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Gedankenversunken schlendere ich durch die hellen Flure auf dem Weg in die Kommandozentrale. In diesem Moment fehlt mit Jaxx besonders. Er hätte vielleicht eine Idee gehabt, was zu tun ist. Und wenn nicht, dann hätte er mich wenigstens aufgemuntert. Ein wenig niedergeschlagen betrete ich die Zentrale und schleppe mich in die Mitte zu Bernie. „Gibt es schon einen Anhaltspunkt?" Er reicht mir ein Ipad, das anscheinend ein Livestream zeigt. In einem steril aussehenden Raum sitzen zwei kleine Kinder an einem Couchtisch und malen friedlich bunte Bilder, die einen totalen Kontrast zum Rest des Zimmers herstellen. „Was ist das?" Bernie setzt sich auf die Kante seines Tisches und sieht mich ernst an. „Wir sehen hier Coppers Kinder live. Das war im Internet zu finden. Die Entführer wollen seine Aufmerksamkeit." „Ich nehme an, wir bekommen keine Adresse?" Bernie schüttelt den Kopf. Das Signal ist derart gut verschlüsselt, dass ich die IP-Adresse nicht schnell genug identifizieren kann. Die Kamera ist nicht ortbar. Das waren Profis. Und es gibt nicht viele von denen, die ihre Signatur vor mir verstecken können." Das ist zwar keine gute Nachricht, aber immerhin besser als gar keine. „Wir zeigen es Copper erst mal nicht. Gibt es so etwas wie eine Lösegeldforderung?" Bevor Bernie antworten kann entdecke ich einen Button auf der Internetseite den ich antippe. Ein Fenster öffnet sich und ein roter Text wird sichtbar: ‚ES1919'. Irritiert blicke ich Bernie an und der zuckt mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten soll." Ich suche mir ein Blatt Papier und schreibe die Ziffern auf. „Fragen wir einfach Copper." Mit Bernie im Schlepptau verlasse ich die Zentrale und mache mich wieder auf den Weg zu den Zellen. Nur bin ich dieses Mal nicht so alleine. Copper hat sich inzwischen auf das Sofa gelegt und sieht einiger Maßen entspannt aus. Dieses Mal setzt er sich direkt auf, als ich den Raum betrete. Ohne viel Geplänkel halte ich ihm den Zettel vor die Nase und schaue ihm prüfend ins Gesicht. Ich bin gewillt, jede noch so kleine Zuckung wahrzunehmen. Das ist aber nicht nötig, denn selbst ein Blinder hätte die Falten erstasten können, die nun auf seiner Stirn erscheinen. „Was ist das?" „Das ist der Name einer Datei auf einem USB-Stick, der sich in meinem Besitz befindet." Mit einer Handbewegung bedeute ich ihm, dass er weitersprechen soll. „ Die Datei beinhaltet alles, was ich über Emilia Stoneforth weiß. Und auch ein paar Fakten über Victory." Das Blut weicht mir aus dem Gesicht. Bernie schließt die Augen und kneift den Mund zusammen. „Ich habe dir vorhin gesagt, dass nur wenige Menschen dazu in der Lage sind, sich im Internet vor mir zu verstecken." Sein Gesicht nimmt einen verzweifelten Ausdruck an. „Einer davon arbeitet für die Regierung der Vereinigten Staaten."


Nachdem Bernie die Bombe über die Identität der Entführer hat platzen lassen, ist Copper in Tränen ausgebrochen und mir sind die Nerven flöten gegangen. Ich bin mir sicher, dass es noch nie einen Victory gegeben hat, der sich meiner trampeltierähnlichen Eleganz in das Sichtfeld der Regierung geschoben hat und das so kurz nach seiner Krönung. Was bin ich nur für eine Versagerin! Mein Vater hätte gut daran getan, sich nicht umbringen zu lassen und sich anstatt meiner einen würdigeren Nachfolger zu suchen. Aber dafür ist es nun zu spät. Die Regierung hat mich auf dem Schirm und ich bezweifle, dass sie locker lassen wird. Aufgebracht stürme ich aus dem Raum und laufe fluchend zurück in die Zentrale. Dort berichte ich meiner kleinen Einheit, was Copper mir gesagt hat. Ungläubige Gesichter starren mich darauf hin von allen Seiten an. „Das kann nicht sein." Bez, der komischer Weise trotz meiner absolut blöden Aktion noch hier ist, schüttelt nur den Kopf. „Wir haben alle Spuren verwischt. Emilia Stoneforth hat einen blütenweißen Lebenslauf und Victory ist von der Bildfläche verschwunden, seit die Rebellen dich in die Luft jagen wollten." „Ich sage ja nur, was Copper mir gesagt hat." Und da er keinen Grund hat mich anzulügen, muss ich damit leben, dass seine Kinder nur im Austausch mit mir freikommen. Zu meiner eigenen Schande muss ich zugeben, dass ich ein egoistisches Arschloch bin. Wenn es nach mir ginge, würden die Kinder in der Obhut der Regierung aufwachsen. Ich will mich nicht ausliefern! Mir wird klar, wie schrecklich es sein muss, mit mir zusammen zu arbeiten. Und Jaxx und Bez waren mit mir zusammen. Bin ich wirklich ein so schlechter Mensch? Ja, bin ich. Von mir selbst enttäuscht fahre ich mir mit der Hand über mein Gesicht und schüttele den Kopf. In diesem Moment wünsche ich mir, ich wäre damals als ich die Wahl hatte in meinem Haus in Miami geblieben und hätte einfach mein Luxusleben gelebt. Aber nein, jetzt bin ich hier.


Erschöpft sinke ich in die Kissen und schließe die Augen. Was für ein Tag. Man sollte meinen, dass ich an dem Abend nach der Erkenntnis, dass ich ein lebendes Antivorbild bin, aufgewühlter bin. Aber ich bin sehr ruhig. Eigentlich habe ich zum ersten Mal das gedacht, was ich schon lange wusste. Das Wort ‚egoistisch' brennt sich in meine Hirnrinde als würde es mir ein alter Cowboy mit einem Bandzeichen in die Haut ätzen. Und das würde ich vermutlich nicht einmal spüren. Ist es vielleicht genau deshalb wichtig, dass ich mich für die kleinen Kinder opfere? Ich kenne sie zwar nicht und Copper hat der Mafia bisher nicht übernmäßigen Profit eingebracht, aber als Königin sollte es meine Pflicht sein, mich selbst in dieser aussichtslosen Lage für meine Untergebenen einzusetzen. Aber andererseits sollte ich meine eigene Haut retten. Wie komme ich jetzt zu einem annehmbaren Ergebnis? Mein Blick fällt auf den Bilderrahmen, aus dem Jaxx mich anlacht. Bez hat mir das Foto geschenkt, als ich von Cambridge in die Baze zurückgezogen bin und seitdem habe ich es nicht mehr wirklich registiert. Dafür fällt mir jetzt umso schärfer Jaxx Gesichtsausdruck auf. Er lacht mich fröhlich an und hat diesen Ausdruck in den Augen, den ich bisher immer verdrängt habe. Er schaut mich an, als würde er alles für mich tun. Und das hat er mit seinem Leben bezahlt. Er ist für mich gestorben und ich gehe jetzt so geizig mit meinem Leben um. Ich sollte mich um die Kinder kümmern, egal was es mich kostet. Nur so kann ich Jaxx Opfer gebührend würdigen.


Victories (Buch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt