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Jaxx liegt neben mir. Sanft hebt sich seine Brust beim atmen. Vorsichtig beuge ich mich über ihn, um ihn nicht zu wecken. Seine Gesichtszüge sind perfekt und werden so angeleuchtet, dass er so aussieht, wie ich mir einen Elf vorstelle. Behutsam küsse ich ihn auf die Lippen, die wie früher auch perfekt auf meinen Mund zu passen scheinen. Wie für mich gemacht. Er beginnt sich zu bewegen. Seine Lider flattern, er öffnet die Augen. Doch anstatt des smaragdähnlichen Grüns blicke ich in zwei schwarze Löcher.


Schreiend fahre ich hoch und falle vom Sofa. Mein Herz rast wie verrückt und pumpt das Blut durch meinen Körper. Bez kommt die Treppe hinuntergewankt und schaut sich alarmiert um. „Alles okay?" Ich nicke und ziehe meine Beine an. Wie ein Päckchen sitze ich auf dem Boden und wippe vor und zurück. Bez kniet sich neben mich und nimmt mich in die Arme. „Denk nicht mehr dran." Ich vergrabe meinen Kopf an seinem Hals und blende die Welt um mich herum aus. Das Hier und Jetzt zählt. Alles andere ist egal. Darum wurde oder wird sich gekümmert werden. Ich löse mich aus seinem Griff und setze mich zurück auf die Couch. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es jetzt zehn Uhr ist. „Ich gehe wieder in die Zentrale." Bez zieht mich auf die Beine. Schnell dusche ich und ziehe etwas frisches an, dann begleitet er mich zum Aufzug. „Wenn was Spannendes passiert, holst du mich aber bitte." Lächelnd drehe ich mich um. Die Tür des Aufzuges trennt uns schließlich. Summend mache ich mich auf den Weg zur Kommandozentrale. Seltsam fröhlich stehe ich auf einer der Rolltreppen und warte, bis ich unten angekommen bin. Dann geht es weiter durch verglaste Gänge und wieder über Rolltreppen. Schließlich stehe ich vor der verdunkelten Tür und öffne sie. Aber anstatt der erwarteten höchstens drei Personen ist der Raum wieder so voll wie eh und je, jeder Bildschirm ist hell erleuchtet und die Menschen rennen beinahe zwischen den einzelnen Tischen hin und her, wobei sie stetig auf irgendwelche Tasten einzuhacken scheinen. Verwirrt verlasse ich die Zentrale wieder und öffne die Tür drei Sekunden später erneut. Aber wieso auch immer sind auch jetzt noch alle da. Perplex mache ich mich auf den Rückweg, bevor mich jemand sieht. Da kommt mir eine Idee. Ich mache auf dem Absatz kehrt und steuere auf das Kino zu. Tatsächlich ist die Tür wieder gesperrt, man kommt also nur rein, wenn man den richtigen Fingerabdruck hat. Kontrollierter Zugang. Gespannt presse ich meine Fingerkuppe auf das schwarze, kühle Glas und ziehe am Griff, als ein leises Klicken ertönt. Im Kino sitzt Fothy gemeinsam mit Bernie in der vordersten Reihe, die beiden schauen sich auf der wirklich riesigen Leinwand irgendwelche Videos an. Vergnügt gehe ich auf die beiden zu und stelle mich vor sie. Erschreckt fahren die beiden zusammen. „Seit wann zur Hölle bist du hier?" Ich zucke mit den Schultern. „Vier Sekunden vielleicht? Habt ihr was Neues?" Ich lasse mich in den Sessel neben Fothys fallen und schlage die Beine übereinander. „Nicht wirklich. Der pennt immer noch wie ein Baby." Bernie gähnt herzhaft und streckt sich. „Seit wann hast du nicht mehr geschlafen?" „Dürften jetzt 36 Stunden sein. Etwa." „Dann geh schlafen." Mein Ton duldet keinen Widerspruch, allerdings sieht Bernie auch nicht so aus, als wolle er diesen Befehl unbedingt missachten. Ziemlich schnell ist er verschwunden. Jetzt sind nur noch Fothy und ich übrig. „Chili schläft noch", informiert er mich. Ich mache es mir gemütlich. „Was ist das da oben eigentlich?" Ich deute auf die Leinwand. „Das sind Verkehrsüberwachungskameras. Wir suchen einen Kontaktpunkt zwischen Doc und einem Unbekannten. Aber das ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, da wir im Grunde keine Eingrenzungen vornehmen können." Das kann ein langer Tag werden. „Wie wäre es, wenn wir die Liste, die ich gefunden habe, durchgehen und nach bekannten Synonymen suchen? Kannst du dich in die Datenbanken der Regierung hacken?" Fothy grinst mich an. „Na klar! Wir haben einen permantenten Stant." Sofort macht er sich an die Arbeit, während ich losziehe, um den Zettel zu holen. Und tatsächlich ist einer der Namen das Synonym eines bekannten Geldhais, der kriminelle Organisationen und Unternehmen unterstützt. Damit wäre geklärt, wie die Gegner sich finanzieren. Einfaches Sponsoring. In diesem Moment klingelt mein Handy. Ich entschuldige mich bei Fothy und bedeute ihm, dass er weitermachen soll. Ein bisschen abseits nehme ich den Anruf an. Hätte ich es doch besser gelassen. „Hi, Victoria, hier ist Lara!" Ich halte mir die Augen zu. Leider wird man davon noch nicht taub. „Hi Lara. Was gibt es?" „Ich bin ja jetzt in New York angekommen. Das ist ja so was von abgefahren. Hier ist immer etwas los, selbst wenn ich mitten in der Nacht nach draußen gehe. Kannst du dir das vorstellen?" Ja! „Nein, nicht so wirklich. Aber es gefällt dir anscheinend." „Ja, natürlich!" Wieso ruft sie mich dann an?! „Eigentlich wollte ich nur sagen, dass ich eine komplette neue Kollektion für dich entworfen habe und sagen wollte, dass du mal vorbeikommen musst, um sie anzuprobieren." Ich verdrehe die Augen. „Im Moment ist es leider ganz schlecht, ich habe ganz viele Vorlesungen in nächster Zeit, da kann ich das Haus leider nicht verlassen." „Ach so. Ich schicke die Entwürfe dann einfach deinem Assistenten. Wie heißt der noch? Buster?" Knapp daneben. „Jaja, ist gut. Bis dann..." Ich lege auf, bevor sie antworten kann. Völlig entnervt gehe ich wieder zurück zu Fothy. „Noch irgendwas gefunden?" Er schüttelt den Kopf. „Der Geldgeber war der Einzige." Ich überlege einen Moment. „Kannst du mir eine sichere Leitung einrichten? Ich will die CIA anrufen." Fothy starrt mich an, als hätte ich ihm gerade eröffnet, dass ich nach Nordkorea auswandern will. „Denk doch mal nach. Der Mann ist ja nach unseren Informationen nicht in Amerika. Und wenn ich der CIA nun sage, wo er sich aufhält, kassieren wir nicht nur eine fette Belohnung, nein, wir haben ihn auch aus dem Weg geschafft, ohne dass der Verdacht auf uns fällt." Fothy nickt. „Jetzt macht das auch wieder Sinn." Er verschwindet und kommt ein paar Minuten später mit einem alten Handy wieder. „Wenn du damit telefonierst, wird der Anruf so weitergeleitet, dass der Gesprächspartner denkt, du seiest in Nebraska." Nicht schlecht. „Und das hier ist die richtige Telefonnummer, da wirst du direkt mit einem Agent verbunden." Ich wähle die Nummer und warte auf das Piepen. Währenddessen drücke ich an meinem Hals herum. „Fields?" Die Stimme ist ziemlich alt und ziemlich tief. Ist das etwa eine Privatnummer? „Hallo, Mr. Fields. Ich habe ein Geschenk für Sie." Immer schön mysterisch bleiben. „Wer ist da?" Misstrauen. „Das ist doch vollkommen egal. Viel wichtiger ist, dass ich weiß, wo sich Michael Dresser aufhält." Die Stimme bleibt leise. „Ich würde Ihnen raten, schnellstens einen Flug nach Monaco zu buchen. Und dort vielleicht nach einer Yacht namens ‚Goldblatt' zu suchen. Guten Tag." Ich lege auf. Fothy beginnt laut zu lachen. „Was war das denn bitte? ‚Ich habe ein Geschenk für Sie'?" Immer noch lachend verlässt er das Kino, um uns einen Kaffee zu holen. Von mir selbst erstaunt setze ich mich in einen Sessel und schließe die Augen. Was ist nur mit mir los? Im einen Moment bin ich noch ganz normal und im nächsten verhalte ich mich wie eine arrogante Was-auch-immer? Denn das, was Fothy für gespielt hielt, habe ich wirklich ernst gemeint. Nun haben wir also den Finanzier der Truppe aus dem Verkehr gezogen, wenn sich die Regierungsbehörde nicht vollkommen blöd anstellt. Was ich in diesem Fall nur hoffen und nicht überprüfen kann. Ich sitze auf dem Podium des Kinos und starre in den leeren Saal. Mein Handy klingelt, aber ich gehe nicht ran. Wer etwas will, soll selbst vorbeikommen. So bleibe ich so lange sitzen, bis mein rechtes Bein einschläft, weshalb ich widerwillig aufstehe und mich auf den Weg in die Garage mache. Auf der Ebene, die direkt an meine Wohnung grenzt, stehen nur fünf Autos, von denen drei leer sind. Die beiden anderen sind große Kastenwagen von zwei verschiedenen Kleinunternehmen, deren Klappen offen sind. Zusammengekauert sitzt Fothy in dem Größeren neben Bez, die beiden beugen sich über ein Tablet und diskutieren leise miteinander. Im anderen Auto bereitet Chili gerade einen Gefangenentransport vor: Er nietet Ketten am Boden fest und installiert Kameras. Allerdings gehe ich davon aus, dass dieses Auto heute Abend nicht gebraucht wird. Ich klettere neben Bez auf die Bank. Die beiden schauen nicht auf, zeigen mir aber, womit sie sich gerade befassen. Es hat irgendetwas mit einem komplizierten Schaltkreis zu tun, von dem ich nicht einmal die Hälfte verstehe, und trotz Fothys langer Erklärung habe ich keine Ahnung, wofür der gut sein soll. Bevor ich noch weiter belatschert werden kann, steige ich aus, um für alle Anwesenden etwas zum essen zu holen. Mit meinem Fingerabdruck öffne ich die Tür zu meiner Wohnung und gehe in die Küche. Allerdings befindet sich im Kühlschrank lediglich eine Flasche Ketchup, aus der ich nichts mehr essen würde. Auch die Schränke sind bis auf eine Packung Nudeln völlig leer. Na toll, jetzt muss ich auch noch in die Großküche. Aber ich habe sowieso nichts anderes zu erledigen. Die Gänge zur Küche sind alles andere als leer, weshalb ich mir meine Kapuze tief in die Stirn ziehe, nah an der Wand entlang gehe und mich unauffällig bewege. Unerkannt erreiche ich die Küche. Ein Koch läuft mir über den Weg, den ich nach der Kühlkammer frage. Als er mich dann doch erkennt, fällt ihm das Brot aus der Hand, das er anscheinend gerade schneiden wollte. „Meine Königin, es ist uns eine Ehre!" Ich kann mich noch bremsen, sonst hätte ich mit den Augen gerollt und äußerst genervt geschaut. Schnell deute ich ihm an, dass er bloß leise sprechen soll. „Ich wollte nur schnell etwas Essbares holen, mein Kühlschrank ist komplett leer." „Natürlich", flüstert er zurück und lotst mich unbeabsichtigt ziemlich auffällig durch die Gänge von Herden und Backöfen. Wie durch ein Wunder erreichen wir das Kühlhaus inkognito. Der Koch beginnt, Lebensmittel in eine Tasche zu packen, die er mir schließlich reicht. „Das sollte für ein paar Tage reichen." Königin bekommt Care-Pakete. Ganz toll. Aber egal, der Kerl ist nett. Ich schüttele ihm die Hand und frage ihn noch schnell nach seinem Namen, bevor ich durch eine andere Tür verschwinde. Mit der Tasche unter dem Arm erreiche ich wieder die Garage und beginne, die Sachen auszupacken. Chili kommt erwartungsvoll angelaufen, schaut aber sehr enttäuscht auf den Inhalt. „Das ist ja alles nur Grünzeug." Tatsächlich handelt es sich bei einem Großteil der Sachen um Gemüse und Obst. Jeff, der Koch, ist anscheinend sehr aufmerksam. Chili schnappt sich die Packung mit den Käsewürfeln und ist weg. Seufzend gehe ich wieder zu Bez und Fothy. Inzwischen leuchtet ein Countdown auf einem Bildschirm, der im Wageninneren befestigt ist. Noch vier Stunden bis zu dem Treffen. Und ich habe keine Ahnung, was ich noch machen soll. Bez bemerkt, dass ich hibbelig bin und kaum auf dem Platz sitzen bleibe, weil ich die ganze Zeit hin- und her- hopse. „Wir müssen noch arbeiten. Wie wäre es, wenn du etwas Sport machst? Oder versuchst, etwas zu kochen? Ich verhungere!" Theatralisch hält er sich den Bauch und schaut mich wie ein Welpe mit großen Augen an. In Gedanken verfluche ich ihn für diesen Kommentar, mache mich aber mit der Tasche auf den Weg in die Küche. Sonst platze ich! Vermutlich merkt man es mir zwar nicht an, aber innerlich bin ich am Kochen. Nach wie vor habe ich meine Schwierigkeiten, mich damit abzufinden, dass Doc ein Verräter sein soll. Für einen Moment habe ich mich nicht unter Kontrolle und ramme meine geschlossene Faust gegen die Betonwand. Zurück bleibt ein leichtes Pochen in den Fingern. Bewusst konzentriere ich mich auf meine Hand. Einen Moment später fährt ein stechender Schmerz durch meine Hand und klärt meine Gedanken wieder. Ich gehe weiter, als ob nichts gewesen wäre. In der Küche angekommen beginne ich damit, das ganze Gemüse zu waschen. So sieht es zumindest richtig aus. Dann schneide ich das Ganze in extra kleine Stückchen. Leider entsteht dabei mehr Matsch als ernstzunehmende Würfelchen. Aber egal. Schließlich schmeiße ich die Pampe in einen Topf und kippe etwas Salz dran. Die Packung mit den Nudeln koche ich (natürlich nur den Inhalt, so viel weiß ich auch). Das Ergebnis riecht nicht einmal schlecht und schmeckt akzeptabel. Etwas unkoordiniert schleppe ich die Töpfe in die Garage und hole noch Teller. Die anderen kommen sofort angelaufen und stürzen sich auf die dampfenden Nudeln. „Das hat aber gedauert", meckert Bez. Ich werfe einen Blick auf den Countdown: Es sind nur noch eineinhalb Stunden. Wo auch immer der Rest abgeblieben ist. Schuldbewusst streiche ich mir eine Strähne aus dem Gesicht und gehe zurück in die Wohnung, um mich umzuziehen.


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt