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Nach vielen ereignislosen Stunden verschwindet die Sonne endgültig hinter dem Horizont. Jetzt spenden nur noch die Lampen Licht, die an den Zelteingängen hängen. „Was soll das eigentlich werden? Soll ich hier verhungern oder werde ich morgen früh einfach nur so abgeknallt?" Die Frage verhallt in der Dunkelheit. Natürlich unbeantwortet. Unauffällig versuche ich an meine Hosentasche zu kommen, aber zwischen meinen Händen und meiner Hose befindet sich ein Pfosten. In diesem Moment wird mir alles zu viel. Ich schreie wie am Spieß, sodass meine gesamte aufgestaute Wut meinen Körper verlässt. Der Anführer stürzt aus seinem Zelt und kommt auf mich zugerannt. „Was ist das für ein Lärm?" Anstatt eine Antwort zu geben hole ich lediglich erneut Luft und schreie weiter. „Wieso sind wir nicht darüber informiert, dass Victoria einen an der Klatsche hat? Die tickt doch nicht mehr ganz richtig!" Mit energischen Schritten kommt er auf mich zu und hält mir seine Hand vor den Mund. Igitt! Ich höre auf zu schreien, damit er seine Hand wieder entfernt, aber der denkt gar nicht daran. Stattdessen hält er mir zusätzlich auch noch die Nase zu. Wie verrückt beginne ich zu zappeln und mich unter seinem Griff zu winden, aber das nützt nichts. Ich kann förmlich spüren, wie meinem Gehirn die Luft ausgeht. Mein Sichtfeld verkleinert sich dramatisch. Kurz bevor ich das zeitliche segne nimmt er seine Hand zurück. Ich schnappe nach Luft und beginne zu würgen. Leider kotze ich ihm nicht auf die Schuhe. „War das jetzt deutlich genug?" Ich nicke geschlagen. Wäre ich heute Morgen doch nur nicht aufgestanden! Und während ich hier fast umgebracht werde, macht sich Doc ein schönes Leben. Ich kann nur hoffen, dass Bez ihn sich vorknöpft. Nach wie völlig außer Puste richte ich mich wieder auf. Mir wird schwindelig und so meine ich in weiter Entfernung Bez auf einem Baum sitzen zu sehen. Diese Erscheinung schiebe ich auf Dehydrierung. Ich schließe die Augen und hole tief Luft. Ich muss mir dringend etwas einfallen lassen, um hier weg zu kommen. Sonst ist von mir morgen nicht mehr viel übrig. An meine Taschen komme ich ja nicht. Der Pfosten ist zu hoch, als dass ich da einfach drüber springen könnte. Auch ansonsten ist die Position meiner Arme mehr als ungemütlich. Wenn das so weitergeht, werden die einfach in dieser Position festwachsen. Ich nehme Schritte wahr, die auf mich zusteuern. Widerwillig öffne ich die Augen und erblicke den Anführer, der sein Zelt gerade verlässt. Aber wieso auch immer habe ich seine Schritte wahrgenommen. Die sind viel schwerer als vorhin. Ich schaue nach oben. Und erkenne den Grund: Der Anführer liegt vermutlich tot in seinem Zelt. Denn in den Klamotten des Mannes steckt Bez. Im selben Moment in dem ich ihn erblicke muss ich anfangen zu lachen. Ich sitze mitten im Mondschein und lache wie eine Gestörte laut vor mich hin. Verunsichert schauen mich die Wachen an, zwei kommen näher zu mir heran und halten mir ihre Waffen direkt vor die Nase. Aber das ist mir jetzt egal. Bez schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an und fordert mich still auf, die Klappe zu halten. Aber ich kann einfach nicht. Zum ersten Mal seit Stunden redet eine der Wachen mit mir. „Was ist?" Schnarrender Tonfall. „Macht mich los." „Was?" „Ich sagte, ihr sollt mich losmachen." So normal wie möglich schaue ich den Kerl an und versuche in der Dunkelheit, seine Gesichtszüge genauer zu erkennen, aber er steht genau vor einer Lampe, sodass seine ganze Vorderseite schwarz ist. „Sonst ist aber alles klar? Du wirst hier verrecken, du blöde Fotze!" Meine Güte, ist der aber aggressiv! Ich lache weiter vor mich hin. Bez sieht mich unamüsiert an. Ich zucke mit den Schultern, bin aber ruhig. Kurz darauf entdecke ich auch Fothy. Er steht im Zelteingang und fuchtelt wild mit seinen Armen durch die Luft. Allerdings habe ich nicht die leiseste Ahnung, was er damit bezwecken möchte. Bez hat inzwischen den Kreis erreicht, den die Wachen bilden. Kaum dass sie ihn erblickt haben, da machen sie ihm auch schon platz und lassen ihn zu mir durch. Er hält seinen Kopf gesenkt und kommt direkt auf mich zu. Grob packt er mich am Kinn und dreht meinen Kopf zu sich. Gleichzeitig schiebt er mir mit der anderen Hand unbemerkt etwas Kleines in meine gefesselten Hände. Ein Schlüssel. Schon nicht schlecht: Während alle Wachen um ihn herum zuschauen, was er vorne mit mir macht, hat keines ein Auge auf meine Hände. „Nimm deine dreckigen Griffel von mir!" Mein Fauchen klingt echt. Er grinst mich an. Weiter angestachelt schüttele ich meine Schultern. „Sollen wir uns jetzt um sie kümmern?" Eine der Wachen ist nach vorne getreten und beugt sich leicht zu uns herunter. Inzwischen habe ich den Schlüssel so leise wie möglich in das eine Schloss der Handschellen gesteckt und herumgedreht. Im nächsten Moment kann ich endlich wieder mein Handgelenk bewegen. Bez dreht sich zu der Wache um, schaut den Mann aber nicht direkt an. „Nein. Ich will sie jetzt befragen." Er flüstert nur, damit man nicht sofort seine Stimme bemerkt. Leider ist die Wache nicht blöd. „Was?" Naja, vielleicht doch blöd und nur aus Versehen schlau. „Macht mir Platz." Jetzt hat der Typ Blut geleckt. Mist. Er gibt seinen Kumpanen ein Zeichen und alle zusammen ziehen sie den Kreis um uns etwas enger. Triumphierend zieht der Bez die Kapuze vom Kopf. „Wie erbärmlich. Versucht du wirklich im Alleingang dieses menschliche Stück Dreck zu befreien?" Dabei deutet er auf mich. Bez nickt. Der Wachmann beginnt ungläubig zu lachen. Und wieder schauen alle nur nach vorne. Ich bin inzwischen zwischen den Beinen hindurchgekrochen und stehe nun außerhalb des Kreises. Ehrlich gesagt tut mir alles weh und den Schmerz kann ich nicht vollständig ausblenden. Aber das ist jetzt egal. Vorsichtig richte ich mich auf und trete hinter einen Wachmann, der gespannt Bez' Verhör folgt. In einer einzigen Bewegung löse ich eine Pistole aus dem Holster, das an seinem Gürtel hängt, entsichere sie und setzte sie ihn an den Kopf. Bevor er reagieren kann drücke ich ab. Die anderen Wachmänner fahren hoch. In der ganzen Ablenkung gelingt es Bez, die eine oder andere Nase zu brechen. Auch ich bleibe nicht untätig: Die Schrecksekunde, die alle Wachmänner lähmt, nutze ich dazu, zu schießen. Von beiden Seiten bearbeiten Bez und ich nun die Wachmänner. Schließlich steht nur noch einer und der ist verwirrt, weil er nicht weiß, auf welcher Seite er sich verteidigen soll. Bez verpasst ihm einen Kinnhaken, der ihn zu Boden gehen lässt. Was ich nicht bedacht habe: Meine Schüsse haben mal wieder einen abartigen Lärm verursacht. Also ehrlich, Schall ist momentan das überflüssigste Naturphänomen, das es gibt! Bez und ich rennen los, er läuft vor mir und zeigt mir den Weg durch den Irrgarten. Weil es immer noch verdammt dunkel ist, habe ich Schwierigkeiten, ihm zu folgen. Trotzdem erreichen wir im Kugelhage der inzwischen eingesetzt hat einen Zaun und klettern darüber. Auf der anderen Seite stehen wir wieder im Wald und verschanzen uns hinter einen Baum. „Was zur Hölle machst du hier?" „Dich retten, was sonst?" Bez schaut mich verblüfft an. „Ich bin nicht hier, weil ich mich beim Einkaufen verfahren habe, falls du das meinst." Neben uns fällt ein ganzer Baum um, den die Zeltlagermenschen mit einem 50 mm Gewehr umgenietet haben. „Wir sollten hier verschwinden!" Ich nicke Bez zu und renne hinter ihm her tiefer in den Wald. Kurz darauf erreichen wir einen Weg, der mir selbst in dieser Dunkelheit bekannt vorkommt. „Ist das die Straße zum Zeltlager?" Bez bleibt stehen, dreht sich zu mir um und küsst mich. Etwas überrascht erwidere ich den Kuss und bleibe in seiner Umarmung etwas länger als nötig verharren, bis er mich weiterzieht. „Etwa fünfzig Meter von hier warten die anderen auf uns." „Wer? Ich dachte, du bist alleine." „Natürlich nicht! Die anderen räumen da jetzt auf. Ich habe mich nur um dich gekümmert." „Wieso macht ihr das?" „Du bist unsere Königin! Was ist das denn für eine Frage?" Er schaut mich an, als hätte ich vollständig den Verstand verloren. Was vielleicht ja auch so ist. Wir machen uns auf den Weg und erreichen tatsächlich kurz darauf eine Autokolonne, die mitten im Wald parkt. Bez führt mich zu einem großen Kastenwagen, dessen Türen hinten offen stehen. Bernie sitzt darin vor einem Bildschirm und spricht Befehle in sein Headset. Als er uns kommen hört, grinst er mich an und hebt zum Gruß die Hand. „Sie ist hier angekommen." Er wendet sich wieder seiner Arbeit zu. Chili kommt von sonst woher angeschnauft und legt mir eine Decke um die Schultern. Gemeinsam lotsen die beiden mich zu einem anderen Auto, in das eine Trage eingebaut ist. Also eigentlich ein Krankenwagen mit anderen Farben. Obwohl ich mich wehre, lande ich schließlich doch in der Waagerechten und Fothy sticht mir eine Nadel in die Armbeuge. Seit wann ist der denn da? Aber egal. Bez reicht Fothy einen Beutel mit Kochsalzlösung, die er an die Nadel in meinem Arm anschließt. „Du bist total dehydriert." Erschöpft schließe ich die Augen. So eine Anstrengung, nur um ein Mikrofon anzubringen. Spätestens jetzt ist mir klar, dass ich niemals Elektriker werden will. Kurz bevor ich einschlafe bekomme ich noch mit, wie Fothy und Bez über einen Transport diskutieren, aber ich kann mich nicht mehr konzentrieren.


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt