich habe ein eigenes Zimmer, direkt neben deinem. Als dein Bodyguard bin ich immer in deiner Nähe. Aber Jaxx Platz werde ich nicht einnehmen." Ich nicke. Bez geht zu einer Glaswand, die an einer Wand des Raumes verläuft. „Und natürlich haben wir schon deinen Kleiderschrank eingeräumt." Er winkt mich zu sich und deutet auf eine kleine Vertiefung in der ansonsten makellosen Scheibe. „Wenn du da drauf drückst, geht er auf." Tatsächlich schwingt ein Teil der Glasscheibe bei einer leichten Berührung zurück. Erstaunt betrachte ich die Szene, die sich mir bietet. „Wie kann das sein?" Bez versteht mich sofort. Die Glasscheibe ist zwar durchsichtig, tatsächlich sieht man aber nicht, was dahinter liegt: Ein riesengroßes Ankleidezimmer. „Das geht nicht... Wie geht das?" Bez grinst mich breit an. „Ehrlich gesagt habe ich nicht die leiseste Ahnung." Immerhin bin ich also nicht die einzig Doofe. Immer noch komplett perplex betrete ich das Ankleidezimmer. „Wie ich das vermisst habe", sage ich sarkastisch. „Kann ich mir vorstellen. Aber das garantiert auch." Bez geht zu einer Kleiderstange, an der nur ein einziges, riesiges Kleid hängt. Irgendwie erinnert es mich an ein ganz bestimmtes... „Ist das mein Krönungskleid?" Etwas anderes erklärt die hervorgehobene Position nicht. „Nein. Aber eine Nachbildung in anderen Farben. Doch das ist gar nicht der Clou." Er schiebt den riesigen Bügel auf dem das Kleid hängt nach rechts. Die Position der Kleiderstange ändert sich minimal: Da das Gewicht sich jetzt rechts befindet, steht die Stange links ein wenig höher als vorher. Eine ziemlich gute Tarnung: Die Veränderung habe ich nur wahrgenommen, weil ich darauf gewartet habe. „Jetzt kann man den Schrank hier", Bez deutet auf ein einfaches Regal, in dem sich augenscheinlich Hosen befinden, „nach hinten schieben." Mit einer Hand drückt er gegen die linke Kante des Schrankes, der daraufhin lautlos nach hinten weg schwingt. Eine Neonröhre schaltet sich knisternd ein und gibt den Blick auf ein überaus gut ausgestattetes Waffenarsenal frei. „Wow", ist alles, was mir einfällt. „Nicht schlecht." Anscheinend gehört so ein Raum zu jeder meiner Wohnungen. Staunend streife ich zwischen den Regalreihen hin und her. Ganz hinten in der Ecke finde ich den Schrank mit meinen persönlichen Lieblingswaffen: Kleine, unschuldige Alltagsgegenstände, die so gefährlich sind, dass man sich mit einer einzigen Bewegung den ganzen Arm absprengen kann. Behutsam nehme ich ein kleines Tütchen mit Ohrringen aus einer Kiste. „Die sind nicht so gefährlich, die Steine sind aus Sprengstoff der aber so modifiziert ist, dass er nur bei abartig hohen Temperaturen in die Luft geht. Es besteht also so gut wie keine Gefahr. Die sind besonders gut geeignet für Motoren von Hubschraubern." Ich öffne das Tütchen und nehme einen der Ringe heraus. „Wer kommt eigentlich auf solche Ideen?" „Wir haben eine eigene Forschungsabteilung. Die schrauben so was zusammen. Daher kommen auch unsere Schmerzmittel und andere medizinische Technologien. Wir sind dem Rest der Welt um etwa fünfzig Jahre voraus. Unser inzwischen größter Erfolg ist flüssige Haut, die bei Kontakt mit Luft innerhalb weniger Stunden eine neue Hautschicht mit arbeitenden Zellen bildet." Ich pfeife beeindruckt. Da kann ich mich ja getrost zur Hälfte verbrennen lassen. Ich lege den Ohrring wieder zurück und verlasse mit Bez zusammen das Waffenlager. „Um die Tür wieder zu verschließen, musst du das Kleid nur in die Mitte der Stange zurückschieben. Dann kommt keiner mehr da rein." Und tatsächlich ist die geheime Tür wieder verriegelt. Als wir wieder das Erdgeschoss betreten, ist keine Leiche mehr zu sehen. Geschäftig räumen die Männer weiter auf und reparieren die entstandenen Schäden. „Ich würde sagen, wir bleiben einfach direkt hier. Jetzt noch mal nach Miami zu fliegen wäre ein wenig hirnrissig." Bez nickt. „Ich lasse alle Sachen einfliegen." Er verschindet in der Küche und beginnt, leise in sein Handy zu sprechen. Ich schnappe mir eine Jacke und trete hinaus in den Garten. Der Morgen graut inzwischen und der Rasen ist feucht vom Tau. Irgendwie ist es schon verrückt. Vor ein paar Monaten war ich noch ein mehr oder weniger normaler Teenager, der nach der Schule arbeiten gegangen ist. Jetzt bin ich eine Königin, mit der die Leute aus Angst nicht einmal mehr sprechen. Und was habe ich davon? Unendlich viel Geld, unendlich viel Macht, kein Schmerzempfinden und einen toten Verlobten. Frustriert trete ich den Boden, sodass Rasenfetzen in alle Richtungen davon spritzen. Wenn ich ständig Anfälle bekomme weil ich an Jaxx denke, komme ich nicht mehr weit. Entschlossen will ich mir meinen Ring vom Finger ziehen. Ich bin jetzt mit Bez verheiratet und um eine perfekte Show hinzulegen muss ich komplett die sein können, die ich sein soll. Vorsichtig drehe ich den Ring hin und her, bis er funkelnd in meiner Hand liegt. Aber sofort fühle ich mich angreifbar. Ein kühler Luftzug streift um meine Hand. Schnell balle ich sie zu einer Faust. In der Erwartung eines Angriffes drehe ich mich wachsam in alle Richtungen. Niemand ist da. Genervt verdrehe ich die Augen und gehe ins Haus zurück. Den Ring stecke ich in meine Hosentasche. Bez erwartet mich schon direkt hinter der Tür. „Das Flugzeug mit unseren Sachen kommt morgen. Wir haben nachher einen Termin beim Direktor des MIT. Er ist ein alter Freund von mir. Mehr oder weniger. Jedenfalls müssen wir mit ihm abklären, wie das mit dir abläuft. Zieh dir was Anständiges an, dann wird das auch." Er verschwindet nach oben. Da ich nichts Besseres zu tun habe, gehe ich wieder ins Wohnzimmer. Mit einer Orange aus dem Kühlschrank in den Händen lasse ich mich neben Fothy und Doc auf den Boden sinken. Wenn sie ohnmächtig sind, sehen sie friedlich aus. Okay, das ist irgendwie schräg. Ich stehe wieder auf um mir ein Messer zu holen. In diesem Moment beginnt Fothy zu zucken und schlägt einen Augenblick darauf die Augen auf. Geblendet kneift er sie wieder zusammen und schüttelt vorsichtig den Kopf. Ich renne zu ihm und falle neben ihm auf die Knie. „Alles ist gut. Ich bin da." „Victoria?" Seine Stimme ist leise. So behutsam wie möglich nehme ich ihn an den Schultern und lege seinen Kopf auf meine Beine, damit er ein bisschen höher liegt. Er macht die Augen wieder auf. „Die Penner erwische ich! Wie geht es dir?" „Wie es mir geht? Ich bin es nicht, die mehrere Stunden gefesselt und bewusstlos auf einem harten Stuhl hing. Aber mir geht es gut. Danke der Nachfrage." „Mir brummt der Schädel." Na das ist aber eine Überraschung. Ich stecke den Arm so weit wie möglich aus und bekomme mit den Fingerspitzen gerade noch so den Zipfel eines Sofakissens in den Griff, das ich zu mir ziehe und es Fothy unter den Kopf lege, damit ich aufstehen kann. „Bleib so liegen, ich hole Bez. Der kennt sich damit besser aus." Ich stehe auf und renne los. „Bez? Bez? Wo bist du? Fothy ist wach!" Kurz darauf rennt er die Treppe hinunter an mir vorbei ins Wohnzimmer. „Hol mir mal den Notfallkoffer", ruft er kurz darauf. Ich laufe los und finde das Teil in der Küche. So schnell wie ich kann renne ich wieder ins Wohnzimmer und setze die Tasche neben ihm auf dem Boden ab. „Was soll ich tun?" Er kramt in den Verbänden herum. „Im Kühlschrank findest du auf der rechten Seite in den beiden unteren Schubladen Blutkonserven und Salzlösung. Ich brauche einen Beutel mit Salzlösung." Igitt! Aber ich laufe trotzdem los. Das Wasser im Beutel schwappt hin und her als ich damit wieder zurück zu Bez komme. „Sehr gut. Wir haben nicht viel Zeit." Er reicht mir eine Butterfly-Kanüle. „Du musst den Schlauch auf die Nadel stecken und dann mit dem Rädchen den Beutel öffnen." Ich reiche ihm die Nadel als die ersten Tropfen auf den Boden fallen. Bez desinfiziert die Nadel und Fothys Handrücken, dann sticht er gnadenlos zu. Fothy zuckt zusammen. „Du ewiger Rabiator." Ich muss grinsen. „Halt den Beutel hoch." So bekloppt bleibe ich eine Weile stehen. „An was kannst du dich noch erinnern?" Fothy massiert sich mit der Kanülenfreien Hand die Schläfen. „Ich bin hier angekommen. Da stand die Tür schon offen und ich bin reingegangen. Dann ist alles weg." Na super. Dann hat Doc wohl die Kamera angeschaltet. Der Beutel mit der Salzlösung ist inzwischen zu Hälfte geleert. Mit einiger Kraftanstrengung steht Fothy auf und streckt seine Glieder ein bisschen. „Ich sage euch, das ist kein Spaß." Ich helfe ihm, sich auf das bequemere Sofa zu legen. „Was..." Doc bewegt die Beine und dreht sich auf den Bauch. Ich knie mich neben ihn und helfe ihm hoch. Er ist anscheinend besser dran als Fothy. Kurz darauf steht er schon wieder ohne Hilfe, lässt sich aber trotzdem in einen Sessel fallen. Bez kommt aus der Küche zurück und reicht ihm ein Glas Wasser. „Kannst du dich an etwas erinnern?" Doc runzelt die Stirn und schaut sich um. „Eigentlich nicht wirklich. Ehrlich gesagt an gar nichts. Ich habe in der Küche gestanden und wollte mir einen Espresso machen, da habe ich was gegen den Hals bekommen." Er fasst sich seitlich an die Halsschlagader. „Bez, gib mir mal den Alkohol und ein Pflaster." Gnadenlos kippt er sich das Desinfektionsmittel über zwei kleine Punkte. „Das war ein Elektroschocker." Doc nickt und klebt sich das Pflaster auf den Hals. „Ich bringe euch jetzt nach oben. Bez, hilf mir mal. Wir müssen dann nämlich losfahren." Irgendwie schaffen wir es, die beiden die Treppe hoch zu bugsieren und in die erstbesten Zimmer zu schleppen. Ich schließe die Vorhänge, damit Fothy sich ausruhen kann. So leise wie möglich verlasse ich den Raum und gehe in meinen Kleiderschrank. Gedankenverloren krame ich etwas Ordentliches hervor und schlüpfe in die frisch gewaschen riechenden Klamotten. Wie kann es sein, dass Doc nichts mitbekommen hat und Fothy ebenfalls gleich zu Boden gegangen ist? Wer hat die Webcam angeschaltet? Die Angreifer waren das wohl eher nicht. Ein allgegenwärtiges Piepsen reißt mich aus meinen Gedanken. Was ist das jetzt? Alarmiert schaue ich mich um. „Hast du es jetzt mal endlich?" Bez Stimme ertönt von irgendwo her. „Bevor du jetzt durchdrehst, das ist das hauseigene Kommunikationssystem. Wir können von überall in diesem Haus aus miteinander reden, solange die Systeme eingeschaltet sind. Der Bildschirm im Ankleidezimmer ist in der oberen Schublade der weißen Kommode." Ich ziehe sie auf, woraufhin ein riesiger Bildschirm nach oben fährt. Bez ist darauf zu sehen. Er scheint sich in einer Art technischen Zentrale zu befinden. „Das ist der Keller. Zeige ich dir noch. Ich wollte nur sagen, dass wir in zehn Minuten gehen müssen. Zieh was Protziges an." Der Bildschirm wird schwarz. Ich verdrehe die Augen und suche neue Klamotten heraus.

Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt